Normen
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §107
EO §382 Z8
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §107
EO §382 Z8
Spruch:
Die Stellung eines Mitschuldantrages oder die Erhebung einer Widerklage ist nicht Voraussetzung für die Berechtigung der beklagten Partei zur Stellung des Antrages auf Gewährung des abgesonderten Wohnortes im Scheidungsverfahren.
Entscheidung vom 30. April 1953, 3 Ob 253/53.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Das Erstgericht hat den von der beklagten Ehefrau in dem Scheidungsstreit 14 Cg 227/52 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz gestellten Antrag auf Bewilligung des abgesonderten Wohnortes abgewiesen.
Über Rekurs der beklagten Ehefrau hat das Rekursgericht ihr den abgesonderten Wohnort bewilligt.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der gefährdeten Partei Folge, hob die Entscheidungen beider Vorinstanzen auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Beschlußfassung nach Verfahrensergänzung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Oberste Gerichtshof teilt grundsätzlich die Auffassung des Rekursgerichtes, daß das Recht, den abgesonderten Wohnort zu begehren, nicht auf den Scheidungskläger beschränkt ist, sondern daß auch der beklagte Eheteil, wenn er gefährdet ist, einen solchen Antrag stellen kann. Weder der Wortlaut des § 107 ABGB. noch der des § 382 Z. 8 EO. steht einer solchen Auslegung entgegen (vgl. GlU. Nr. 15.377).
Die Auffassung, daß der Antrag auf Gewährung des abgesonderten Wohnortes dem gefährdeten Eheteil auch zusteht, wenn er nicht der Kläger im Scheidungsstreit ist, wird nicht nur in der Judikatur (GlU. 15.377, RZ. 1935 S. 207, EvBl. 1935 Nr. 678), sondern auch nahezu einhellig von der Rechtslehre vertreten.
Der Entscheidung SZ. XXII/90 ist allerdings der Rechtssatz vorangestellt, daß dem Beklagten in einem Ehescheidungsverfahren, wenn er weder Mitschuldantrag gestellt noch Widerklage erhoben hat, der abgesonderte Wohnort nach § 382 Z. 8 EO. nicht bewilligt werden könne. Der gleiche Gedanke kommt auch in der Entscheidung SZ. XXIII/212 zum Ausdruck, in der allerdings für die Legitimation der beklagten Partei zur Stellung eines Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung in einem Scheidungsverfahren geradezu die Erhebung der Widerklage gefordert wird. Gegen die in dieser Entscheidung vertretene Auffassung spricht aber die Erwägung, daß einem Urteil in einem Scheidungsstreit eine ähnliche Funktion wie einem iudicium duplex zukommt, vor allem aber der Gedanke, daß eine Ehefrau, die an ihrer Ehe festhalten will, trotz noch so ehewidrigen Verhaltens ihres Mannes in der Hausgemeinschaft verbleiben müßte und ihr auch gegen die ärgsten Mißhandlungen und Bedrohungen der Schutz durch Gewährung des abgesonderten Wohnortes versagt wäre. Dazu kommt, daß sogar ohne Anhängigkeit eines Scheidungsstreites dem gefährdeten Eheteil aus wichtigen Gründen der abgesonderte Wohnort bewilligt werden kann (SZ. XI/134).
Es kann daher die Auffassung nicht aufrecht erhalten werden, daß die Stellung eines Mitschuldantrages oder die Erhebung einer Widerklage Voraussetzung sei für die Berechtigung der beklagten Partei in einem Scheidungsverfahren zur Stellung des Antrages auf Gewährung des abgesonderten Wohnortes.
Dem Rekursgericht ist auch insoweit beizupflichten, als es davon ausgeht, daß nach faktischer Trennung der Ehegatten die Bewilligung des abgesonderten Wohnortes möglich sei, und insoweit es die Erklärung des Klägers, seine Frau nicht zur Rückkehr in die Ehegemeinschaft verhalten zu wollen, als unverbindlich und darum als rechtlich bedeutungslos ansieht (2 Ob 664/50, 3 Ob 317/52 u. a. m.).
Für die Gewährung des abgesonderten Wohnortes ist aber die Bescheinigung eines Verhaltens des Antragsgegners erforderlich, das die beklagte Partei zur Erhebung einer Scheidungsklage berechtigen würde. An einer solchen Bescheinigung fehlt es aber bisher. Die von einem Schriftsteller vertretene Rechtsansicht, daß die Tatsache der Anhängigkeit eines Scheidungsverfahrens an sich genüge, um für den einen oder den anderen Eheteil die im § 107 ABGB. geforderte Gefährdung zu bedingen, vermag der Oberste Gerichtshof ebensowenig zu teilen, wie die Ansicht des Erstgerichtes, daß selbst bei Bescheinigung der von der beklagten Partei behaupteten Gefährdungsmomente der Antrag auf einstweilige Verfügung abzuweisen wäre.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)