Spruch:
Kein Haftungsausschluß nach § 898 RVO., wenn der vom Unternehmer um eine einmalige Begutachtung ersuchte Sachverständiger einen Unfall erleidet.
Entscheidung vom 31. Oktober 1952, 2 Ob 444/52.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Der Kläger fuhr mit Zustimmung der Beklagten als Fahrgast in einem für Geschäftszwecke der Beklagten bestimmten, der Beklagten gehörigen, von ihr für eigene Rechnung betriebenen von dem bei ihr als Chauffeur angestellten Karl K. gelenkten Personenkraftwagen von K. nach V., um an einer Begutachtung über durch ein Werk der Beklagten entstandene Rauchschäden teilzunehmen. Das Wetter war nebelig, die Fahrbahn glatt und vereist, stellenweise mit Eiskrusten bedeckt, die von Fahrgeleisen durchzogen waren. Karl K. fuhr mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 km. Bei der Abzweigung der Straße nach M. fuhr Karl K. mit unverminderter Geschwindigkeit in die tiefen Eisgeleise ein und stieß mit dem Personenkraftwagen mit einer Geschwindigkeit von 50 km gegen ein entgegenkommendes, von Anton O. gelenktes Lastauto. Karl K. wurde getötet, der Kläger verletzt. Dieser machte Schadenersatzansprüche. Das Verfahren wurde auf den Grund des Anspruches eingeschränkt.
Das Erstgericht hat den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte dem Gründe nach zur Gänze als zu Recht bestehend erkannt.
Das Berufungsgericht hat das erstgerichtliche Zwischenurteil bestätigt.
Der Oberste Gerichtshof hat der Revision der Beklagten nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Oberste Gerichtshof bejaht in ständiger Rechtsprechung die Weitergeltung der Art. III und IV der Verordnung vom 23. März 1940, RGBl. I S. 537, und sieht sich auch im vorliegenden Fall nicht veranlaßt, von dieser Rechtsansicht abzugehen. Demnach haftet die Beklagte als Halterin des von Karl K. gelenkten Personenkraftwagens zur ungeteilten Hand mit Karl K. für das Verschulden des Karl K., dessen sie sich beim Betriebe dieses Fahrzeuges bedient hat, weil Karl K. das Verschulden bei seiner Dienstleistung beim Betrieb des Personenkraftwagens unterlief und er nach den Bestimmungen des ABGB. für den durch sein fahrlässiges Verhalten verursachten Schaden ersatzpflichtig ist. Auch ein Mitverschulden des Anton O. könnte die Haftung des Karl K. und der Beklagten nicht verringern, da sich keinesfalls bestimmen ließe, daß gewisse Teile des angerichteten Schadens ausschließlich auf den einen oder anderen Schädiger zurückzuführen sind (§ 1302 ABGB., Entscheidung EvBl. 1943, Nr. 247).
Selbst wenn, was die revisionswerbende Beklagte entschieden bestreitet, der Kläger über Ersuchen der Beklagten die Unfallsfahrt angetreten hätte, um für Rechnung der Beklagten ein Gutachten abzugeben, erschiene die Haftung der Beklagten nicht nach § 898 RVO. ausgeschlossen, da der Kläger nicht als Versicherter im Sinne des § 537 RVO. angesehen werden könnte. Nach der zuletzt erwähnten Gesetzesstelle sind zwar nicht bloß die auf Grund eines Dienstverhältnisses Beschäftigten gegen Arbeitsunfall versichert, sondern nach § 537 Z. 10 RVO. auch Personen, die, wenn auch nur vorübergehend, wie ein auf Grund eines Dienstverhältnisses Beschäftigter tätig werden. Aber ein von einem Unternehmer um eine einmalige Begutachtung ersuchter Sachverständiger tritt zu diesem Unternehmer in kein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis (vgl. Entscheidung bei Kapfer, ABGB., zu § 1151 unter Nr. 1 und 2). Seine Tätigkeit kann der Tätigkeit aus einem Dienstvertrag nicht verglichen, von einem Tätigwerden wie auf Grund eines Dienstverhältnisses, wie bei einer Angestelltentätigkeit im Betriebe der Beklagten nicht gesprochen werden. Der Sachverständige ist vielmehr gleichsam als ein anderer Unternehmer anzusehen.
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