Normen
EheG §50
EheG §51
EheG §102 (2)
Erste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §78
Hofdekret JGS. 1819 Nr. 1595 §5
JMV. RGBl. Nr. 283/1897 (betreffend das Verfahren in streitigen Eheangelegenheiten) §4
ZPO §1
EheG §50
EheG §51
EheG §102 (2)
Erste Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §78
Hofdekret JGS. 1819 Nr. 1595 §5
JMV. RGBl. Nr. 283/1897 (betreffend das Verfahren in streitigen Eheangelegenheiten) §4
ZPO §1
Spruch:
Zur Prozeßfähigkeit in Ehesachen mit Bezug auf die §§ 50, 51 EheG.
Entscheidung vom 10. September 1952, 2 Ob 569/52.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Klägerin begehrte in erster Linie die Scheidung ihrer Ehe aus dem Gründe des § 51 EheG., weil der als notorischer Trinker zeitweilig angehalten gewesene Beklagte nach dem im Anhaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten einem Geisteskranken gleichzuhalten sei. Sie erhob ferner gegen den Beklagten den Vorwurf schwerer Eheverfehlungen (Vernachlässigung der Sorgepflicht, Trunkenheitsexzesse, Mißhandlungen), behauptete, daß die Ehe aus dem Verschulden des Beklagten unheilbar zerrüttet sei, und stützte hiedurch ihre Klage hilfsweise auch auf den § 49 EheG. Der Beklagte brachte eine auf § 49 EheG. gegrundete Widerklage ein. Bei der ersten Streitverhandlung wurde ein Vergleich zwischen den Parteien protokolliert, nachdem die Klägerin u. a. "den Antrag auf Feststellung des ausschließlichen Verschuldens des Beklagten" zurückgenommen und der Beklagte seine Widerklage unter Verzicht auf den Anspruch zurückgezogen hat. In der letzten, am 15. Dezember durchgeführten Streitverhandlung wurden der den Beklagten betreffende Anhaltungsakt und das in diesem Verfahren am 2. Dezember 1950 erstattete Sachverständigengutachten verlesen.
Das Erstgericht erklärte die Ehe nach § 51 EheG. für geschieden, da in dem erwähnten Gutachten zum Ausdruck gebracht worden sei, daß der Beklagte mit Rücksicht auf die durch den chronischen Alkoholmißbrauch hervorgerufenen Erregungszustände und Eifersuchtsideen sowie die ebenfalls hiedurch bedingte Uneinsichtigkeit einem Geisteskranken gleichzuhalten sei. Das Erstgericht hat in diesem Zusammenhang noch darauf hingewiesen, daß der Beklagte auch bei der Streitverhandlung sichtlich unter Alkoholeinwirkung gestanden und einer verständigen Äußerung nicht fähig gewesen sei.
Das Berufungsgericht, bei dem sich der Beklagte vor allem über die Verwendung des zeitlich weit zurückliegenden Sachverständigengutachtens und wegen der Nichtberücksichtigung des § 54 EheG. beschwerte, bestätigte das erstgerichtliche Urteil, nahm jedoch den Scheidungsgrund des § 50 EheG. als gegeben an, da der Beklagte nicht geisteskrank, sondern nur - in einer einer Geisteskrankheit gleichkommenden Weise - süchtig sei; er habe sich dem Alkoholgenuß hingegeben und dadurch den Zustand seiner Geistesstörung selbst herbeigeführt; der Klägerin könne die weitere Aufrechterhaltung der Ehe nicht zugemutet werden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten Folge, hob beide Urteile auf und verwies die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Erstgericht hat vermeint, sich mit dem im Anhaltungsverfahren abgegebenen und mehr als ein Jahr zurückliegenden Sachverständigengutachten begnügen zu dürfen. Hiedurch hat es die Bestimmung des § 78 der 1. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz verletzt und seinem die Scheidung nach § 51 EheG. aussprechenden Urteil die wichtigste Grundlage entzogen. Weder der persönliche Eindruck noch die Aussage der Klägerin oder das aus einem ganz anderen Anlaß und auch zu einem anderen Zweck erstattete Gutachten versetzten das Erstgericht in die Lage, eine Geisteskrankheit des Beklagten im Sinn des § 51 EheG. festzustellen. Das Erstgericht hatte vielmehr die unabweisliche Pflicht, selbst einen Sachverständigenbeweis über den Geisteszustand des Beklagten aufzunehmen, wenn es aus einem der Gründe der §§ 50 bis 52 EheG. auf Scheidung erkennen wollte (vgl. Stein - Jonas - Schönke, Kommentar zur DZPO., zu § 623 I 2; Novak, Eheverfahren, S. 61 f.).
Schließlich ist sich das Erstgericht dessen nicht bewußt geworden, daß ein Geisteskranker prozeßunfähig ist. Wenn es daher schon den Beklagten für geisteskrank gehalten hat, so hätte es auch von Amts wegen darauf achten müssen, den Prozeß nicht mit dem Beklagten selbst und mit dessen frei gewähltem Vertreter, sondern mit einem gesetzlichen Vertreter des Beklagten abzuführen (§§ 1 ff. ZPO.). Die durch den § 5 des Hofdekretes 1819 und den § 4 der JMV. 1897 gewährleistete erweiterte Prozeßfähigkeit in Ehesachen erstreckt sich wohl grundsätzlich auf alle im Sinne des § 102 EheG. beschränkt geschäftsfähigen Personen, nicht aber auf Geschäftsunfähige, zu denen die Geisteskranken zählen (vgl. Schwind, Kommentar zum österreichischen Eherecht, S. 67 f., 306). Also gerade die Beurteilung, die das Erstgericht dem Geisteszustand des Beklagten angedeihen ließ, hätte, wenn sie sich auf taugliche Grundlagen stützen könnte, die Nichtigkeit des abgeführten Verfahrens zur Folge (§§ 6, 7, 477 Abs. 1 Z. 5 ZPO.).
Das Ergebnis des erstinstanzlichen Verfahrens war daher in sich widerspruchsvoll und das Ersturteil unhaltbar. Der wesentliche Fehler des Berufungsgerichtes liegt aber darin, daß es das ihm zur Prüfung vorgelegte Urteil trotzdem - in nicht öffentlicher Sitzung und ohne Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen - bestätigte.
Es ist dem Revisionswerber zuzugeben, daß das Berufungsgericht die in der Berufung enthaltene Mängelrüge und auch die übrigen Berufungsausführungen mißverstanden und fehl beurteilt hat. Vor allem aber hat es ebensowenig wie das Erstgericht die Bestimmung des § 78 der 1. DVzEheG. beachtet, die auch für einen Scheidungsausspruch aus dem Grund des § 50 EheG. - diesen Weg hat das Berufungsgericht gewählt - gilt. Und wenn es sich überhaupt dazu entschlossen hat, die Rechtsgrundlage der Urteilsfällung zu verschieben und nicht nach § 51 EheG., sondern nach § 50 EheG. auf Scheidung zu erkennen, so fällt ihm ein weiteres doppeltes Versehen zur Last; einerseits die Heranziehung eines gar nicht ins Treffen geführten Klagsgrundes und anderseits dessen Bejahung, obwohl es an jedem nach dieser Richtung hin abgeführten Verfahren ermangelte.
Schon das Erstgericht war der Ansicht, daß die Klägerin den (zusätzlichen) Vorwurf schwerer Eheverfehlungen fallen gelassen habe, ihr Klagebegehren daher nur mehr auf den § 51 EheG. stützte; konsequenterweise hat es auch von einer Beweisaufnahme und von Feststellungen in der Richtung des § 49 EheG. Abstand genommen und seine Urteilsfällung lediglich mit der Vorschrift des § 51 EheG. zu begrunden versucht. Das Berufungsgericht hat nun gleich dem Erstgericht angenommen, daß die angeblichen Eheverfehlungen des Beklagten von der Klägerin nicht weiter geltend gemacht würden, es übersah jedoch, daß mit dieser Annahme der § 51 EheG. als einziger Klagsgrund übriggeblieben ist. Dieser durfte nicht willkürlich mit dem ganz andersartigen Klagsgrund des § 50 EheG. vertauscht werden. Gerade das hat aber das Berufungsgericht getan, wobei es offenbar von der unrichtigen Ansicht ausging, daß eine wahlweise Unterstellung ein und desselben Sachverhaltes unter die §§ 50 oder 51 EheG. ohneweiters möglich und die Anwendung der einen oder anderen Gesetzesbestimmung im wesentlichen nur davon abhängig sei, ob man den auf Scheidung Belangten geradezu als geisteskrank oder nur als geistesgestört bezeichne. Das ist aber nicht der Fall. Der § 50 EheG. ist seinem objektiven Tatbestand nach dem § 49 EheG. gleichzuhalten, nur kann der mit ehezerrüttenden Eheverfehlungen belastete Gattenteil zufolge seiner Geistesstörung nicht als schuldig bezeichnet werden (vgl. Schwind, a. a. O., S. 194; Volkmar - Antoni, Eherecht, S. 189). Demgegenüber ist der § 51 EheG. lediglich auf einen besonders qualifizierten Krankheitszustand abgestellt. Unabhängig von allfälligen, zur Ehezerrüttung führenden Eheverfehlungen des geisteskranken Gatten kommt es beim § 51 EheG. bloß auf eine unwiederherstellbare Aufhebung der geistigen Gemeinschaft zwischen den Ehegatten an.
Im Ergebnis hat daher das Berufungsgericht den nur mehr auf § 51 EheG. gestützten Klagsantrag überschritten und überdies keinerlei konkrete Feststellungen getroffen, die dem - gegebenenfalls nicht heranziehbaren - Tatbestand des § 50 EheG. genügt hätten.
Das Verfahren und die Urteile beider Untergerichte sind verfehlt, eine Fortsetzung der Verhandlung in erster Instanz ist unerläßlich. Beide untergerichtlichen Urteile waren daher aufzuheben und die Sache an das Prozeßgericht erster Instanz zurückzuverweisen. In der fortgesetzten mündlichen Streitverhandlung wird einerseits die Klägerin die Gelegenheit haben, ihren Klagsantrag näher zu präzisieren, allenfalls auch weitere Klagegrunde, wie etwa den § 50 EheG., ins Treffen zu führen, und dem Beklagten wird die Möglichkeit offenstehen, dem auf § 51 EheG. und vielleicht noch auf § 50 EheG. gestützten Klagebegehren mit einem nachdrücklichen Hinweis auf § 54 EheG. zu begegnen und allenfalls auch einen Verschuldensantrag zu stellen. Das Erstgericht wird aber, sofern es gemäß §§ 50 oder 51 EheG. neuerdings auf Scheidung erkennen will, einer Sachverständigenbeweisaufnahme nicht entraten können und auch der fraglichen Prozeßfähigkeit des Beklagten Beachtung schenken müssen.
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