OGH 2Ob199/53

OGH2Ob199/5315.4.1953

SZ 26/96

Normen

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1315
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1319
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1315
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1319

 

Spruch:

Haftung des Hauseigentümers für die Untüchtigkeit des Hausverwalters.

Entscheidung vom 15. April 1953, 2 Ob 199/53.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Geza R., der Ehemann und Vater der Kläger, ist dadurch tödlich verunglückt, daß er von einem Verputzstück, das von der Hausfront herabgefallen ist, getroffen worden ist. Die Hausfassade hat sich schon vor dem Unfall nicht in einwandfreiem Zustand befunden, der schadhafte Zustand des Verputzes hat schon durch einige Zeit bestanden und ist als zweifellos gefährlich erkennbar gewesen. K. ist von der beklagten Hauseigentümerin als Hausverwalter bestellt gewesen. Die Kläger haben Schadenersatzansprüche geltend gemacht. Das Verfahren ist auf den Grund des Anspruches eingeschränkt worden.

Das Prozeßgericht erkannte den Anspruch dem Gründe nach als zu Recht bestehend.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Selbst unter Berücksichtigung des in der jüngsten Judikatur hinsichtlich der Auslegung der Bestimmung des § 1315 ABGB. vertretenen Rechtsstandpunktes vermag das Revisionsgericht der Auffassung der Revision, wonach schon mangels erwiesener Untüchtigkeit des bestellten Besorgungsgehilfen der beklagten Partei K. eine Haftung nach der bezogenen Gesetzesstelle nicht bestehe und damit auch eine Befreiung von der Haftung nach § 1319 ABGB. eingetreten sei, nicht beizutreten.

Die Frage, was unter dem Begriff "untüchtig" in § 1315 ABGB. zu verstehen ist, wurde allerdings von der Judikatur nicht immer einheitlich beantwortet. Während der Oberste Gerichtshof bis 1938 überwiegend (GlUNF. 4392, 4568, 5836, 6516, 6692, GH. 1918/22, 29, SZ. X/3, SZ. XVIII/76, SZ. XX/99) in Übereinstimmung mit der Lehre (Ehrenzweig II/1, S. 44, Klang, 1. Aufl., zu § 1315, S. 93, Stubenrauch (8) II, S. 673 Anm. 1) die Ansicht vertrat, einmaliges Versagen einer sonst tüchtigen Person beweise noch nicht Untüchtigkeit, gelangte er im Anschluß an die Kriegsentscheidung DR.

1945, EvBl. 29 in mehreren neueren Entscheidungen (2 Ob 155/49 = SZ.

XXII/110, 2 Ob 127/50 = EvBl. 1950, Nr. 503, 3 Ob 701/50 = EvBl.

1951, Nr. 69 u. a. m.) zur Ansicht, daß auch bei einmaliger grob fahrlässiger Verletzung von Berufspflichten Untüchtigkeit im Sinne des § 1315 ABGB. anzunehmen sei. Nunmehr ist der Oberste Gerichtshof unter ausführlicher Begründung wiederum zu seiner jahrzehntelangen früheren Auslegung der fraglichen Gesetzesstelle zurückgekehrt (1 Ob 119/52 = EvBl. 211/52) und hält an ihr fest, wonach der Geschäftsherr für die Untüchtigkeit seines Besorgungsgehilfen nur dann haftet, wenn es sich um einen habituellen Zustand handelt, wie dies zusammenfassend in SZ. XX/99 dargelegt worden ist. Danach ist eine Person dann untüchtig, wenn sie die für eine bestimmte Arbeit erforderlichen Kenntnisse überhaupt nicht hat. Es ist aber auch möglich, daß eine Person, welche die für einen bestimmten Beruf erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, zufolge persönlicher Eigenschaften, z. B. Hang zur Nachlässigkeit oder zur Nichtbeachtung von Vorschriften für die Ausübung des Berufes untüchtig ist. Bei Beurteilung, ob im vorliegenden Fall diese Voraussetzungen zutreffen, ist jedoch im Gegensatz zu den Ausführungen der Revision von den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellung des Erstgerichtes auszugehen, welche für die Revisionsentscheidung maßgebend ist. Nach diesen Feststellungen befand sich die Hausfassade vor dem Unfall zufolgemehrerer Verputzschäden in gleicher Weise wie die Feuermauer zufolge einer zirka 1 m2 großen Schadensstelle nahe der vorderen Hauskante in nicht einwandfreiem Zustand sodaß der Brandmeister H. den Unfall zum Anlaß nahm, den Hausverwalter auf die Notwendigkeit einer Überholung aufmerksam zu machen und den Gehweg vorübergehend absperren zu lassen. Weiters steht auf Grund der Aussage des Zeugen E. fest, daß ein Herabfallen von Verputzteilen in mehreren Stadien an der von ihm bezeichneten Stelle der Hausfassade stattgefunden haben muß, was sich aus der verschiedenen Farbe der bloßgelegten Ziegelwand einwandfrei ergab, daß also der schadhafte Zustand des Verputzes an dieser Stelle zumindestens durch einige Zeit bestanden haben muß. Schließlich steht auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen fest, daß die vom Zeugen E. beschriebene Stelle als gefährlich erkennbar war. Wird nun bedacht, daß ein Hausverwalter dazu besonders geschult sein muß und im vorliegenden Fall auch dazu bestellt wurde, die Aufsicht über das Haus zu führen und die sofortige Beseitigung allfälliger Baugebrechen zu veranlassen, die ihm als zweifellos gefährlich erkennbar sind, der selbst im Hause wohnende Verwalter K. jedoch diese erkennbare gefährliche Schadensstelle zumindestens durch eine Zeit hindurch trotz täglicher Beobachtungsmöglichkeit gänzlich außer acht ließ und nichts zur Abhilfe dagegen unternahm, so ist ein solcher Mangel an Gewissenhaftigkeit, der einen Hang zur Nachlässigkeit zeigt, ein solches Fehlen des besonderen zur Erfüllung der Berufspflichtigen eines Hausverwalters erforderlichen Fleißes als Untüchtigkeit im Sinne des § 1315 ABGB. zu qualifizieren. Da zur Abwendung einer Gefährdung von Personen lediglich ein Abklopfen zur Ablösung der schadhaften Verputzstücke vollkommen genügt hätte, kann der Hausverwalter seine Unterlassung auch nicht mit dem zur Zeit des Unfalles bestehenden Materialmangel entschuldigen. Bei dieser einige Zeit hindurch an den Tag gelegten, den Pflichten eines Hausverwalters zuwiderlaufenden Sorglosigkeit handelt es sich somit um einen habituellen Zustand, sodaß der Geschäftsherr für die Untüchtigkeit seines Besorgungsgehilfen zu haften hat. Da die Vernachlässigung in der Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt gerade den Aufgabenkreis betrifft, für den der Hausverwalter besonders geschult ist und im vorliegenden Falle auch bestellt war, kann hier auch von einem vorübergehenden Versehen nicht gesprochen werden.

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