OGH 4Ob101/51

OGH4Ob101/5126.11.1951

SZ 24/321

Normen

AngG §1
AngG §1

 

Spruch:

Bei der höheren Dienstleistung kommt es nicht so sehr auf das Zeitverhältnis an, in dem die vom Dienstnehmer geleisteten höheren Dienste zu seinen anderweitigen Verrichtungen stehen, sondern vielmehr darauf, welche Bedeutung und Wichtigkeit den höheren Diensten im Rahmen der vom Dienstnehmer entwickelten Gesamttätigkeit zukommt.

Ein Schleppsteuermann ist Angestellter.

Entscheidung vom 26. November 1951, 4 Ob 101/51.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage gegen die kurzfristige Lösung seines Dienstverhältnisses mit der beklagten Partei unter Berufung darauf zur Wehr gesetzt, daß er seit über 20 Jahren als Schleppsteuermann in Diensten der beklagten Partei gestanden und ihm in dieser Verwendung Angestellteneigenschaft zugekommen sei. Die beklagte Partei hat eingewendet, daß Kläger niemals die Eigenschaft eines Angestellten im Sinne des Angestelltengesetzes besessen habe.

Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil entschieden, daß der Anspruch des Klägers dem Gründe nach nicht zu Recht besteht, indem es die Angestelltenqualität des Klägers auf Grund der durchgeführten Beweise verneinte.

Der Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht Folge gegeben und das Zwischenurteil des Arbeitsgerichtes dahin abgeändert, daß es den Anspruch des Klägers als dem Gründe nach zu Recht bestehend erkannte. Im Gegensatz zum Arbeitsgericht nahm das Berufungsurteil auf Grund der von ihm getroffenen Feststellungen die Angestelltenqualität des Klägers als gegeben an.

Der Oberste Gerichtshof hat der Revision der beklagten Partei nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es ist gewiß richtig, daß unter höheren Dienstleistungen solche zu verstehen sind, die ein überdurchschnittliches Maß von Vorbildung, Wissen und Können verlangen oder die an Bedeutung und Wichtigkeit für das Unternehmen, in dem sie geleistet werden, über das Allgemeine und Gewöhnliche hinausreichen. Das angefochtene Urteil stellt fest, daß bei der Verladetätigkeit nicht ständig ein Beamter der Agentie anwesend ist, daß die zu ladenden Waren an Hand einer Ladeliste übernommen werden und der Schleppsteuermann für die ordnungsgemäße Verladung Sorge zu tragen, das Ladebuch zu überprüfen, eventuelle Mängel festzustellen, beschädigte Kollis zu beanständen und hierüber Protokolle aufzunehmen hat. Es hat weiters festgestellt, daß in Orten, wo keine Agentie besteht, der Schleppsteuermann völlig selbständig handelt. Er muß Getreide an bestimmten Orten unter Garantie übernehmen, in Orten, wo weder eine Agentie noch ein Hafenkapitanat existieren, selbst die Behörden aufsuchen, die Ausfolgung der Zollpapiere und der sogenannten Zoll-Manifeste beantragen, hiefür Geldbeträge erlegen, nach Ausfolgung der Papiere die Ware auf sichtbare Mängel, wie bei Getreide auf Muffigkeit, Feuchtigkeit und Ungeziefer, überprüfen, nach in Ordnung befundener Ware den Garantieschein fertigen usw. Es hat ferner festgestellt, daß der Schleppsteuermann bei der Verladung das Gewicht von jeder einzelnen Abwaage in das Waagebuch einzutragen und jeden Abend die Abrechnung vorzunehmen, des weiteren das Übernahmsbestätigungsbuch mit Eintragung des Verladequantums zu führen hat. Falls eine Bemusterung der Ware erfolgt, geschieht diese nur im Beisein eines Vertrauensmannes des Käufers, des Zollbeamten und des Schleppsteuermannes. Er kann Bemusterungen nur bestätigen, wenn ihm eine Bescheinigung der Agentie des Bestimmungsortes vorgewiesen wird. Bei Ausladungen, die mit Hilfe von Elevatoren, Kippern oder Saugern im Beisein eines Zollbeamten erfolgen, ist gleichfalls niemand von der Agentie anwesend. Ergibt sich beim Abwiegen ein bestimmtes Manko, so haftet für dieses der Schleppsteuermann. Das Berufungsurteil stellt ferner fest, daß der Schleppsteuermann Tagebücher zu führen, Schadensberichte zu verfassen hat und im ungarischen Kanalsystem völlig selbständig handeln muß, weil er ganz auf sich allein gestellt ist, Kläger aber seit Jahren hauptsächlich an der unteren Donau gefahren ist. Für die Berechnung der bei Überschreitung der Ladezeit zu bezahlenden Gebühren hat der Schleppsteuermann die Grundlagen zu liefern. Auf Grund all dieser Feststellungen hat das Berufungsgericht die Folgerung gezogen, daß Kläger vorwiegend, wenn auch nicht zur Leistung kaufmännischer Dienste oder Kanzleiarbeiten, so doch zur Leistung höherer Dienste angestellt war. Die Voraussetzungen für den Begriff der höheren Dienste sieht das Berufungsgericht schon in der Tätigkeit des Schleppsteuermannes an der unteren Donau auf jeden Fall gegeben, da ihm dort weitgehendst eigene Initiative zukommt, weshalb seine Tätigkeit eine mit großer Verantwortung verbundene, besondere Fähigkeiten erfordernde und beaufsichtigende ist. Der an Bedeutung den nautischen überragende Administrativdienst rechtfertigt nach Auffassung des angefochtenen Urteils die Zubilligung der Angestelltenqualität. Der Beurteilung der Tätigkeit des Klägers als Schleppsteuermann durch das Berufungsgericht auf Grund der von ihm getroffenen Feststellungen schließt sich das Revisionsgericht mit dem Beifügen an, daß es bei Beantwortung der Frage der vorwiegend höheren Dienstleistung nicht so sehr darauf ankommt, in welchem Zeitverhältnis die höheren Dienste zu anderen Dienstleistungen stehen, als vielmehr darauf, welche Bedeutung und Wichtigkeit den höheren Diensten im Rahmen der vom Schleppsteuermann entwickelten Gesamttätigkeit zukommt. Wenn schon ein Vergleich der Stellung des Schleppsteuermannes mit einer anderen Berufsgruppe angestellt wird, so trifft ein solcher viel eher auf den Magazineur als auf einen Lastkraftwagenführer zu. An den Begriff der "höheren Dienste" darf kein unverhältnismäßig strengerer Maßstab angelegt werden, als an den der kaufmännischen Dienste. Als "höhere Dienstleistung" wird jede Arbeit in Betracht kommen, die, ohne daß gerade irgendein bestimmter Studiengang vorausgesetzt wird, doch in der Richtung der Betätigung entsprechende Vorkenntnisse und Schulung verlangt, Vertrauen und eine gewisse fachliche Durchdringung der Arbeitsaufgaben erfordert, also nicht rein mechanisch geübt wird, und nicht von einer zufälligen Ersatzkraft geleistet werden kann.

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