OGH 2Ob411/52

OGH2Ob411/5224.10.1952

SZ 25/278

Normen

ABGB §1320
ABGB §1320

 

Spruch:

Die Haftung des Tierhalters tritt nicht schon dann ein, wenn nicht jede Möglichkeit einer Beschädigung durch das Tier ausgeschlossen ist, sondern erst dann, wenn die nach den Umständen gebotenen Vorkehrungen unterlassen wurden.

Entscheidung vom 24. Oktober 1952, 2 Ob 411/52.

I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Der Kläger war am 23. Juni 195O zwischen 18 und 19 Uhr, während er den beim Wohnhaus der Beklagten befindlichen Hof durchschritt, von dem an einer 3.80 m langen Kette angehängten Schäferhund der Beklagte in die rechte Hand gebissen worden. Der Hund, der im allgemeinen frei umherlief, war gutmütig und änderte auch sein Verhalten nicht, wenn er gelegentlich angekettet wurde, um sein Weglaufen zu verhindern, d. h. er blieb auch dann gutmütig. Der Kläger begehrte Schadenersatz. Das Verfahren wurde auf den Grund des Anspruches eingeschränkt.

Das Erstgericht hat den Schadenersatzanspruch dem Gründe nach als zu Recht bestehend erkannt.

Das Berufungsgericht hat erkannt, daß der Klagsanspruch dem Gründe nach nicht zu Recht bestehe.

Der Oberste Gerichtshof hat das Urteil des Berufungsgerichtes bestätigt.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Oberste Gerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, daß darin, daß einem Haushunde im Hause (zu dem auch ein dazugehöriger Hof zu rechnen ist) volle Bewegungsfreiheit gewährt wird, noch keine Vernachlässigung der erforderlichen Verwahrung und Beaufsichtigung im Sinne des § 1320 ABGB. erblickt werden kann, wenn irgendeine bösartige Eigenschaft des Hundes nicht bekannt ist. Ein gutmütiger und harmloser Hund bedarf eben keiner besonderen Verwahrung oder Beaufsichtigung. Es besteht kein Anlaß, besondere Maßregeln zur Verhütung von Beschädigungen bei ihm zu ergreifen. Bei der Beurteilung der Frage, welche Vorkehrungen im Sinne des § 1320 ABGB. nach den Umständen geboten sind, ist auf die allgemeinen Gepflogenheiten sowie darauf Rücksicht zu nehmen, daß nicht durch Überspannung der Anforderungen an die Verwahrungspflicht das Halten ungefährlicher Haustiere unmöglich gemacht wird (so neuerdings 1 Ob 543/50).

Bei nicht bösartigen Hunden ist es üblich, sie bei Tag in Haus und Hof frei und ohne Maulkorb herumlaufen zu lassen, und kann darin eine Verletzung der den Tierhalter treffenden Verwahrungs-, bzw. Beaufsichtigungspflicht nicht erblickt werden, noch weniger selbstverständlich darin, daß ein solcher Hund, wie im gegenständlichen Fall, an eine sehr lange Kette gelegt wird, die ihm praktisch volle Bewegungsfreiheit gewährt, wenn eine solche Ankettung, wie im gegenständlichen Falle feststeht, die Gutmütigkeit des Hundes nicht beeinträchtigt.

Im einzelnen ist zu den Ausführungen der Revision folgendes zu bemerken. Dem angefochtenen Urteil ist nach dem Ausgeführten darin beizustimmen, daß die Gutmütigkeit des Hundes bei der Beurteilung der Verantwortlichkeit des Tierhalters insofern von Bedeutung ist, als von dieser Eigenschaft gemäß § 1320 ABGB. abhängt, welche Verwahrung oder Beaufsichtigung erforderlich ist, was ja schließlich auch die Revision zugeben muß. Hingegen ist die Lage des Hauses der Beklagten, in deren Hof sich der Unfall ereignete, für den Umfang der im Sinne der angeführten Gesetzesstelle erforderlichen Vorkehrungen und sohin für die Haftungsfrage entgegen der Meinung der Revision ohne Bedeutung. Die Ausführungen der Revision laufen letzten Endes darauf hinaus, daß infolge der Länge der verwendeten Kette sowie infolge des unberechenbaren und nur von Instinkten geleiteten Verhaltens von Tieren nicht jede Möglichkeit einer Beschädigung von durch den Hof gehenden Menschen ausgeschlossen war. Die Haftung des Tierhalters nach § 1320 ABGB. tritt aber nicht schon dann ein, wenn nicht jede Möglichkeit einer Beschädigung durch das Tier ausgeschlossen ist, sondern erst dann, wenn die nach den Umständen gebotenen Vorkehrungen unterlassen wurden. Denn ein anderer Standpunkt würde den in der angeführten Gesetzesstelle vorgesehenen Entlastungsbeweis vereiteln und dem Tierhalter entgegen dem Willen des Gesetzes die volle Zufallshaftung aufbürden (vgl. E. bei Kapfer, ABGB., zu § 1320 unter Nr. 1, 2 a und 2 b; Ehrenzweig, Obligationenrecht 1928, S. 676). Soweit aber die Revision davon ausgeht, daß die Gutmütigkeit des Hundes durch das Anketten beeinträchtigt (oder, wie es die Revision ausdrückt, seine Reaktionsfreudigkeit erhöht) war, gehen ihre Ausführungen ins Leere, weil sie nicht den festgestellten Sachverhalt betreffen, nach welchem die Gutmütigkeit des Hundes durch das Anketten nicht beeinträchtigt wurde. Da nach dem Ausgeführten das Anketten des Hundes, das nach den Feststellungen der Untergerichte ja auch nicht zwecks Ausschlusses einer Gefährdung von Menschen erfolgte, im Sinne des § 1320 ABGB. überhaupt nicht erforderlich war, ist die Länge der dazu verwendeten Kette für die Entscheidung dieses Rechtsstreites ohne jeden Belang, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat.

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