Spruch:
Das Berufungsgericht ist zu einer Überprüfung des Streitwertes nach § 60 Abs. 1 JN. nicht befugt.
Entscheidung vom 5. November 1952, 1 Ob 893/52.
I. Instanz: Kreisgericht Ried i. I.; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Die Parteien schlossen am 19. Jänner 1949 beim Bezirksgericht R. den gerichtlichen Vergleich, worin sich die Beklagte zur Bezahlung von Arbeitsentgelt in der Höhe von 1214.80 S und der Kosten von 121 S verpflichtete. Diese Forderung des Klägers sollte aber erst 14 Tage nach der Rückgabe der Schlüssel der Firmenbaracke der Beklagten in K. sowie des Firmeninventars dieser Baracke laut der dem Klagevertreter von der Beklagten übergebenen Liste fällig werden.
In der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des gerichtlichen Vergleichs mit der Begründung, daß er nicht verpflichtet sei, die Schlüssel und das Inventar herauszugeben und daß der Abschluß des Vergleichs auf einer Irreführung des Klagevertreters durch die Beklagte beruhe, die den Vergleich unwirksam mache.
Das Erstgericht gab der Klage statt, da es annahm, daß sich der damalige Klagevertreter über Tatsachen, die er als unzweifelhaft feststehend angesehen habe, durch das Verhalten der Beklagten in Irrtum befunden habe. Deshalb sei der Vergleich vom 19. Jänner 1949 gemäß §§ 1387, 871 ABGB. unwirksam.
Aus Anlaß der Berufung der Beklagten hob das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil und das vorausgegangene Verfahren wegen Nichtigkeit nach § 477 Z. 3 ZPO. auf und wies die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit des Erstgerichtes zurück. Nach § 60 Abs. 1 JN. könne der vom Kläger gemäß § 56 Abs. 2 JN. mit 34.696.26 S angegebene Wert des Streitgegenstandes darauf überprüft werden, ob er übermäßig hoch gegriffen sei und ob bei richtiger Bewertung die für die Zuständigkeit des Gerichtshofes maßgebende Wertgrenze von 4000 S nicht erreicht werde.
Der Streitwert von 34.696.26 S gehe darauf zurück, daß der Kläger den Wert der von ihm der Beklagten zurückzustellenden Inventarstücke in Anschlag gebracht habe. Im Vergleich vom 19. Jänner 1949 habe aber der Kläger eine selbständige Verpflichtung zur Zurückstellung dieser Gegenstände nicht übernommen, es handle sich dabei nur um die Voraussetzung für die Zahlung des Vergleichsbetrages von 1214.80 S samt Kosten von 121 S. Das Interesse des Klägers an der Aufhebung des Vergleichs könne daher nicht höher sein als der Vergleichsbetrag, denn nur diesen könne er erlangen oder verlieren. Äußerstenfalls könnte der ursprüngliche Streitwert des Vorprozesses in der Höhe von 1909.65 S als angemessen angesehen werden. Da nach diesen Erwägungen der vom Kläger angegebene Streitwert übermäßig hoch sei und bei richtiger Berechnung die Wertgrenze von 4000 S nicht erreicht werde, sei das Erstgericht zur Entscheidung der Rechtssache sachlich nicht zuständig gewesen. Da es sich um eine unheilbare Unzuständigkeit handle, habe das erstgerichtliche Urteil und das vorausgegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen werden müssen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der klagenden Partei Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem die Entscheidung über die Berufung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Meinung des Rekurswerbers, es könne nur das Prozeßgericht das Verfahren zur Überprüfung des Streitwertes nach § 60 Abs. 1 JN. einleiten, tritt das Rekursgericht bei. Dieser Bestimmung liegt die Absicht zugrunde, zu vermeiden, daß durch willkürliche Streitwertangaben der Gerichtshof für Rechtssachen zuständig gemacht wird, die bei richtiger Berechnung dieses Wertes vor die Bezirksgerichte gehören würden. Das soll auf die Weise erreicht werden, daß das Gericht auf Grund von beschleunigten Erhebungen den richtigen Streitwert feststellt, wie ihn der Kläger von vornherein hätte angeben müssen.
Ob die Überprüfung des Streitwertes stattfinden soll, liegt im Ermessen des Prozeßgerichtes. Dies geht aus der Textierung des ersten Satzes des § 60 Abs. 1 JN. hervor, wo davon gesprochen wird, daß das Gericht dann, wenn die Bewertung übermäßig hoch gegriffen ist, die Überprüfung vornehmen kann. Wenn das Prozeßgericht von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht hat, bleibt der nach § 56 Abs. 2 JN. vom Kläger angegebene Streitwert für das weitere Verfahren und daher auch für das Berufungsgericht bindend (so auch OGH-E. vom 16. Jänner 1901, GlUNF. 1260). Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht geht auch aus dem dritten Absatz des § 60 JN. hervor. Dort ist vorgesehen, daß die Streitsache im Falle der Herabsetzung des Streitwertes unter die Gerichtshofgrenze an das Bezirksgericht abgetreten wird. Eine solche formlose Abgabe der Akten an ein anderes Gericht kann naturgemäß nur in erster Instanz vor sich gehen. Abgesehen davon soll die Bestimmung des § 60 Abs. 1 JN. verhindern, daß eine vor das Bezirksgericht gehörige Rechtssache dem umständlicheren Gerichtshofverfahren unterzogen wird. Ist der Fehler der Bewertung aber nicht rechtzeitig behoben worden und die Sache beim Gerichtshof bis zum Urteil erster Instanz gediehen, würde sich der auf Vereinfachung des Verfahrens gerichtete Zweck des Gesetzes in sein Gegenteil verkehren, wollte man das vor dem Gerichtshof durchgeführte Verfahren für nichtig erklären und dem Bezirksgericht die Wiederholung des Prozesses, also die Verdopplung des Prozeßaufwandes, auftragen.
Das Berufungsgericht war daher nicht befugt, den vom Kläger angegebenen Streitwert nach § 60 Abs. 1 JN. von sich aus zu überprüfen. Es hätte vielmehr in die sachliche Prüfung der Berufung einzugehen gehabt.
Dem Rekurs mußte Folge gegeben und der Beschluß des Berufungsgerichtes aufgehoben werden.
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