Spruch:
Zur Schadenersatzhaftung des Hauseigentümers für Schäden aus dem Sturz eines Mieters infolge schadhafter Beschaffenheit des Hausganges.
Entscheidung vom 30. Dezember 1952, 3 Ob 797/52.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der im Zeitpunkte des Unfalles 66 Jahre alte, große, 105 kg wiegende Kläger, der Hauptmieter einer Wohnung in dem der beklagten Partei gehörigen Hause ist, wollte sich am 7. August 1951 von seiner Wohnung aus zu Vermessungsarbeiten außerhalb Wiens begeben; er war mit Schuhen bekleidet, die an den Sohlen mit sogenannten Mausköpfen genagelt waren. Obwohl er langsam über die Stiege ging und sich mit einer Hand an dem Geländer festhielt, rutschte er auf der viertletzten Stufe aus, glitt im Sturz vier Stufen hinunter und blieb mit dem Absatz des linken Fußes in einem in dem Gangboden befindlichen, 2 cm tiefen Loch des Bodenbelages hängen und zog sich hiedurch einen Stauchungsbruch oberhalb des linken Knöchels zu, welche Verletzung Schmerzen, einen Verdienstentgang und Auslagen nach sich brachte. Über dieses Loch im Bodenbelag des Hausganges waren bereits Hausparteien ausgerutscht oder gestolpert, dennoch traf weder die beklagte Partei noch die Hausbesorgerin irgendwelche Abhilfe. Den Kläger trifft an dem Unfall kein Verschulden, weil er die nötige Vorsicht bei der Benützung der Stiege nicht außer acht gelassen und sich während des Hinuntergehens über die Stiege am Stiegengeländer angehalten hat.
Das Prozeßgericht erkannte mit Zwischenurteil zu Recht, daß der aus dem Rechtsgrunde des Schadenersatzes geltend gemachte Klagsanspruch auf Bezahlung eines Betrages von 50.000 S dem Gründe nach zu Recht bestehe.
Die beklagte Partei als Vermieterin sei dem Kläger als Mieter gegenüber gemäß § 1096 ABGB. verpflichtet, ihm den ordnungsgemäßen Gebrauch des Bestandobjektes zu ermöglichen und bei derart offenkundigen Mängeln, wie dem Loch im Gangboden, von selbst Abhilfe zu schaffen, wobei sie für das Verschulden der Hausbesorgerin als ihrer Erfüllungsgehilfin gemäß § 1313a ABGB. hafte, weshalb der eingeklagte Anspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es stellte fest, daß die Stelle im Gangboden, an der sich das Loch befindet, wiederholt beim Passieren benützt wird und daß es auch hiebei zu Unfällen gekommen ist. In rechtlicher Beziehung führte das Berufungsgericht aus, daß die Unterlassung der Behebung des Mangels im Gangboden sich als Verletzung der der Beklagten als Hauseigentümerin den Mietern gegenüber obliegenden Verpflichtungen darstellt, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein der schadhaften Stelle und der erlittenen Verletzung gegeben sei, da zwar der Eintritt des Schadens von seiner Bedingung nicht so weit entfernt sein dürfe, daß diese nach der Auffassung des praktischen Lebens vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden könne, es aber durchaus im Bereich der Möglichkeit liege, daß die gegenständliche schadhafte Stelle die Ursache zum Stürzen von Passanten sein könne. Der gegenständliche Unfall sei kein atypisches Ereignis und habe infolge der mangelhaften Beschaffenheit des Gangbodens auch vorausgesehen werden können. Die Hausbesorgerin wäre verpflichtet gewesen, den Schaden am Gangboden dem Hausverwalter anzuzeigen; der Hausverwalter hätte die Obliegenheit gehabt, sich darüber zu vergewissern, ob die Hausbesorgerin seinem Auftrag, den Schaden zu beheben, nachgekommen sei. Die Unterlassung der genannten Personen stelle eine Verletzung ihrer Pflichten dar und begrunde daher eine Haftung der Beklagten gemäß § 1313a ABGB. Ein Mitverschulden des Klägers liege nicht vor, sein Sturz über die Stufe stelle vielmehr für ihn einen Zufall dar.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision macht zunächst geltend, der Kläger sei gar nicht an der schadhaften Stelle auf dem Gangboden, sondern an einer Stufe gestürzt, der Kausalzusammenhang zwischen der Verletzung des Klägers und der schadhaften Stelle des Gangbodens sei daher nicht gegeben, zumal es gänzlich außerhalb des Bereiches der typischen Ereignisse liege, daß jemand waagrecht an die schadhafte Stelle herangleite, wie dies der Kläger getan habe.
Demgegenüber ist zunächst darauf zu verweisen, daß es nicht auf die Haltung des Körpers bei der Fortbewegung, sondern auf die Richtung der Fortbewegung ankommt; letztere erfolgt aber jedenfalls in waagrechter Richtung. Abgesehen davon, hat nach den Feststellungen der Vorinstanzen das im Gangboden befindliche Loch zur Verletzung des Klägers geführt, und es kann nicht gesagt werden, daß das Ausgleiten auf der Stiege auch dann die Verletzung des Klägers zur Folge gehabt hätte, wenn das Loch im Boden nicht vorhanden gewesen wäre, da nach dem Gutachten des vernommenen Sachverständigen ein Stauchungsbruch vorliegt, der auf das Hängenbleiben des Absatzes des linken Fußes im erwähnten Loch zurückzuführen ist. Schon daraus ergibt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen der Verletzung und der mangelhaften Beschaffenheit des Gangbodens. Es kommt bei der Beurteilung der Frage, ob der ursächliche Zusammenhang zwischen der Verletzung und der Schadensursache gegeben ist, gar nicht darauf an, ob der Kläger auf der Stiege ausgeglitten oder durch das Loch im Gangboden zum Sturz gekommen ist, da jedenfalls das Loch die Ursache der vom Kläger erlittenen Verletzung ist und es als typisch angesehen werden muß, daß ein solches Loch im Boden zu Verletzungen führt. Die Ansicht der Revision, der Unfallsvorgang sei etwas vollkommen Einmaliges und völlig Unvorstellbares, ist unbegrundet. Ein derartiger Unfallvorgang wie der gegenständliche kann sich öfters ereignen, da es nicht selten vorzukommen pflegt, daß eine Person durch Ausgleiten zum Sturz kommt, infolge dieses Sturzes an ein Hindernis angleitet und dadurch einen Stauchungsbruch erleidet. Daß aber dieses Hindernis vorhanden war, hat die beklagte Partei verschuldet, da es ihre Aufgabe als Hauseigentümerin gewesen ist, Mängel im Boden des Hausganges zu beheben. Die Untergerichte haben daher ohne Rechtsirrtum die Frage des ursächlichen Zusammenhanges zwischen der mangelhaften Beschaffenheit des Bodenbelages im Hausgang und der eingetretenen Verletzung des Klägers bejaht.
Der Eintritt einer Verletzung war aber entgegen der in der Revision geäußerten Meinung auch voraussehbar. Daß mehrere Parteien infolge der mangelhaften Beschaffenheit des Gangbodens ausgeglitten oder gestolpert sind, haben die Vorinstanzen festgestellt; an diese Feststellung ist das Revisionsgericht bei der rechtlichen Beurteilung gebunden. Es war daher für die beklagte Partei voraussehbar, daß diese mangelhafte Beschaffenheit zu Verletzungen von Hausbewohnern führen könne. Ob nun die eingetretene Verletzung darauf zurückzuführen ist, daß der Kläger auf einer Stufe ausgeglitten ist oder daß er infolge der mangelhaften Beschaffenheit des Bodens zum Sturz kam, ist für die rechtliche Beurteilung der Haftung der beklagten Partei ohne Bedeutung; es genügt vielmehr, daß die Verletzung durch diese mangelhafte Beschaffenheit verursacht wurde, was die beklagte Partei bei Aufwendung der notwendigen Aufmerksamkeit als Hauseigentümerin voraussehen konnte. Im Hinblick auf diese Rechtslage war eine Erörterung der in der Revision aufgeworfene Frage, ob die Voraussehbarkeit des Unfalles für die Haftung der beklagten Partei von wesentlicher Bedeutung ist, entbehrlich.
Die Revision wendet sich schließlich gegen die Annahme der Vorinstanzen, daß dem Kläger ein Verschulden an dem Unfall nicht zugerechnet werden könne, mit der Behauptung, der Kläger sei deshalb, weil er mit genagelten Schuhen bekleidet gewesen sei, zu besonderer Vorsicht bei der Benützung der Stiege verpflichtet gewesen und hätte daher nur tastend und von Schritt zu Schritt vorfühlend sich über die Stiege bewegen dürfen. Aus der Tatsache, daß er mit solcher Wucht an die Vertiefung angeglitten sei, daß er hiebei den Fuß brach, könne erschlossen werden, daß er mit einer gewissen Vehemenz die Stiege hinabgegangen sei.
Auch in dieser Richtung kommt der Revision keine Berechtigung zu. Die Vorinstanzen haben festgestellt, daß der Kläger die Stiege langsam hinuntergestiegen ist und sich dabei mit einer Hand an dem Stiegengeländer angehalten hat. Damit hat aber der Kläger auch die Berücksichtigung des Umstandes, daß er Schuhe trug, deren Sohlen mit Nägeln versehen waren, alle notwendigen Vorsichten angewendet, um einen Unfall zu verhüten. Daß er sich nicht tastend und von Schritt zu Schritt vorfühlend bewegt hat, kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, da auch die Verwendung von Schuhen mit einer mit sogenannten Mausköpfen versehenen Sohle die Anwendung einer solchen besonderen Vorsicht nicht erfordert; die gegenteilige Ansicht würde den Gepflogenheiten und Erfahrungen des täglichen Lebens widersprechen.
Es läßt aber auch die Tatsache, daß der Kläger einen Stauchungsbruch erlitten hat, noch nicht darauf schließen, daß er sich mit einer "gewissen Vehemenz" auf der Stiege fortbewegt hat, wie die Revision vermeint. Der Bruch kann ebenso auf das große Körpergewicht, die Größe, das höhere Alter und die Tatsache zurückgeführt werden, daß der Kläger über vier Stufen hinuntergeglitten ist, welcher Umstand eine erhöhte Geschwindigkeit in der Fallbewegung nach sich zu ziehen geeignet ist. Daß die Gattin des Klägers nicht zum Sturz gekommen ist, weil sie ihrer Darstellung nach infolge einer Fußbehinderung sehr vorsichtig beim Gehen ist, läßt gleichfalls noch nicht darauf schließen, daß der Kläger nicht die nötige Vorsicht beim Passieren der Stiege angewendet hat, da auch die Anwendung größter Vorsicht ein Ausgleiten nicht vollkommen ausschließt.
Die Untergerichte haben daher mit Recht angenommen, daß ein Verschulden oder Mitverschulden des Klägers an seiner Verletzung nicht bewiesen ist. Da die beklagte Partei die ihr als Hauseigentümerin aus den Mietvertrag obliegende Verpflichtung, den Boden im Hausgang im ordnungsgemäßen Zustand zu erhalten, nicht erfüllt und dadurch die Verletzung des Klägers, eines Mieters des Hauses, verursacht hat, haftet sie gemäß § 1295 ABGB., bzw. für das Verschulden ihrer Hausbesorgerin als ihrer Erfüllungsgehilfin gemäß § 1313a ABGB. für den dem Kläger durch die Verletzung erlittenen Schaden.
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