Spruch:
Der Sanatoriumsinhaber haftet für den Schaden, den der Besuchsgast durch einen Sturz auf einer in schlechtem Zustand befindlichen Treppe erleidet.
Entscheidung vom 30. April 1952, 2 Ob 322/52.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Die Klägerin hielt sich am 22. Juni 1950 als Gast in der vom Beklagten betriebenen Heilanstalt auf. Gegen 8 Uhr abends stürzte sie auf der vom Parterre der Anstalt in den Hof führenden hölzernen Stiege. Wegen der hiebei erlittenen Verletzungen machte sie gegen den Beklagten Schadenersatzansprüche geltend. Das Verfahren wurde auf den Grund des Anspruches eingeschränkt.
Das Prozeßgericht erkannte, daß der Anspruch dem Gründe nach nicht zu Recht bestehe.
Das Berufungsgericht änderte nach einer teilweisen Beweiswiederholung das erstgerichtliche Zwischenurteil dahin ab, daß es den Anspruch dem Gründe nach als zu Recht bestehend erkannte.
Der Oberste Gerichtshof bestätigte das Urteil des Berufungsgerichtes.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Revisionswerber erblickt darin eine unrichtige rechtliche Beurteilung, daß das Berufungsgericht ein Verschulden des Beklagten auch darin findet, der Beklagte habe die Bespannung der Treppe mit einem Läufer (Teppich) unterlassen, weil dies nicht einmal in Spitälern, geschweige denn in der Anstalt des Beklagten üblich sei, die nur ein Erholungsheim sei. Außerdem will die Revision in dem Verhalten der Klägerin ein Verschulden, ja sogar ein Alleinverschulden erblicken, weil sie in Kenntnis der Glätte der Stufen keine entsprechenden Vorsichtsmaßregeln traf, und sich vor allem nicht mit der rechten Hand am Geländer anhielt.
Ob in Spitälern die Treppen mit Teppichen belegt sind, kann dahingestellt bleiben. Die Anstalt des Beklagten wird als Erholungsheim von Kranken, Rekonvaleszenten oder mit Körpergebrechen behafteten Personen aufgesucht, die nichtbettlägerigen Spitalpatienten gewiß gleichstehen und für die darum besondere Fürsorgemaßnahmen geboten sind. Das Berufungsgericht hat vor allem festgestellt, daß sich trotz der nunmehr vom Beklagten herangezogenen hygienischen Bedenken und der Kostspieligkeit eines Teppichbelages vor dem Kriege auf dieser Treppe tatsächlich ein Läufer befunden hat, der wegen Schadhaftigkeit entfernt werden mußte und gelegentlich der Rekonstruktion der Stiege 1947 wegen des damaligen Materialmangels und der Kosten nicht erneuert wurde. Seither und vor allem zur Unfallszeit (1950) konnte aber die Beschaffung eines Läufers ohne weiteres erfolgen und auf die - an und für sich nicht übermäßigen - Kosten einer solchen Anschaffung vermag sich der Beklagte nicht zu berufen, weil ihm die Beschaffung zugemutet werden konnte.
Daß die Klägerin am Unfallstage nicht mehr in ständiger Pflege als Patientin stand, sondern nur Besuchsgast war, ändert die Rechtslage nicht, da ja auch ein Besuchsgast in einer solchen Anstalt wie in einem Hotel nach den Grundsätzen der Gastaufnahme (§ 970 ABGB.) beherbergt wird und demnach zwischen ihm und dem Anstaltsbesitzer ein Vertragsverhältnis besteht. Aber selbst wenn ein solcher Vertrag nicht bestunde, war die Klägerin, da sie zumindest vorübergehend im Hause zu Besuch war und dort zu Abend aß, als befugte Benützerin der für sie in Betracht kommenden Hauseinrichtungen anzusehen, also hier die Treppe, und der Beklagte haftet für deren schlechten Zustand, durch welchen der Benützende zu Schaden kommt, wenn dieser Zustand bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte vermieden oder beseitigt werden können.
Was aber das Verhalten der Klägerin während des Unfalls angeht, so hat das Berufungsgericht festgestellt, daß sie zuerst in der rechten Hand ein nicht vollgefülltes Bierglas trug, das sie später in die linke Hand nahm, unter dem linken Arm eingeklemmt aber ihre Handtasche, und daß sie langsam und ohne Hast ging, ohne mit den in ihrer Begleitung befindlichen Personen zu reden. Es ist daher zunächst aktenwidrig, wenn die Revision behauptet, die Klägerin habe sich während des Benützens der Treppe unterhalten. Bei entsprechendem Zustand der Stufen war es für sie nicht notwendig, sich an dem Geländer festzuhalten, das nur eine zusätzliche Schutzvorrichtung darstellt. Das Berufungsgericht hat sich aber auch damit befaßt, daß die Klägerin bei ihrer Parteienvernehmung angab, die Stiege sei nicht nur zur Unfallszeit, sondern auch sonst auffällig glatt und diese Beschaffenheit sei ihr schon vorher aufgefallen. Während aber das Erstgericht, so wie nunmehr die Revision, aus dieser Kenntnis folgerte, die Klägerin wäre zu erhöhter Vorsicht und zur Benutzung des Geländers verpflichtet gewesen, hat das Berufungsgericht in diesem Verhalten der Klägerin kein Mitverschulden erblickt, weil sie ja während ihres sieben Wochen währenden Kuraufenthaltes in der Anstalt auf der Treppe nie stürzte und außerdem von ihr nicht verlangt werden könne, daß sie sich bei Benutzung der Treppe am Geländer festhielt, da doch der Beklagte selbst die Stiege als ungefährlich und nicht übermäßig glatt ansah.
Diesen Erwägungen kann im wesentlichen zugestimmt werden. Von der Klägerin konnte keine das verkehrsübliche Maß übersteigende Vorsicht bei der Benutzung einer Treppe gefordert werden, auch dann nicht, wenn sie die Treppe für glatt ansah. Denn die häufige Benutzung während ihres langen Kuraufenthaltes in der Anstalt konnte in ihr die Überzeugung wachrufen, daß keine, akute Unfallsgefahr bestehe. Weder in dem Tragen eines halbvollen Bierglases in der rechten, später in der linken Hand, noch in dem Unterlassen der Benutzung des Treppengeländers liegt darum ein Mit-, geschweige denn, wie die Revision meint, ein Alleinverschulden der Klägerin. Zumindest wäre, wollte man hier selbst ein Mitverschulden annehmen, dieser Anteil der Klägerin am Verursachungs- und Schuldzusammenhang gegenüber dem Verhalten des Beschädigers, der die nötige Sorgfalt bei der Instandhaltung der Treppe unterließ, so gering, daß er praktisch nicht mehr in Betracht kommt. Es ist voller Schadenersatzanspruch gegeben und der Beschädiger hat den ganzen Schaden zu ersetzen.
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