OGH 3Ob628/51

OGH3Ob628/5114.11.1951

SZ 24/312

Normen

ABGB §364b
ABGB §859
ABGB §1295
ABGB §1315
ABGB §1323
ABGB §1338
Bundesverfassungsgesetz Art23
ABGB §364b
ABGB §859
ABGB §1295
ABGB §1315
ABGB §1323
ABGB §1338
Bundesverfassungsgesetz Art23

 

Spruch:

Eine Gemeinde, die Arbeiten zur Erhaltung von Straßen durchführen läßt, haftet den Grundnachbarn und den Straßenbenützern gegenüber nach den Grundsätzen des Zivilrechts, daher auch nach § 364b ABGB.

Der Anspruch nach § 364b ABGB. ist kein Schadenersatzanspruch, sondern ein im Nachbarrecht begrundeter Ausgleichsanspruch.

Zur Frage der Untunlichkeit des Naturalersatzes einer Sache, die im Zeitpunkt ihrer Zerstörung bereits beschädigt war.

Der Umstand, daß ein eingestürztes Haus mietengeschützt war und das wiederhergestellte Haus mieterschutzfrei wäre, läßt den Naturalersatz nicht untunlich erscheinen.

Auch bei einer nicht vertretbaren Sache ist Naturalersatz möglich. Allerdings ist er nur dann tunlich, wenn die Ersatzleistung der zerstörten Sache wirtschaftlich gleichwertig ist.

Entscheidung vom 14. November 1951, 3 Ob 628/51.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die klagenden Parteien haben das Klagebegehren gestellt, die beklagte Partei sei schuldig, das den Klägern gehörige, am 2. Juli 1947 eingestürzte Haus aus möglichst gleichartigen Materialien wieder aufzubauen und in jenem Bauzustand wiederherzustellen, in dem sich das Haus zu Ostern 1946 befunden hat. Diese Aufbauarbeiten seien binnen 14 Tagen in Angriff zu nehmen, ohne jeden Verzug durchzuführen und in angemessener Zeit zu beenden.

Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil den Anspruch der klagenden Partei dem Gründe nach als nicht zu Recht bestehend erkannt.

Infolge Berufung der klagenden Parteien hat das Berufungsgericht dieses Urteil aufgehoben und die Sache unter Rechtskraftvorbehalt zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht zurückverwiesen.

Der Oberste Gerichtshof hat dem Revisionsrekurs der beklagten Gemeinde und des Nebenintervenienten nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die klagenden Parteien stützen ihren Klagsanspruch auf die Behauptung, daß die beklagte Gemeinde durch Baufirmen den zwischen der Stützmauer des W.flusses und der Front des Hauses liegenden Straßengrund weitgehend habe abtragen lassen, daß bei diesen Bauarbeiten von den Baufirmen die nötigen Sicherungen in grob fahrlässiger Weise außer acht gelassen worden seien und daß diese Vernachlässigung sowie eine Reihe schwerwiegender technischer Fehler bei Durchführung der Arbeiten den Einsturz des Hauses verschuldet hätten. Überdies habe die beklagte Partei, als bereits die Gefahr des Einsturzes des Hauses klar erkennbar gewesen und die beklagte Partei von der klagenden Partei wiederholt auf die Einsturzgefahr aufmerksam gemacht worden sei, die zur Rettung des Hauses erforderlichen Maßnahmen nicht getroffen. Die beklagte Partei hafte daher als Bauherr für das Verschulden der Baufirmen und überdies auch auf Grund des § 364b ABGB. als Grundnachbar für den durch den Einsturz des Hauses entstandenen Schaden.

Die beklagte Partei hat zunächst geltend gemacht, daß sie für den Einsturz des Hauses nicht haftbar gemacht werden könne, da die Straße öffentliches Gut sei und es sich bei den Arbeiten an dieser Straße um Akte der Hoheitsverwaltung handle. Für das Verschulden ihrer Organe könne sie aber nicht verantwortlich gemacht werden, weil sich diese Vorgänge vor dem Inkrafttreten des Amtshaftungsgesetzes ereignet hätten.

Beide Vorinstanzen haben diese Auffassung der beklagten Partei mit Recht abgelehnt. In Art. 120 Abs. 3 Z. 3 des Bundesverfassungsgesetzes wird allerdings den Ortsgemeinden die Sorge für die Erhaltung der Straßen, Wege, Plätze und Brücken zugewiesen. Es ist daher nicht zweifelhaft, daß alle Anordnungen einer Ortsgemeinde, die im Rahmen dieser Verpflichtung getroffen werden, als Akte der Hoheitsverwaltung gelten müssen. Sobald aber die Ortsgemeinde, sei es durch ihre eigenen Angestellten oder Arbeiter, sei es durch dritte Personen (im vorliegenden Falle durch die oben angeführten Baufirmen) die notwendigen Arbeiten durchführen läßt, tritt sie nicht mehr als Träger der Hoheitsverwaltung, sondern als Bauherr auf und haftet als solcher den Grundnachbarn und den Straßenbenützern gegenüber nach den Grundsätzen des Zivilrechtes (siehe GlUNF. 5683 und 6524).

Art. 23 Abs. 2 des Bundesverfassungsgesetzes bestimmt ausdrücklich, daß die Gebietskörperschaften, soweit sie als Träger von Privatrechten in Betracht kommen, nach den Bestimmungen des Zivilrechtes für den Schaden haften, den als ihre Organe handelnde Personen verursacht haben.

Es ist zu untersuchen, ob sich die Kläger zur Begründung ihres Klagsanspruches auf § 364b ABGB. stützen können. Das Berufungsgericht hat diese Frage mit Recht bejaht. Nach den Feststellungen des Prozeßgerichtes hat die beklagte Gemeinde an die Baufirmen den Bauauftrag erteilt, die an der Straße entstandenen Schäden zu beheben und zu diesem Zwecke den Straßengrund weitgehend abzutragen. Da die Straße nicht Bundesstraße ist, steht sie als öffentliches Gut im Eigentum der Gemeinde. Diese ist daher im Sinne des § 364b ABGB. als Grundnachbar des Grundstückes anzusehen, auf welchem das Haus errichtet worden war. Die beklagte Gemeinde haftet daher nach § 364b ABGB. den Eigentümern dieses Hauses für die durch die Vertiefung des Straßengrundes herbeigeführten Nachteile, somit auch für den Einsturz des Hauses, vorausgesetzt, daß der Einsturz auf die Vertiefung des angrenzenden Straßengrundes zurückzuführen ist und daß die von den Baufirmen angewendeten Befestigungsmaßnahmen nicht hinreichend waren, diesen Einsturz zu verhindern. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß die auf § 364b ABGB. gestützten Ansprüche des Grundnachbarn nicht als Schadenersatzansprüche, sondern als Ausgleichsansprüche anzusehen sind, die im Nachbarrechte gegrundet sind, entspricht dem in der Entscheidung des OGH. SZ. XI/233 ausgesprochenen Rechtsgedanken und wird daher gebilligt.

Die im Rekurse des Nebenintervenienten vertretene Ansicht, daß die Ansprüche der klagenden Partei nicht auf § 364b ABGB. gestützt werden könnten, weil die Gemeinde als Verwalterin des öffentlichen Gutes einen Bauauftrag hinsichtlich der Beseitigung der Schäden an der Straße erteilt habe und daher eine baubehördliche Bewilligung hinsichtlich dieser Arbeiten vorliege, kann nicht geteilt werden. Aus der Entscheidung SZ. XI/233 kann nicht entnommen werden, daß der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht vertreten hat, eine Haftung nach § 364b ABGB. sei dann auszuschließen, wenn für die Bauarbeiten auf dem Nachbargrunde eine baubehördliche Genehmigung erteilt wurde.

Die Entscheidung des Rechtsstreites wird daher zunächst von der Beantwortung der Frage abhängen, ob zwischen den am Straßengrund von der beklagten Partei veranlaßten und von den Baufirmen durchgeführten Bauarbeiten und dem Einsturz des Hauses ein kausaler Zusammenhang besteht und ob die von den Baufirmen angewendeten Sicherungsmaßnahmen hinreichend waren oder ob der Einsturz des Hauses auf andere, von der beklagten Partei nicht zu vertretende Umstände zurückzuführen ist und durch die von den Baufirmen angewendeten Sicherungsmaßregeln daher nicht verhindert werden konnten.

Aber auch wenn man annehmen wollte, daß die aus § 364b ABGB. abgeleiteten Ansprüche des Gründeigentümers als Schadenersatzansprüche zu werten sind, müßte darauf verwiesen werden, daß diese Ansprüche nach § 1295 ABGB. zu beurteilen wären. Da die Kläger behaupten, daß die beklagte Partei das in § 364b ABGB. aufgestellte Verbot der Vertiefung des Nachbargrundes ohne hinreichende Sicherung verletzt habe, würde die Entscheidung über die Berechtigung eines Schadenersatzanspruches der Kläger auch nur von der Beantwortung der Frage abhängen, ob die von der beklagten Partei veranlaßte Vertiefung des Straßengrundes den Einsturz des Hauses verschuldet hat und ob die von den Baufirmen angewendeten Sicherungsmaßnahmen hinreichend gewesen sind.

Abgesehen davon, haben die Kläger ein Verschulden der von der beklagten Partei mit der Durchführung der Arbeiten betrauten Firmen in mehrfacher Richtung behauptet. Daß die beklagte Partei grundsätzlich für das Verschulden dieser Baufirmen nach § 1315 ABGB. haftet, falls eine Untüchtigkeit dieser Firmen erwiesen würde, hat das Berufungsgericht mit zutreffenden Gründen dargetan. Falls im vorliegenden Falle nachgewiesen würde, daß die Baufirmen bei Durchführung der ihnen von der beklagten Partei übertragenen Arbeiten sich als untüchtig erwiesen haben, könnte die beklagte Partei für den aus dieser Untüchtigkeit entstandenen Schaden haftbar gemacht werden.

Da die Kläger ein auf Geldleistung gerichtetes Eventualbegehren nicht gestellt haben, ist zu prüfen, ob nicht das Klagebegehren auf Wiederaufbau des eingestürzten Hauses ohne weitere Beweiserhebungen wegen Untunlichkeit der begehrten Leistung abzuweisen sei.

Aus § 1323 ABGB. ergibt sich, daß die Verpflichtung zum Schadenersatz in erster Linie durch die Wiederherstellung des vorigen Standes zu erfüllen ist. Es kann daher gesagt werden, daß die Kläger grundsätzlich berechtigt sind, von der beklagten Partei den Wiederaufbau des eingestürzten Hauses in dem Zustande zu begehren, in welchem es sich vor dem schädigenden Ereignis befunden hat, vorausgesetzt, daß sie zum Schadenersatze verpflichtet ist. Ob diese Leistung untunlich ist, kann auf Grund der bisherigen Feststellungen der Vorinstanzen nicht entschieden werden. Das Prozeßgericht hat die angebotenen Beweise nicht zur Gänze durchgeführt und keine ausreichenden Feststellungen getroffen, insbesondere aber über Art und Umfang der Beschädigungen des Hauses und den Zustand des Hauses vor dem Eintritt des schädigenden Ereignisses zureichende Feststellungen unterlassen. Das Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung von der Rechtsansicht ausgegangen, daß bereits vor Eintritt des schädigenden Ereignisses vorhandene Beschädigungen an diesem Hause vernachlässigt werden können, wenn diese Beschädigungen unbedeutend waren und in keinem Verhältnis zu den Kosten des Wiederaufbaues stehen. Diese Rechtsansicht wird gebilligt, da von einer Untunlichkeit der begehrten Leistung nur dann gesprochen werden könnte, wenn das eingestürzte Haus zur Zeit des schädigenden Ereignisses schon so schwere Beschädigungen aufgewiesen hätte, daß die beklagte Partei bei einem Wiederaufbau des Hauses wirtschaftlich mehr leisten würde, als den Klägern entgangen ist, und ein neu erbautes Haus gegenüber dem eingestürzten Haus wirtschaftlich als etwas völlig anderes angesehen werden müßte.

Der Umstand, daß ein neu erbautes Haus im Gegensatz zu dem eingestürzten Hause nicht dem Mietengesetz unterliegen würde und daher die Hauseigentümer größere materielle Vorteile aus den Vermietungen dieses Hauses ziehen könnten wie früher, steht dem Klagebegehren, wie schon das Berufungsgericht zutreffend dargetan hat, nicht entgegen. Maßgebend kann nur sein, ob durch die Wiedererrichtung des eingestürzten Hauses der frühere Zustand wiederhergestellt wird. Ob die Gründeigentümer sodann durch die Wiederherstellung des Hauses in die Lage versetzt werden, höhere Mietzinse zu erzielen, ist nicht entscheidend.

Der im Rekurs des Nebenintervenienten vertretenen Ansicht, daß die Wiederherstellung des vorigen Zustandes durch Naturalrestitution nur dann in Frage kommen könne, wenn die Ersatzleistung wirtschaftlich gleichwertig ist, kann wohl gebilligt werden, jedoch mit der Einschränkung, daß Preisschwankungen, die zwischen dem Zeitpunkte des Eintrittes des schädigenden Ereignisses und dem Zeitpunkte der Ersatzleistung liegen, unberücksichtigt bleiben müssen. Unrichtig ist aber die Ansicht, daß ein Naturalersatz nur bei vertretbaren Sachen möglich sei. Der Rekurs vermag sich zur Begründung dieser Ansicht nicht auf eine gesetzliche Vorschrift zu berufen. Im allgemeinen wird wohl ein Naturalersatz bei vertretbaren Sachen leichter möglich sein. Ob bei unvertretbaren Sachen ein Naturalersatz begehrt werden kann, hängt von der Beschaffenheit dieser Sachen ab. Bei Bauwerken kann nicht von vornherein erklärt werden, daß eine Ersatzleistung durch Errichtung eines gleichartigen Bauwerkes unmöglich ist. Zuzugeben ist dem Rekurse auch, daß eine Ersatzleistung in natura nicht gefordert werden kann, wenn sie aus Gründen der Zweckmäßigkeit oder Billigkeit oder aus wirtschaftlichen Erwägungen untunlich wäre. Ob solche hindernde Umstände hier vorliegen, kann auf Grund des bisher festgestellten Sachverhaltes nicht beurteilt werden.

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