OGH 3Ob237/51

OGH3Ob237/5116.5.1951

SZ 24/136

Normen

ABGB §1151
ABGB §1165
ABGB §1295
ABGB §1299
ABGB §1313a
ABGB §1315
Reichsversicherungsordnung §898
ABGB §1151
ABGB §1165
ABGB §1295
ABGB §1299
ABGB §1313a
ABGB §1315
Reichsversicherungsordnung §898

 

Spruch:

Für die Frage der Tüchtigkeit kommt es nur darauf an, welche Kenntnisse und Fähigkeiten sich der Gehilfe tatsächlich erworben hat, nicht aber darauf, ob er sie auf den vorgeschriebenen Weg erworben hat.

Grundsätzlich beweist eine einmalige Fahrlässigkeit die Untüchtigkeit des Gehilfen nicht.

Freiwillige Nachbarschaftshilfe beim Bau eines bäuerlichen Wirtschaftsgebäudes begrundet kein Dienstverhältnis zu dem bauführenden Zimmermeister.

Entscheidung vom 16. Mai 1951, 3 Ob 237/51.

I. Instanz: Kreisgericht Ried im Innkreis; II. Instanz:

Oberlandesgericht Linz.

Text

Der Kläger begehrt aus dem Titel des Schadenersatzes 8845.25 S und als Verdienstentgang für jeden kalendermäßigen Arbeitstag auf die Dauer der Unfähigkeit des Klägers zur Leistung bezahlter Arbeit einen Betrag von 4.50 S vom 20. Mai 1942 bis 13. Juli 1948 und von 15 S ab 14. Juli 1948.

Die Untergerichte gingen von folgendem Sachverhalt aus: Der Beklagte übernahm im Jahre 1938 die Erneuerung des Dachstuhles des Wohngebäudes und des Stadels des Besitzers Josef W. Bis Mai 1939 wurden die Vorarbeiten vom Josef W. und dessen Bruder Franz W. geleistet. Franz W. war beim Beklagten als Vorarbeiter bedienstet. Im Mai teilte Franz W. seinem Dienstgeber mit, daß die Arbeit dringend geworden sei, daß sie nun mit dem Abbinden des neuen Stadels anfangen und daß sie in etwa zwei bis drei Wochen zum Aufstellen kommen würden, und bat um Werkzeug sowie um ein paar Leute zum Aufstellen. Am Sonntag, den 21. Mai 1939, ließ Franz W. dem Beklagten mitteilen, daß er für das Abreißen ein paar Zimmerleute brauche und daß er mit dem Abreißen am Montag, bei schlechtem Wetter am ersten schönen Tag nach dem Montag beginnen werde. Er werde an diesem Tag mit dem Fuhrwerk Werkzeug holen. Am Mittwoch, den 24. Mai 1939 begann Franz W. mit dem Abreißen des Dachstuhles, ohne vorher Werkzeug abzuholen und ohne den Beklagten vom Beginn dieser Arbeit neuerlich zu verständigen. Die Abreißarbeiten wurden ausschließlich mit sogenannten Robotern durchgeführt, das sind Nachbarn, die sich unentgeltlich dem Bauherrn zur Verfügung stellen. Unter diesen befand sich auch der Kläger. Am Vormittag hat der Kläger vom Dach herabgeworfene Balken vom Hause weggeräumt. Am Nachmittag setzte er diese Arbeit fort, ohne daß er gewarnt worden wäre. Während dieser Beschäftigung fiel ein Balken von der bereits abgeräumten Dachseite herab, traf den Kläger und verletzte ihn schwer. Gegen Josef und Franz W. hat der Kläger bereits mit Erfolg Schadenersatzansprüche geltend gemacht.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß der Anspruch dem Gründe nach nicht zu Recht bestehe. Für den Fall der Rechtskraft gelte dieses Urteil als Endurteil.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil dahin ab, daß der Anspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten Folge und stellte das Urteil des Prozeßgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach Ansicht des Berufungsgerichtes haftet der Beklagte kraft eigenen Verschuldens nach §§ 1295, 1299, 1165 ABGB., weil er seine gesetzliche Verpflichtung (§ 1165 ABGB.), sich selbst um die richtige Ausführung des übernommenen Werkes zu bekümmern, nicht eingehalten habe, niemals die Baustelle besichtigte, dem Vorarbeiter Franz W. keine Anweisungen gegeben habe, diesen vielmehr habe ganz selbständig schalten und walten lassen und nicht einmal die erforderlichen Facharbeiter beigestellt habe, so daß dieser nur mit ungelernten Nachbarn habe arbeiten müssen. Zu einer Kontrolle wäre der Beklagte umsomehr verpflichtet gewesen, als Franz W. kein geprüfter Polier, sondern nur ungeprüfter Hilfsarbeiter gewesen sei. Weiters hafte der Beklagte nach § 1315 ABGB., weil er sich einer untüchtigen Person bedient habe.

Beide Haftungsgrunde liegen aber nicht vor. Aus § 1165 ABGB. läßt sich für den vorliegenden Rechtsstreit nichts ableiten, da ja diese Gesetzesstelle nur die Haftung des Unternehmers dem Besteller gegenüber betrifft, der Beklagte aber keineswegs dem Kläger gegenüber zur persönlichen Durchführung der Arbeit verpflichtet war. Ebensowenig läßt sich aus den Bestimmungen der Bauordnung etwas für den Standpunkt des Klägers gewinnen, da die Dacherneuerung vom Beklagten übernommen wurde, der in der Klage selbst als Zimmermeister bezeichnet wird und von dem nie behauptet wurde, daß ihm die nötigen gesetzlichen Voraussetzungen abgingen. Im übrigen hat der Beklagte die Arbeit unter seiner persönlichen Verantwortung durchgeführt, da er mit der Leitung einen seiner Vorarbeiter betraute. Es ist zuzugeben, daß der Unternehmer verpflichtet ist, sich auch persönlich um die richtige Ausführung der Arbeit zu kümmern, daß er verpflichtet ist, die Arbeit des Vorarbeiters zu kontrollieren. Doch ist hier nicht erwiesen, daß die mangelnde Kontrolle für den Unfall kausal war. Wie die Sachverständigen angegeben haben und das Erstgericht auch feststellte, war die persönliche Anwesenheit des Beklagten bei den gegenständlichen Abbrucharbeiten nicht erforderlich. Er konnte sie vielmehr tatsächlich durch einen Vorarbeiter durchführen lassen. Wie die Sachverständigen angaben, beruht die notwendige Sicherheitsvorkehrung im gegenständlichen Falle darin, daß die Leute vor Beginn der Arbeiten gewarnt werden. Bei dieser einfachen Sicherheitsvorkehrung waren wohl besondere Anweisungen des Beklagten entbehrlich, da ein tüchtiger Vorarbeiter die nötige Einsicht hiezu aufbringen muß. Daß der Beklagte bei den Vorarbeiten keine Kontrolle ausübte, obwohl diese, wie das Berufungsgericht keineswegs aktenwidrig feststellt, bereits 14 Tage gedauert hatten, ist nicht unfallskausal, da eine solche Kontrolle zu dieser Zeit nicht geeignet gewesen wäre, den Unfall zu verhüten. Richtig ist allerdings, daß die Sachverständigen erklärten, daß zu solchen Abbrucharbeiten wenigstens zwei Facharbeiter erforderlich sind und der Beklagte seinem Vorarbeiter trotz Ersuchen keine Zimmerer zur Verfügung stellte. Der Beklagte kann sich auch nicht damit entschuldigen, daß er vom Beginn der Abbrucharbeiten nichts gewußt habe, da das Erstgericht ausdrücklich feststellt, Franz W. habe mitgeteilt, daß er am ersten schönen Tag nach dem Montag - das war der Unfalltag - mit den Abbrucharbeiten beginnen werde. Daß Franz W. entgegen seiner Ankündigung keine Werkzeuge holte, ändert an der Tatsache der Kenntnis des Beklagten vom Beginn der Abbrucharbeiten nichts. Allein es wurde nicht erwiesen, daß gerade der Mangel des zweiten Facharbeiters für den Unfall ursächlich gewesen wäre. Auch wenn ein zweiter Facharbeiter mitgearbeitet hätte, wäre es Sache des Bauleiters, also des Franz W. gewesen, den Kläger zu warnen. Da diese Warnung unterblieb, hätte auch die Anwesenheit des zweiten Facharbeiters den Unfall nicht verhütet. Dem Beklagten fällt somit keine eigene Fahrlässigkeit zur Last, so daß seine Haftung nach § 1299 ABGB. auszuschließen ist.

Aber auch die Haftung des Beklagten nach § 1315 ABGB. ist nicht gegeben. Nach dieser Gesetzesstelle haftet der Unternehmer, der sich eines untüchtigen oder wissentlich eines gefährlichen Besorgungsgehilfen bedient. Dabei ist es unerheblich, ob ihm die Untüchtigkeit des Besorgungsgehilfen bekannt war oder nicht. Ob jemand untüchtig ist, ist nach den Umständen des einzelnen Falles zu entscheiden. Das Fehlen einer vorgeschriebenen Vorbildung begrundet an sich noch nicht die Untüchtigkeit einer Person; denn es ist nicht ausgeschlossen, daß ein Hilfsarbeiter infolge seiner langjährigen Verwendung im Gewerbe sich dieselben tatsächlichen Kenntnisse und Fähigkeiten aneignet, wie ein vorschriftsmäßig ausgebildeter Arbeiter. Es kommt für die Frage der Tüchtigkeit nur darauf an, welche Kenntnisse und Fähigkeiten sich der Gehilfe tatsächlich erworben hat, nicht darauf, ob er sie auf dem vorgeschriebenen Weg erworben hat (SZ. XVIII/76). Das Berufungsgericht erblickt nun die Untüchtigkeit des Franz W. vor allem darin, daß er nur ungelernter Hilfsarbeiter war und keine Gesellenprüfung hatte, weshalb er nicht als Vorarbeiter hätte verwendet werden dürfen. Wie bereits ausgeführt wurde, stellt der Mangel der Gesellenprüfung für sich allein noch keine Untüchtigkeit dar. Wie die Unterinstanzen festgestellt haben, hat Franz W. das Zimmerergewerbe erlernt, wenn er auch nicht die Gesellenprüfung abgelegt hat, ist bei dem Beklagten seit 1938 als Vorarbeiter beschäftigt gewesen und es ist weder behauptet noch erwiesen, daß er vor dem Unfall einmal einen Mangel von Fachkenntnissen bei den ihm übertragenen Arbeiten gezeigt hätte. Im gegenständlichen Fall hat er fahrlässig gehandelt, weil er die verwendeten Roboter nicht zweckentsprechend gewarnt hat - wobei eine besonders eingehende Verwarnung hier mit Rücksicht auf die zahlreichen ungelernten Arbeiter nötig gewesen wäre -, und dadurch den Unfall des Klägers verschuldet. Es ist allerdings möglich, daß sich bereits aus einem einmaligen Versehen ergibt, daß dem Gehilfen die für bestimmte Arbeiten erforderlichen Kenntnisse mangeln. Allein es kann nicht grundsätzlich gesagt werden, daß eine einmalige Fahrlässigkeit bereits die Untüchtigkeit des Gehilfen beweise. Es wurde hier nicht bewiesen, daß der Unfall auf die mangelnden Kenntnisse des Vorarbeiters zurückzuführen war, sondern es wurde vielmehr dargetan, daß der Unfall nur auf dessen einmalige grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen ist. Es kann deshalb noch nicht gesagt werden, daß Franz W. untüchtig gewesen ist, denn auch dem tüchtigsten Gehilfen kann einmal ein grobes Versehen unterlaufen. Da sich somit der Beklagte zur Besorgung seiner Angelegenheiten auch keiner untüchtigen Person bediente, ist seine Haftung nach § 1315 ABGB. nicht gegeben.

Mit Recht hat das Berufungsgericht es aber abgelehnt, eine über §§ 1313a und 1315 ABGB. hinausgehende Haftung des Beklagten anzunehmen, wie sie der Oberste Gerichtshof in SZ. XXI/46 und SZ. XXII/110 ausgesprochen hat. Denn hier sind die diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Voraussetzungen nicht gegeben; der Beklagte ist nicht Unternehmer eines gefährlichen Großbetriebes, auf den die Grundsätze des Reichshaftpflichtgesetzes analog angewendet werden konnten.

Aber auch eine Haftung nach § 1313a ABGB. ist nicht gegeben. Der Kläger ist zum Beklagten in keinem Vertragsverhältnis gestanden. Er war nicht Dienstnehmer des Beklagten, da hier die wirtschaftliche Abhängigkeit völlig mangelte. Der Kläger wurde vom Bauherrn aufgeboten. Wohl hat ihm der Beauftragte des Beklagten, der Vorarbeiter W., Weisungen für die Arbeit erteilt. Der Kläger war aber nicht gehalten, diese Weisungen zu befolgen, es wäre ihm frei gestanden, die weitere Arbeit jederzeit zu verweigern. Die freiwillige unentgeltliche Mithilfe bei einer derartigen Arbeit begrundet kein Vertragsverhältnis zum Unternehmer. Der Unternehmer ist dem freiwilligen Helfer gegenüber zu keiner vertraglichen Leistung verpflichtet, der Vorarbeiter Franz W. ist dem Kläger gegenüber daher auch nicht der Erfüllungsgehilfe des Beklagten gewesen. Aber selbst wenn der Kläger zum Beklagten in einem Vertragsverhältnis gestanden wäre, der Beklagte die Dienste des Klägers, wenn auch nur vorübergehend, in Anspruch genommen hätte, der Beklagte daher dem Kläger gegenüber als Unternehmer aufgetreten wäre, wäre für den Kläger nichts gewonnen. In diesem Fall läge ein Betriebsunfall vor. Gemäß § 898 RVO. ist der Unternehmer persönlich von jeder Ersatzpflicht für Betriebsunfälle befreit, sofern er den Unfall nicht vorsätzlich herbeigeführt hat. Daß aber diese Voraussetzungen hier gegeben wären, wurde gar nicht behauptet (vgl. 1 Ob 261/49).

Der Revision war deshalb Folge zu geben und das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte