Spruch:
Die Voraussetzungen für die Widerlegung der Rechtsvermutung der §§ 138 und 163 ABGB. sind dieselben.
Die Unmöglichkeit der Zeugung ist nicht erwiesen, wenn die Vaterschaft nach dem erbbiologischen Gutachten als "noch möglich" anzusehen und die Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft eines bestimmten Dritten größer ist.
Entscheidung vom 4. Juli 1951, 3 Ob 335/51.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, auszusprechen, der Beklagte sei nicht das eheliche Kind des Klägers, ab. Die Vermutungsfrist für das am 4. September 1940 geborene Kind laufe vom 6. November 1939 bis 10. März 1940. Die Mutter des Kindes habe im Dezember 1939 mit Wilhelm M. einen Ehebruch begangen. Es sei aber nicht ausgeschlossen, daß auch der Kläger seiner Frau innerhalb der kritischen Zeit beigewohnt habe. Die Blutprobe habe kein brauchbares Ergebnis geliefert. Die erbbiologische Untersuchung habe ergeben, daß die Merkmalsähnlichkeiten zwischen dem beklagten Kinde und dem Kläger einerseits und dem beklagten Kinde und dem Zeugen M. anderseits ziemlich gleich seien, daß jedoch die Wertigkeit einzelner Merkmalsähnlichkeiten zwischen dem beklagten Kinde und dem Zeugen M. wesentlich größer sei, als die zwischen dem beklagten Kinde und dem Kläger. Eine Zusammenstellung der Merkmalsgruppen ergebe, daß in fünf Merkmalsgruppen die Vaterschaft des Zeugen M. als wahrscheinlich, in den übrigen als möglich, in zwei Merkmalsgruppen die Vaterschaft des Klägers als noch möglich, in den übrigen als möglich anzusehen sei, während in einer Gruppe ein abschließendes Urteil nicht möglich sei. Der Sachverständige habe die Vaterschaft des Klägers als noch möglich, die des Zeugen M. als wahrscheinlich bezeichnet. Dieses Ergebnis lasse nicht die Annahme zu, daß dem Kläger ein voller Beweis der Unmöglichkeit der Zeugung des beklagten Kindes gelungen sei. Der Umstand, daß M. eine Zeitlang schon für das Kind Alimente bezahlt habe und eine Zeitlang das Kind für das seine gehalten habe, sei für die Entscheidung unerheblich.
Dieses Urteil wurde vom Berufungsgerichte bestätigt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger sucht in längeren rechtspolitischen Erwägungen darzulegen, daß zwischen dem Beweis der Unmöglichkeit der Zeugung gegenüber der Rechtsvermutung nach § 163 ABGB. und gegenüber der nach § 138 ABGB. ein Unterschied bestehe, derart, daß für den Unmöglichkeitsbeweis des § 138 ABGB. die Anforderungen geringer sein müßten. Für eine derart unterschiedliche Behandlung der beiden Rechtsvermutungen fehlen alle gesetzlichen Voraussetzungen. Die Unhaltbarkeit der Rechtsansicht des Klägers ergibt sich bereits dann, wenn der a. e. Vater die Beiwohnung außergerichtlich zugestanden hat, die Rechtsvermutung des § 163 ABGB. daher für seine Vaterschaft spricht, und er nun in einer Klage auf Feststellung der Nichtvaterschaft die Unmöglichkeit der Zeugung nachzuweisen hat. Es ist nicht einzusehen, warum in diesem Falle die Voraussetzungen für den Beweis andere sein sollten als im Verfahren wegen Bestreitung der Ehelichkeit eines Kindes. Aber auch der Erfolg der Widerlegung der Rechtsvermutung in beiden Fällen rechtfertigt nicht eine differenzierende Behandlung. Im Gegenteil, gerade der Erfolg der Klage nach § 156 ABGB. würde eher eine strengere Handhabung der Regeln für den Beweis der Unmöglichkeit der Zeugung bei der Rechtsvermutung des § 138 ABGB. erfordern; denn das eheliche Kind verliert hier durch ein Gelingen des Gegenbeweises den bereits durch das Gesetz bestimmten Vater.
Die Rechtsvermutung des § 138 ABGB. kann durch den Beweis der Unmöglichkeit der Zeugung durch den Ehemann widerlegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kann der Begriff der Unmöglichkeit allerdings nicht im Sinne einer absoluten Unmöglichkeit verstanden werden, sondern nur als ein so hoher Grad der Unwahrscheinlichkeit, daß die Annahme der Möglichkeit dem Stande der menschlichen Erfahrung und Erkenntnis widerspräche (AnwZ. 1930, S. 34, JBl. 1950, S. 377, SZ. XXI/59 u. v. a.). Der Kläger müßte daher einen so hohen Grad der Unwahrscheinlichkeit der Zeugung des Kindes durch ihn erweisen, daß diese Unwahrscheinlichkeit der Gewißheit nahekommt. Mit Recht haben aber die Untergerichte ausgeführt, daß ein so hoher Grad der Unwahrscheinlichkeit hier nicht erwiesen werden konnte. Wenn auch nicht übersehen werden kann, daß nach der erbbiologischen Untersuchung die Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Zeugen M. größer ist als die des Klägers, so ist nach dem Sachverständigengutachten die Vaterschaft des Klägers noch als möglich anzusehen, also nicht derart unwahrscheinlich, daß eine Vaterschaft des Klägers nach der menschlichen Erfahrung und Erkenntnis ausgeschlossen werden könnte.
Daran ändert auch nichts der Umstand, daß die Mutter des Kindes den Zeugen M. für den Vater des Kindes hält und den Ehebruch mit diesem ohneweiters zugegeben hat. Die Gründe für ein solches Eingeständnis des Ehebruches dem Ehemann gegenüber können so mannigfaltig sein, daß hieraus allein kein Schluß gezogen werden kann. Freilich ist ein solches Geständnis nicht unerheblich, es führte auch dazu, daß die Vaterschaft des M. in Erwägung gezogen und auch die erbbiologische Untersuchung an ihm vorgenommen wurde. Dieses Geständnis des Ehebruches kann aber das erbbiologische Gutachten nicht so weit ergänzen, daß hiedurch im Zusammenhalt mit dem Gutachten die Vaterschaft des Klägers mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könnte.
Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.
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