OGH 1Ob842/52

OGH1Ob842/5212.11.1952

SZ 25/298

Normen

ZPO §466
ZPO §505 (3)
ZPO §466
ZPO §505 (3)

 

Spruch:

Sowohl im Zivilprozeß als auch im Verwaltungsverfahren kommt nur rechtzeitig erhobenen, zulässigen Rechtsmitteln eine den Eintritt der Rechtskraft hemmende Wirkung zu.

Entscheidung vom 12. November 1952, 1 Ob 842/52.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Das Erstgericht gab der Klage auf Rückzahlung des vom Kläger den Beklagten für die Rücklegung einer Autofrächterkonzession gezahlten Betrages von 7000 S statt. Nach der Vereinbarung der Parteien hätten die Beklagten diesen Betrag 14 Tage nach der rechtskräftigen Ablehnung des Konzessionsansuchens des Klägers diesem zurückzuzahlen. Mit Bescheid des Magistrates V. vom 24. September 1951 sei das Ansuchen abgewiesen worden. Die Berufung der Erstbeklagten gegen diesen Bescheid sei vom Amt der Kärntner Landesregierung vom 14. November 1951 gemäß § 66 Abs. 4 AVG. zurückgewiesen worden, weil die Berufungswerberin nicht als Partei angesehen werden könne. Der von der Erstbeklagten dagegen erhobenen Berufung habe das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau mit Bescheid vom 8. Feber 1952 nicht Folge gegeben. Die Rechtskraft dieses Bescheides und die vereinbarte Leistungsfrist sei zur Zeit der Urteilsschöpfung (6. März 1952) bereits eingetreten gewesen.

Infolge Berufung der Beklagten änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß die Klage derzeit abgewiesen wurde. Auch das Rechtsmittel einer nicht berechtigten Person hemme die Rechtskraft eines Verwaltungsbescheides. Es sei gleichgültig, wann der Bescheid des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau vom 8. Feber 1952 der Erstbeklagten zugestellt worden sei. Denn jedenfalls sei dies nach dem 8. Feber 1952 gewesen. Der maßgebende Zeitpunkt für die Entscheidung des Erstgerichtes sei aber der Schluß der Verhandlung am 5. Feber 1952 gewesen. Mangels Fälligkeit des Anspruches habe die Klage abgewiesen werden müssen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und stellt das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach § 64 Abs. 1 AVG. haben rechtzeitig eingebrachte Berufungen gegen Verwaltungsbescheide aufschiebende Wirkung. Diese Bestimmung stimmt inhaltlich, wenn auch nicht dem Wortlaute nach, mit § 466 ZPO. überein. Nach § 466 ZPO. wird durch die rechtzeitige Erhebung der Berufung der Eintritt der Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils im Umfange der Berufungsanträge bis zur Erledigung des Rechtsmittels gehemmt. Nach dem Wortlaute beider Vorschriften haben somit alle rechtzeitig erhobenen Berufungen diese hemmende Wirkung, also selbst dann, wenn sie unzulässig sind. In Anlehnung an diesen gesetzlichen Wortlaut vertritt Pollak (System, 2. Aufl., S. 561) im Gegensatz zu Sperl (Lehrbuch, S. 631, 652) die Ansicht, daß auch unzulässigen Berufungen und Revisionen, sofern sie nur rechtzeitig erhoben wurden, nach den §§ 466, 505 ZPO. aufschiebende Wirkung zukommt. Die weiteren Ausführungen Pollaks zu dieser Frage (S. 585), die zeitgerechte Erhebung der Berufung oder Revision habe die gleiche hemmende Wirkung wie die Zulässigkeit dieser Rechtsmittel, u. zw. bis zu ihrer Erledigung, daher sei zwar auf die Möglichkeit der Erhebung eines solchen Rechtsmittels durch einen Nichtberechtigten kein Bedacht zu nehmen, wohl aber auf die von einem solchen erhobenen Rechtsmittel, müssen selbst Bedenken gegen die Richtigkeit seiner Ansicht erwecken; denn wenn einerseits die Zulässigkeit eines solchen Rechtsmittels Suspensivwirkung hat, und anderseits auf die Möglichkeit der Anfechtung durch einen Nichtberechtigten nicht Bedacht zu nehmen ist, so kann dies nur bedeuten, daß bei Ausschluß der Anfechtbarkeit, sei es durch gesetzliche Anordnung, sei es durch einen ordnungsgemäß erklärten Rechtsmittelverzicht, die Rechtskraft im Sinne des § 416 ZPO. schon mit Zustellung der Entscheidung an die Parteien bzw. in einigen Fällen schon mit der Verkundung der Entscheidung eintritt (vgl. Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vom 1. Feber 1951, 2 Ob 70/51; vom 2. Feber 1951, 3 Ob 48/51; vom 6. Juni 1951, 3 Ob 320/51). Wird gleichwohl innerhalb der allgemein festgesetzten Rechtsmittelfrist Berufung oder Revision erhoben, so würde dann eine bereits rechtskräftige Entscheidung angefochten, was eine sachliche Erledigung des Rechtsmittels von vornherein ausschließt (SZ. XXII/173). Eine Aufschiebung des bereits erfolgten Eintritts der Rechtskraft ist wohl nicht mehr möglich, sodaß der Anfechtung eines bereits rechtskräftigen Urteils eine solche Suspensivwirkung überhaupt nicht zukommen kann. Die Suspensivwirkung ist, wie Pollak zutreffend ausführt, schon mit der Zulässigkeit der Anfechtung mit Berufung oder Revision, u. zw. bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist verbunden und wird sie dann durch rechtzeitige Einbringung eines an sich zulässigen Rechtsmittels gemäß §§ 466, 505 ZPO. bis zur Erledigung desselben verlängert. Der gegenteilige Standpunkt, daß auch unzulässigen Rechtsmitteln diese aufschiebende Wirkung zukomme, würde auch dazu führen, daß eine Partei, die schon auf die Anfechtung der ergangenen Entscheidung wirksam verzichtet hat, es in der Hand hätte, durch Einbringung eines ihr nicht mehr zustehenden Rechtsmittels den Gegner zumindest bis zur rechtskräftigen Erledigung des Rechtsmittels um die Möglichkeit zu bringen, von seinen Rechten aus der rechtskräftigen Entscheidung vollen Gebrauch zu machen. Umsoweniger kann aber einem solchen von einer am Verfahren überhaupt nicht beteiligten Person erhobenen und nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 472 ZPO. unzulässigen Rechtsmittels Suspensivwirkung beigemessen werden, da andernfalls jedem ganz Unbeteiligten die Möglichkeit gegeben wurde, eine oder allenfalls auch beide Parteien eines Verfahrens, die etwa die ergangene Entscheidung angestrebt und deshalb auf Rechtsmittel verzichtet haben (z. B. die Parteien eines Ehescheidungsverfahrens) zumindest vorübergehend um die Auswertung des Erfolges zu bringen und so vielleicht schwer zu schädigen. Die §§ 466 und 505 ZPO. müssen daher so verstanden werden, daß nur rechtzeitig erhobenen, zulässigen Rechtsmitteln eine den Eintritt der Rechtskraft hemmende Wirkung zukommt. Das gleiche wird aber auch für die inhaltlich übereinstimmende Vorschrift des § 64 AVG. zu gelten haben. Dieser Meinung ist offenbar auch der Verwaltungsgerichtshof, der in der Entscheidung vom 9. Juli 1934, (A.) 1279/33 (Mannlicher, Verwaltungsverfahrensgesetze, S. 612, Nr. 68 a) den Standpunkt eingenommen hat, daß die Rechtskraft eines Bescheides, gegen den eine Berufung unzulässig ist, nicht erst mit der rechtskräftigen Zurückweisung des Rechtsmittels, sondern schon mit der Zustellung oder Verkundung eintritt, da eben eine Hemmung der bereits eingetretenen Rechtskraft nicht mehr möglich ist.

Im vorliegenden Falle ist nun die Berufung der Erstbeklagten gegen den ablehnenden Bescheid der Gewerbebehörde erster Instanz vom 24. September 1951 mit Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 14. November 1951 wegen Mangels der der Erstbeklagten zustehenden Stellung als Partei und des ihr demzufolge zukommenden Berufungsrechtes zurückgewiesen worden. Daß der Erstbeklagten der erstere Bescheid bereits vor der am 1. Dezember 1951 geschehenen Überreichung der Klage zugestellt worden ist, ergibt sich aus der Klagebeantwortung selbst, worin die Beklagten vorgebracht haben, daß die Erstbeklagte den Bescheid des Landesregierungsamtes vom 14. November 1951 am 27. November 1951 zugestellt erhalten und mit Berufung angefochten habe. Daß die Rechtsmittelfrist hinsichtlich des Bescheides vom 24. September 1951 und die vereinbarte 14tägige Frist, falls diese mit dem Zeitpunkte der Zustellung des Bescheides der ersten Instanz zu laufen begonnen hätte, bereits zur Zeit der Klagserhebung abgelaufen war, hat die beklagte Partei auch gar nicht bestritten und kann dies auch aus dem erwähnten eigenen Vorbringen in der Klagebeantwortung entnommen werden, wonach die Zustellung des Bescheides der zweiten Instanz schon vor Einbringung der Klage selbst vollzogen war. Der Umstand allein, daß die Beklagte nach ihrer Behauptung vom Vertreter der klagenden Partei zur Anfechtung des gewerbebehördlichen Bescheides aufgefordert worden ist, erscheint für die Frage, wann die Rechtskraft dieses Bescheides eingetreten und demzufolge die im Vertrag vereinbarte Frist von 14 Tagen abgelaufen ist, ohne Bedeutung. Der Inhalt des Briefes vom 5. Oktober 1951, wie er in der Revisionsbeantwortung angeführt ist, kann nicht berücksichtigt werden, da der Brief erst bei der Berufungsverhandlung vorgelegt wurde.

Demnach hat das Erstgericht mit Recht das Bestehen der Forderung und deren Fälligkeit, wenn auch aus anderen Erwägungen angenommen.

Daher war der Revision Folge zu geben und in Abänderung der angefochtenen Entscheidung das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

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