OGH 3Ob181/52

OGH3Ob181/529.4.1952

SZ 25/93

Normen

EheG §55
EheG §59 (2)
EheG §55
EheG §59 (2)

 

Spruch:

Auch bereits verziehene Eheverfehlungen können für die Beurteilung der Zerrüttungsursache bei Klagen nach § 55 EheG. herangezogen werden.

Entscheidung vom 9. April 1952, 3 Ob 181/52.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Ehemann hat Scheidung seiner mit der Beklagten am 20. März 1920 geschlossenen Ehe nach § 55 EheG. begehrt; die beklagte Ehefrau hat Abweisung wegen Mangels der Grundvoraussetzungen des § 55 Abs 1 EheG. beantragt und Widerspruch erhoben.

Das Erstgericht hat die Scheidungsklage abgewiesen, weil die Auflösung der häuslichen Gemeinschaft im Jahre 1946 - die beklagte Ehefrau hat damals unter dem Druck der Verhältnisse die Stelle einer Leiterin in einem Heim angenommen - berufsbedingt gewesen sei. Für den Fall, daß seine Rechtsansicht über die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft nicht geteilt werden sollte, hat sich das Erstgericht auch mit dem Widerspruch der Beklagten befaßt. Es ist dabei zum Ergebnis gekommen, daß der Widerspruch der beklagten Ehefrau sowohl begrundet als auch beachtlich sei.

Das Berufungsgericht hat dieses Urteil bestätigt. Es hielt im Gegensatz zum Erstgericht die Voraussetzung der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft seit drei Jahren für gegeben, teilte aber die Auffassung des Erstgerichtes über die Zulässigkeit und die Beachtlichkeit des Widerspruches.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Revision kann Berechtigung nicht zuerkannt werden. Allerdings vermag das Revisionsgericht der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes nicht zu folgen, wenn dieses aus § 59 Abs. 2 EheG. ableiten will, daß der von der Ehefrau zugestandene Ehebruch, weil verziehen, überhaupt nicht für die Frage der Zerrüttung der Ehe herangezogen werden könne. § 59 Abs. 2 EheG. gilt nur für Scheidungen wegen Verschuldens, für die Scheidung aus anderen Gründen aber nicht. Es wäre daher verfehlt, den Schluß zu ziehen:

Weil verziehene Eheverfehlungen bei Scheidungsklagen aus Verschulden zur Unterstützung herangezogen werden können, können sie es nicht für die Beurteilung der Zerrüttungsursache bei einer Klage auf Scheidung ohne Verschulden (vgl. Volkmar - Antoni, S. 211, Scanzoni "Scheidung ohne Verschulden", dritte Auflage, S. 34, RGZ. 162/11). Würde übrigens die Auffassung des Berufungsgerichtes zutreffen, dann müßte auch das gesamte ehewidrige Verhalten des Klägers, soweit es vor der Wiedervereinigung liegt, als verziehen außer Betracht bleiben und könnten auch nachträgliche Verfehlungen des Ehemannes, insbesondere die Szene, die den Brief der beklagten Ehefrau vom 16. August 1946 veranlaßt hat, nicht für die Lösung der Frage herangezogen werden, ob der Kläger die Zerrüttung verschuldet hat. Denn die Beklagte hat erklärt, dem Kläger verziehen zu haben.

Bei der Lösung der Frage der Zulässigkeit des Widerspruches war von folgenden Erwägungen auszugehen:

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen haben die geschlechtlichen Beziehungen der Ehegatten schon im Jahre 1924 aufgehört, da sich beim Ehemann immer mehr und mehr eine sexuelle Schwäche bemerkbar machte. Trotzdem sind die Ehegatten dann noch durch 13 Jahre beisammen geblieben und haben sich erst im Jahre 1937 einverständlich von Tisch und Bett scheiden lassen. Der Ehebruch der Ehefrau fällt in die Zeit nach der Scheidung. Der Oberste Gerichtshof vermag nun die Rechtsauffassung der Vorinstanzen nicht zu teilen, daß die Scheidung von Tisch und Bett die Treuepflicht beseitigt hat und daß daher Ehebruch eines geschiedenen Gatten nicht als Verschulden gewertet werden kann. Die Auffassung vom Aufhören der Treuepflicht ist zwar im Schrifttum hie und da vertreten worden, von der Rechtslehre aber überwiegend und ebenso von der Judikatur (vgl. GlUNF. 6709 und 5215) abgelehnt worden (vgl. Lenhoff in Klangs Kommentar, 1. Aufl., zu § 93 ABGB., S. 617, Fußnote 46). Es haben aber weder der Ehebruch der Frau während der Zeit, da die Ehegatten getrennt lebten, noch auch die in die Zeit vor der Scheidung fallenden Temperamentsausbrüche des Klägers und sein unbeherrschtes Wesen in dieser Zeit die Ehe so schwer zerrüttet, daß sie in Brüche gegangen wäre. Denn schon nach einem Vierteljahr haben sich die Ehegatten wieder vereinigt und sind dann neuerdings acht Jahre zusammen geblieben. Sie haben von der Wiedervereinigung an allerdings getrennt geschlafen, aber nach den Feststellungen der Vorinstanzen sind sich die Ehegatten gerade in dieser Zeit, als der Kläger seinen Posten verlor und mit seiner Familie in Not geriet, seelisch näher gekommen. Durch die Schicksalsschläge hat sich das Verhältnis der Ehegatten nicht verschlechtert, sondern eher gebessert. Im Jahre 1946 ist dann die Wohnungsgemeinschaft aufgehoben worden. Dies hatte seinen Grund nicht in einem den einen oder anderen Teil zur Last fallenden Umstand, sondern war dadurch bedingt, daß die Ehefrau, die selbst etwas ins Verdienen bringen mußte, die Stelle als Leiterin eines Heimes antrat. Während der Trennung hat sich die Entfremdung der Ehegatten verschärft. Zur beruflichen Notwendigkeit des Getrenntlebens trat zumindest beim Kläger die Absicht, die Gemeinschaft nicht wieder aufzunehmen. Als dann im Jahre 1949 die Ehefrau als Hausmutter des Heimes zum 30. September 1949 gekundigt wurde und hierauf in die eheliche Wohnung zurückkehrte, ist der Ehemann aus der Ehewohnung weggezogen, einerseits, weil er mit seiner Frau nicht mehr zusammen hausen wollte, anderseits, um seiner Tochter, die inzwischen mit ihrer Familie in die Wohnung gekommen war, Platz zu machen.

Wenn man diesen Sachverhalt rein äußerlich betrachtet, könnte man zur Meinung gelangen, daß die Zerrüttung der Ehe, wie sie aus der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft und in der Aufrechterhaltung dieser Heimtrennung zu entnehmen ist, vorwiegend darin ihren Grund hat, daß sich die Ehegatten (zumindest gilt dies vom Kläger) in der Zeit der beiderseits unverschuldeten Trennung auseinandergelebt haben. In diesem Fall wäre die Zerrüttung, die eben in der Auflösung der Hausgemeinschaft ihren Ausdruck findet, von keinem Teil verschuldet und der Widerspruch der Ehefrau daher unzulässig.

Eine solche Betrachtungsweise würde aber nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes der Sachlage doch nicht gerecht werden. Die Entfremdung während der Zeit des Getrenntlebens in den Jahren 1946 bis 1949 ist nämlich zum guten Teil auf das Verhalten des Ehemannes zurückzuführen. Hier kommt insbesondere die schon erwähnte Schimpfszene in Betracht, die der Kläger seiner Frau gemacht hat und die diese wieder dazu veranlaßt hat, im Brief vom 26. August 1946 sich weitere Besuche des Klägers zu verbieten. Daß sich die Ehegatten ihr Verhalten beiderseits verziehen haben, kommt für die Frage der Zerrüttung der Ehe und ihrer Ursachen nicht in Betracht, sondern es ist nur zu fragen, ob die Entfremdung durch ein an sich schuldhaftes Verhalten verursacht wurde. In dieser Beziehung haben aber beide Instanzen festgestellt, daß die verschiedenen Streitszenen während der Zeit des Getrenntlebens ("die Berührungspunkte zwischen den beiden Streitteilen waren dann allerdings praktisch nur mehr Streitigkeiten, welche im Finanziellen ihre Ursache hatten") zum großen Teil auch in der Unbeherrschtheit des Klägers ihren Grund hatten. Da nach dem Gutachten des im Verfahren erster Instanz vernommenen Sachverständigen die Hemmungsfähigkeit des Klägers trotz seiner erheblichen Psychopathie nicht aufgehoben ist, muß in dem Verhalten des Klägers ein Verschulden an dem Fortschreiten der Zerrüttung der Ehe erblickt und demgemäß der Widerspruch der beklagten Partei als zulässig angesehen werden.

Die Beachtlichkeit des Widerspruches steht nach der Auffassung des Obersten Gerichtshofes außer Frage. Es genügt, in dieser Beziehung auf die durchaus zutreffende Beurteilung der Vorinstanzen hinzuweisen.

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