Spruch:
Mit dem Wert der besonderen Vorliebe im Sinne des § 1331 ABGB. ist der außerordentliche Wert des § 305 ABGB. gemeint.
Entscheidung vom 28. Dezember 1951, 2 Ob 479/51.
I. Instanz: Landesgericht Linz - Nord; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger ist Eigentümer eines Schotterbrechers. Die dazugehörigen Fahrgestelle befanden sich ursprünglich in einer Scheune und wurden während des Krieges wegen Platzmangels außerhalb der Scheune im Freien untergebracht. Diese Fahrgestelle wurden dem Kläger von dem Beklagten gestohlen und als Alteisen verkauft.
Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers auf Beschaffung zweier Fahrgestelle statt. Es stellte fest, daß die Erzeugung von Schotterbrechern von der Type des gegenständlichen und damit auch die Erzeugung der Fahrgestelle eingestellt sei, erachtete aber die Leistung des Ersatzes in Natur nicht für untunlich, weil die Fahrgestelle auf Grund von Plänen mit einem Kostenaufwand von 7000 S bis 8000 S wieder hergestellt werden könnten. Da der Wert des Schotterbrechers durch den Verlust der Fahrgestelle erheblich vermindert sei und der Kläger die Fahrgestelle zur Beförderung des Schotterbrechers benötige, liege der Naturalersatz im überwiegenden Interesse des Klägers.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Aus dem Akt des gegen den Beklagten eingeleiteten Strafverfahrens ergebe sich, daß der Schotterbrecher schon seit 20 Jahren unbeweglich aufgestellt gewesen sei und daß die Fahrgestelle während dieser Zeit im Freien gelegen seien, so daß der Kläger die Beförderung des Schotterbrechers gar nicht ins Auge gefaßt habe. Eine erhebliche Entwertung des Schotterbrechers durch das Fehlen der Fahrgestelle liege nicht vor. Da die Herstellung des früheren Zustandes einen unverhältnismäßig großen Aufwand erfordere und ein vom Schätzwert abweichender Wert der besonderen Vorliebe nicht behauptet worden sei, könne die Wiederherstellung des früheren Zustandes nicht begehrt werden. Einen Anspruch auf Ersatz des Schätzwertes habe der Kläger nicht gestellt.
Der Oberste Gerichtshof hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Sache an dieses zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wird darin erblickt, daß das Berufungsgericht bei der Feststellung des Sachverhaltes Zeugenaussagen verwertet habe, die im Strafverfahren von der Gendarmerie abgegeben worden seien. Das Erstgericht hat auf Grund der Aussage des im Rechtsstreit vernommenen Ludwig P. festgestellt, daß die Fahrgestelle erst während des Krieges außerhalb der Scheune aufgestellt wurden. Von dieser Feststellung konnte das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung nicht abgehen. Durch die auf den Strafakt gestützte Feststellung, daß die Fahrgestelle schon seit 20 Jahren im Freien herumlägen und daß der Kläger eine Beförderung des Schotterbrechers gar nicht ins Auge gefaßt habe, hat das Berufungsgericht den Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens verletzt. Es hat, obwohl es nur den festgestellten Sachverhalt seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legen wollte, eine Beweisumwürdigung vorgenommen.
Das Berufungsgericht ist aber auch von einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung ausgegangen. Der Beklagte hat nach § 1331 ABGB. dem Kläger auf dessen Verlangen den Wert der besonderen Vorliebe zu ersetzen. Die Festsetzung dieses Wertes fällt in den Bereich der rechtlichen Beurteilung. Der Kläger hat sein Interesse an der Wiederherstellung des früheren Zustandes damit begrundet, daß der Schotterbrecher ohne die Fahrgestelle nicht befördert werden könne. Unter dem Wert der besonderen Vorliebe ist der außerordentliche Wert des § 305 ABGB. gemeint. Er beruht auf dem wirtschaftlichen Zusammenhang der zu schätzenden Sache mit anderen Sachen desselben Eigentümers. Nach § 305 ABGB. ist derjenige Wert zu ersetzen, der sich unter Bedachtnahme auf das persönliche Verhältnis und die besonderen Gefühle des Eigentümers ergibt. Da es auf die innere Einstellung des Klägers zu dem zu ersetzenden Gegenstand ankommt, könnte es ihm nicht verwehrt werden, von dem Beklagten den Ersatz desjenigen Betrages zu erlangen, der ihm die Anschaffung des Ersatzstückes ermöglicht. Ist der Anschaffungswert ein höherer als der Verkaufswert, so ist im Falle der Beschädigung durch eine durch das Strafgesetz verpönte Handlung der Anschaffungswert der Bewertung zugrunde zulegen (Klang 2. Aufl. § 305, S. 47 ff.). Wenn aber der Kläger auf Ersatz des Anschaffungswertes bestehen kann, so ist die Leistung des Ersatzstückes nicht deshalb untunlich, weil die Anschaffungskosten unverhältnismäßig hoch sind. Der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt hätte daher die Abweisung des Klagebegehrens nicht gerechtfertigt. Da der Beklagte unter dem Gesichtspunkte der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen Beweiswürdigung die erstrichterlichen Feststellungen bekämpft hat und das Berufungsgericht in die Beurteilung dieser Berufungsgrunde nicht eingegangen ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
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