Spruch:
Der servitutsberechtigte Eigentümer des herrschenden Gutes ist nicht gehalten, den landwirtschaftlichen Betrieb auf eine veraltete und unrationelle Weise (Fahren mit Pferden statt mit Lastkraftwagen oder Traktor) zu führen. Er ist auch nicht verpflichtet, die notwendigen Wirtschaftsfuhren stets persönlich durchzuführen.
Entscheidung vom 13. November 1952, 3 Ob 690/52.
I. Instanz: Bezirksgericht Wels; II. Instanz: Kreisgericht Wels.
Text
Die Untergerichte haben als erwiesen angenommen, daß von den Rechtsvorgängern der Prozeßparteien laut Vertrages vom 14. April 1912 eine Dienstbarkeit bestellt wurde, wonach die Eigentümer des herrschenden Grundstückes das Recht haben, über die Parzelle 1449/2 mit allen Wirtschaftsfuhren zu fahren und zu gehen. Das dienende Grundstück wurde damals extensiv genutzt und dessen Eigentümer hatten nicht die Absicht, eine Erweiterung der Servitut zu dem Zweck zuzulassen, um den Eigentümern des herrschenden Gutes etwa den Betrieb einer Gärtnerei oder Blumenbinderei zu ermöglichen. Den Klagebegehren, die Dienstbarkeit des Fahrtrechtes bestehe nur für Wirtschaftsfuhren eines landwirtschaftlichen Betriebes, und die Beklagten hätten alle Handlungen, die sich als Ausdehnung der Dienstbarkeit darstellten, insbesondere das Fahren mit Personenkraftwagen, Motorrädern, Lastkraftwagen und Traktoren, sowie das Fahren fremder Personen zu unterlassen, wurde stattgegeben.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten teilweise Folge, änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß das Begehren auf Untersagung des Fahrens mit Lastkraftwagen und Traktoren sowie das Fahren seitens fremder Personen abgewiesen wurde, und bestätigte es im übrigen.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
In rechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, daß die Klägerin gemäß § 484 ABGB. nicht gehalten ist, eine Ausdehnung der Servitut über das vertraglich vorgesehene Maß zu gestatten. Die Feststellungen der Untergerichte über die Absichten der Parteien bei Vertragsabschluß betreffen den Sachverhalt und sind daher einer Anfechtung in dritter Instanz entrückt.
Soweit die Beklagten darzulegen suchen, daß aus den Beweisergebnissen unrichtige Schlüsse gezogen wurden, pflichtet der Oberste Gerichtshof den Untergerichten bei. Die Rechtsvorgänger der Klägerin waren zwar genötigt, anläßlich der Teilung der Liegenschaft EZ. 157, Grundbuch P., der Servitutsbestellung zuzustimmen, sie hatten aber keinen Anlaß, schwerere Bedingungen auf sich zu nehmen, als damals vom Verkäufer Josef R. gefordert wurden. Dies führt zu dem Ergebnis, daß die Beklagten aus dem Titel der Dienstbarkeit nur zu solchen Fuhren berechtigt sind, die eine bäuerliche Bewirtschaftung erforderte, wie sie im Jahre 1912 bestanden hat. Die Klägerin ist dagegen nicht verbunden, weitere Beanspruchungen zu dulden, die sich aus einer Änderung der Wirtschaftsart im Sinne einer gewerblichen Nutzung ergeben. Ob die Fuhren mit Pferdefuhrwerk oder mit Lastkraftwagen und Traktor durchgeführt werden, fällt nicht ins Gewicht, da der Eigentümer des herrschenden Gutes nicht gehalten ist, einen landwirtschaftlichen Betrieb auf eine veraltete und unrationelle Weise zu führen. Er ist auch nicht verpflichtet, notwendige Wirtschaftsfuhren stets persönlich vorzunehmen; daher ist auch das begehrte Fahrverbot für fremde Personen nicht gerechtfertigt.
Entscheidend war nur, daß die Umstellung vom landwirtschaftlichen Betriebe auf gewerbsmäßige Nutzung des herrschenden Gutes keine Mehrbelastung des dienenden Gutes zur Folge haben darf, wie dies etwa der Fall ist, wenn Kunden häufig Waren mit Kraftwagen abholen oder wenn mit Motorrädern und Personenkraftwagen über das Grundstück gefahren wird.
Scheidet man die unbegrundeten Verbote aus dem Urteilsspruch der ersten Instanz aus, bleibt dieser Spruch noch immer bestimmt genug, um die Rechte der Beklagten klarzustellen und eine Exekution zu ermöglichen.
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