Normen
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §871
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §871
Spruch:
Über die Bedeutung des gemeinsamen Irrtums. Rechtzeitige Aufklärung des Irrtums.
Entscheidung vom 20. Mai 1953, 1 Ob 268/53.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Die Klägerin führt aus, grundbücherliche Eigentümerin der Hälfte der Waldparzelle 172 der EZ. 58, Grundbuch M., zu sein, während die zweite Hälfte dieses Grundstückes im Eigentum des Beklagten, ihres Bruders, stehe. Mit der Behauptung, daß der Beklagte auf der erwähnten Liegenschaft wiederholt Holzschlägerungen durchgeführt, u. zw. im Jahre 1948 eine Menge von etwa 100 Festmetern und im Winter 1951 eine Menge von 150 bis 200 Festmetern Holz geschlägert und abgeführt habe, verlangt die Klägerin vom Beklagten in der am 6. September 1951 erhobenen Klage die Rechnungslegung über diese Holzschlägerungen sowie die Ausfolgung von 50% der erzielten Nutzungen, d. h. des geschlägerten und bereits abgeführten Holzes. Dazu ist zu bemerken, daß der Anspruch des Teilhabers auf Ablegung der Rechnung und auf Verteilung des Ertrages (§ 830 ABGB.) im ordentlichen Rechtswege geltend zu machen ist (vgl. Klang in Klangs Kommentar, 2. Auflage, zu S. 1097). Der Beklagte hat die Klagsabweisung beantragt und ausgeführt, daß hinsichtlich des halben Anteils der Klägerin an der gegenständlichen Parzelle eine bisher unberichtigt gebliebene, jedoch seit der Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung nach dem am 12. April 1921 verstorbenen Vater der Streitteile Anton S. nicht mehr zutreffende, daher fehlerhafte Grundbuchseintragung vorliege. In Wirklichkeit sei der Beklagte alleiniger Eigentümer der Liegenschaft seit dem Tode des Vaters der Parteien. Nach dem erklärten Willen des Vaters sei es eindeutig gewesen, daß insbesondere der ganze Liegenschaftsbesitz rechts der M. in der Katastralgemeinde M., wozu auch die gegenständliche Waldparzelle gehöre, dem Beklagten als Alleineigentümer zuzufallen hatte, zumal der Vater der Streitteile seine Absicht klar kundgetan hätte, den Besitz im Interesse einer praktischen Bewirtschaftung und Begrenzung aufzuteilen. Bei der grundbücherlichen Durchführung sei übersehen worden, daß im Grundbuch die gegenständliche Waldparzelle noch immer als zur Hälfte der der Klägerin gehörigen Liegenschaft EZ. 59, Grundbuch M., zugehörig eingetragen blieb. Die Streitteile hätten auch nichts davon gewußt, daß der Grundbuchstand mit dem Willen des Erblassers und mit der bei der Durchführung der Abhandlung verfolgten Absicht, den ganzen Liegenschaftsbesitz rechts der M. in der Katastralgemeinde M. dem Beklagten ins Eigentum zu übertragen, nicht übereinstimme. Deshalb habe der Beklagte vollständig unbeanstandet durch die Klägerin seit dem Jahre 1921 die gegenständliche Parzelle immer als Eigentümer benützt, ohne daß die Klägerin irgendwelche Ansprüche gestellt hätte. Erst infolge einer nach dem Grundbuchstande verfügten Verständigung des Bezirksgerichtes O. vom 13. November 1950 sei den Streitteilen zum Bewußtsein gekommen, daß der Grundbuchstand noch immer nicht im Sinne der Verlassenschaftsabhandlung hergestellt sei. Die Klägerin könne sich nur auf einen äußeren Tatbestand berufen, besitze aber keinen gültigen Titel für die von ihr behaupteten Ansprüche.
Während das Erstgericht dem Klagebegehren stattgegeben hat, hat das Berufungsgericht der auf den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil Folge gegeben und das Klagebegehren in Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes als bindend bezeichnet und ausgeführt, daß der Vater der Streitteile in seinem Testament vom 9. Mai 1914 wünschte, daß sein Besitz unter die beiden Kinder (die Streitteile) nicht einfach nach Einlagezahlen geteiltwerde, sondern nach der geographischen Lage an den beiden M.- ufern. In seinem späteren Testament vom 16. Juni 1920, das der Verlaßabhandlung zugrunde gelegt wurde, habe er die Erbeinsetzung seines Sohnes, des Beklagten, verfügt, die - ebenso wie die übrigen Bestimmungen des Testamentes - "in Kraft treten" sollte, sobald die in den mit den Kindern vorher abgeschlossenen Übergabsverträgen vorhandenen Irrtümer, "soweit sie mit den Bestimmungen des Testamentes vom 9. Mai 1914 in Widerspruch stehen", richtiggestellt wären. In der Verlassenschaftsabhandlung sei am 20. September 1921 zwischen den Streitteilen ein Erbübereinkommen geschlossen worden. In diesem sei "zur Richtigstellung der im Testament vom 16. Juni 1920 erwähnten Irrtümer" ein Austausch von Liegenschaften und Parzellen vorgenommen worden, die Hälfte der EZ. 58 (Parzelle 172), deren Grundbuchstand einen dieser Irrtümer einschloß, komme aber darin nicht vor. Der Übergabsvertrag vom Jahre 1918 liege zeitlich vor dem maßgeblichen Testament 1920, das das Prinzip der Teilung nach dem Testament 1914 aufrechthielt und in dem mit der Möglichkeit gerechnet wurde, daß die inzwischen abgeschlossenen Übergabsverträge, gemessen an dem erwünschtenZustand, noch Irrtümer enthalten, die zunächst beseitigt werden müßten. Die Streitteile hätten zu diesem Zweck auch das Erbübereinkommen geschlossen, dabei aber die an sich unauffällige besondere Grundbuchslage bei EZ. 58 übersehen. Darin liege aber ein Irrtum nicht für den Übergabsvertrag 1918, sondern für das Erbübereinkommen 1921, in dem die Parteien Vertragspartner waren. Diese rechtliche Annahme stehe mit der weiteren Entwicklung bis 1951 im Einklang, da bis dahin keine der Parteien auch nur mit der Möglichkeit rechnete, daß hier noch ein Miteigentumsverhältnis bestehe. Der Irrtum liege also darin, daß das Erbübereinkommen "zur Richtigstellung der im Testament vom 16. Juni 1920 erwähnten Irrtümer" diente, der bezüglich der Parzelle 172 vorhandene Irrtum aber nicht beseitigt wurde. Das sei für beide Teile ein Irrtum gewesen. Die Geltendmachung dieses Irrtums durch den Beklagten in Form einer Einrede gegen das auf das Miteigentum gestützte Klagebegehren sei zulässig. Der Irrtum sei noch rechtzeitig entdeckt worden, im übrigen müsse berücksichtigt werden, daß beide Beteiligten im Irrtum gewesen seien. Nach der wahren und hier beachtlichen Lage bestunden Ansprüche der Klägerin aus dem Miteigentumsverhältnis nicht, so daß das Klagebegehren unbegrundet sei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Zum Revisionsgrunde des § 503 Z. 4 ZPO.:
Der Rechtsrüge der Revision kommt keine Berechtigung zu. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes, die nach den obigen Ausführungen die Grundlagen der Entscheidung bleiben, sind beide Parteien übereinstimmend der Ansicht gewesen, daß mit dem Abschluß des Erbübereinkommens vom 20. September 1921, in dem unter III "zur Richtigstellung der im Testament vom 16. Juni 1920 erwähnten Irrtümer" ein Austausch von Liegenschaften und Parzellen vorgenommen wurde, der vom Erblasser erstrebte Zustand der Verteilung seines Gründeigentums an seine Kinder in der Katastralgemeinde M. hergestellt worden sei. Die von den Parteien abgegebene Erklärung hat jedoch in Ansehung der einen Hälfte der Waldparzelle 172 mit ihrem Willen nicht übereingestimmt, ohne daß ihnen diese Diskrepanz aufgefallen wäre. Es hat sich also beiderseits um einen Erklärungsirrtum gehandelt, indem die Parteien unbewußt etwas anderes erklärten, als sie erklären wollten (vergl. Gschnitzer in Klangs Kommentar, 2. Aufl. zu §§ 871 ff. S. 116). Im Falle der unrichtigen Erklärung (falsa demonstratio) gilt aber als Vertragsinhalt, was beide Parteien gewollt und, erklärt zu haben, irrig angenommen haben; die unrichtige Erklärung schadet nicht, es kommt vielmehr durch berichtigende Auslegung die wahre Meinung zur Geltung (vergl. Gschnitzer, a. a. O., S. 134, sowie Ehrenzweig, Allgemeiner Teil, 1951, S. 237). Schon aus diesen Erwägungen ist der Entscheidung des Berufungsgerichtes beizupflichten. Dem Beklagten muß das Recht eingeräumt werden, gegenüber der Forderung seiner Schwester, die sich bloß auf das nach dem förmlichen Grundbuchsstande gegebene Miteigentumsrecht grundet, im Wege der Einrede geltend zu machen, daß er nach dem Willen des Erblassers und der einvernehmlichen Regelung der Parteien im Zuge des Abhandlungsverfahrens Eigentümer der gesamten Waldparzelle sei. Die Revisionswerberin übersieht, daß gemeinsamer Irrtum größere Beachtung fordert, als dem einseitigen Irrtume nach der Vertrauenstheorie zuteil werden kann (vergl. Ehrenzweig, a. a. O., S. 238). Schon deshalb erweisen sich die rechtlichen Einwendungen der Revisionswerberin gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes als nicht begrundet.
Diesen Einwänden käme aber selbst für den Fall der Anfechtung wegen eines bloß einem Teile unterlaufenden Irrtums keine Berechtigung zu. Die Revisionswerberin meint zunächst, daß der Irrtum nicht die Hauptsache, sondern nur einen Nebenumstand betroffen hätte; die Hauptsache sei doch die Aufteilung des über 100 ha großen Besitzes, nicht aber die nur 1 1/2 ha große Parzelle 172 gewesen, die dabei gar keine Rolle gespielt habe. Dieser Ansicht kann nicht beigepflichtet werden. Als Irrtum über die Hauptsache wird in der Lehre (vergl. Gschnitzer, a. a. O., S. 122 f.) der Irrtum über Geschäftspunkte, die den Vertrag innerhalb der Vertragsart individualisieren, bezeichnet. Dabei wird als entscheidend angesehen, ob der Irrende den Vertrag ohne Irrtum entweder gar nicht oder doch nicht in dieser Weise geschlossen hätte. Wird dies auf den gegenständlichen Fall angewendet, dann muß der Irrtum als ein solcher über die Hauptsache bezeichnet werden, weil kein Anhaltspunkt für die Annahme vorliegt, daß der Beklagte ein Übereinkommen getroffen hätte, das seinen Verzicht auf irgend ein ihm nach der Absicht seines Vaters zukommendes Grundstück enthalten hätte. Das Berufungsgericht hat ferner zutreffend dargelegt, daß der Irrtum noch rechtzeitig aufgeklärt worden sei. Denn diesem Erfordernis ("res integra") wird nicht bloß durch eine Aufklärung in continenti, sondern auch dann entsprochen, wenn der Gegner des Irrenden aus Anlaß des abgeschlossenen Vertrages noch keine rechtliche oder wirtschaftliche Verfügung getroffen hat und auch nicht die Gelegenheit zu einer solchen Verfügung infolge des geschlossenen Vertrages versäumt hat (vergl. Gschnitzer, a. a. O., S. 133). Diese Voraussetzung der noch rechtzeitigen Aufklärung des Irrtums ist aber schon nach dem Vorbringen der Klägerin gegeben. Der Hinweis der Revisionswerberin auf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vom 22. September 1870, GlU. Nr. 3883, sowie vom 9. Juni 1885, GlU. Nr. 10598, ist als verfehlt zu bezeichnen. Der diesen Entscheidungen zugrunde liegende Sachverhalt ist von dem gegenständlichen völlig verschieden. Die Bestimmungen des § 443 ABGB., wonach mit dem Eigentum unbeweglicher Sachen auch die darauf haftenden, in den öffentlichen Büchern angemerkten Lasten übernommen werden und derjenige, der diese Bücher nicht einsieht, in allen Fällen für seine Nachlässigkeit leidet, finden auf das gegenständliche Rechtsverhältnis keine Anwendungen. Auf die Frage der Verjährung gemäß § 1487 ABGB. war nicht einzugehen, weil nach § 1501 ABGB. auf die Verjährung, ohne Einwendung der Parteien, von Amts wegen nicht Bedacht zu nehmen ist. Die gerügte unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache ist als nicht gegeben.
Somit war der Revision der Erfolg zu versagen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)