Spruch:
Die häusliche Gemeinschaft ist nicht aufgehoben, wenn die Gatten zwar getrennt wohnen, jedoch die Frau für den Mann kocht und mit diesem regelmäßig die Hauptmahlzeiten einnimmt.
Entscheidung vom 11. April 1951, 1 Ob 249/51.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Folgende Tatsachen wurden durch die Unterinstanzen festgestellt: Die Ehegatten wohnten vom April bis September 1947 in der Wohnung der Schwester des Klägers in M. Sie hatten wohl ihre Schlafstellen in verschiedenen Wohnräumen, die Beklagte kochte jedoch auch für den Kläger, hielt seine Wäsche sowie seine Kleidung instand und führte, wie das Erstgericht sich ausdrückte, dem Kläger die Hauswirtschaft. Im September 1947 zog die Beklagte von M. in die eheliche Wohnung nach W., während der Kläger bei seiner Schwester verblieb. Er nahm aber schon kurze Zeit darauf ständig das Abendessen in der ehelichen Wohnung in W., später auch das Mittagessen dort ein und benützte die M. Wohnung seiner Schwester bloß zum Schlafen und zur Einnahme des Frühstücks. Da die Schwester des Klägers im Jänner 1948 erklärte, den bisherigen Zustand nicht mehr aufrechterhalten zu wollen, zog der Kläger von ihr fort und wohnte seit Jänner 1948 abwechselnd bei verschiedenen Bekannten, nahm aber von diesem Zeitpunkte an bis zu seiner im März 1949 aus dienstlichen Gründen erfolgten Versetzung nach V. weiterhin bei der Beklagten das Mittagessen und Abendessen ein. Die Beklagte hielt auch seine Kleider und Wäsche in Ordnung und verwahrte auch die Sachen des Klägers, die er in die Wohnung gebracht hatte.
Das Erstgericht fand die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft für gegeben, während das Berufungsgericht zum gegenteiligen Schluß kam, daß die häusliche Gemeinschaft der Streitteile vom April 1947 bis März 1949 nicht aufgehoben war.
Das Erstgericht hat der auf § 55 EheG. gestützten Klage des Ehemannes, die im Jahre 1921 geschlossene Ehe zu scheiden, stattgegeben; es hat das Alleinverschulden des Klägers an der Scheidung ausgesprochen.
Gegen dieses Urteil erhoben beide Teile Berufung.
Das Berufungsgericht hat der Berufung der Beklagten Folge gegeben und das Klagebegehren abgewiesen. Die Berufung des Klägers, die des Verschuldensausspruches wegen erhoben worden war, wurde auf die erstere Entscheidung verwiesen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Rechtsprechung hat, wie die Revision richtig hervorhebt,. wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß die Fortdauer gewisser Beziehungen zwischen den Eheleuten, wie Briefverkehr, gegenseitige Anteilnahme an dem Schicksal des anderen, regelmäßige Besuche verbunden mit der Sorge um das Wohlergehen des anderen Teiles, unter Umständen materielle Geldleistungen und dergleichen, noch nicht zur Annahme führen dürfen, daß die häusliche Gemeinschaft nicht aufgehoben sei. Auch darf der Wille eines Eheteiles, die eheliche Gemeinschaft aufrechtzuerhalten, nicht entscheidend sein, wenn der andere Eheteil den Willen, die Ehe nicht fortzusetzen, ausdrücklich erklärt hat oder - z. B. durch Eingehung eines eheähnlichen Verhältnisses mit einer anderen Frau - konkludent bekundet hat.
Im vorliegenden Falle haben die Untergerichte festgestellt, daß der Kläger zumindest seit 1941 seiner Ehegattin wiederholt erklärte, er wolle mit ihr nicht mehr zusammenleben, und daß er auch aus diesem Gründe nicht nur die gemeinsame Wohnung in W. verlassen, sondern auch die dienstliche Versetzung nach Deutschland erreicht hat, wo er bereits im Jahre 1940 aus Anlaß seiner dienstlichen Tätigkeit in Ma. ein intimes Verhältnis mit einer anderen Frau begonnen hat. In Deutschland, wo er nach den Feststellungen der Untergerichte bis zum Zusammenbruche Dienst machte, war ihm die Möglichkeit, sich als österreichischer Beamter in Österreich um eine Neuanstellung zu bewerben, verschlossen. Er fand zwar neuerlich Unterkunft bei dieser anderen Frau und deren Mutter in Ma. und auch vorübergehend eine Anstellung bei der Bahn in F., doch wurde er, angeblich aus politischen Gründen, bald darauf wieder entlassen, worauf ihm, wie die Untergerichte feststellten, nur mehr die eine Möglichkeit blieb, in Österreich persönlich um eine Anstellung nachzusuchen. Deshalb setzte sich der Kläger mit seiner Schwester in M. in Verbindung, damit sie ihn wenigstens vorübergehend aufnehme. Als der Kläger in M. eintraf, war seine Schwester im Spital, und die Beklagte führte dem Sohn dieser Schwester den Haushalt. Da, wie die Untergerichte festgestellt haben, der Kläger nach Österreich nur mit dem devisenrechtlich zugelassenen Betrag von 150 S einreiste und damals ohne jede Anstellung und Einkommen war, war der Kläger in einer Zwangslage und für die erste Zeit auf die Erhaltung durch andere Personen angewiesen. Wenn daher die Beklagte in der Wohnung ihrer Schwägerin auch für den Kläger kochte und ihm seine Sachen in Ordnung hielt, so kann nicht gesagt werden, daß durch das Verhalten des Klägers, das für ihn der Krankheit seiner Schwester wegen ein zwangsläufiges war, die häusliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten wieder aufgenommen wurde. Als die Schwester des Klägers der Unterstützung durch ihre Schwägerin nicht mehr bedurfte, zog die Beklagte wieder nach W. und der Kläger verblieb in M. Völlig anders aber ist das Verhalten des Klägers von dem Augenblick an zu werten, von dem er in W. ständig sein Essen bei der Beklagten einnahm. Hier war er nicht, wie früher durch die Krankheit seiner Schwester, vor eine vollkommen unerwartete Situation gestellt, sondern er war in W. bereits beschäftigt. Gleichgültig, welches Einkommen er damals hatte, bestand für ihn keinerlei Veranlassung, in dieser Form die häusliche Gemeinschaft - wenn auch nur zum Teil - mit der Beklagten aufzunehmen. Die häusliche Gemeinschaft setzt sich nach der ständigen Rechtsprechung aus einer Wohnungs-, Wirtschafts- und einer geistigen Gemeinschaft zusammen. Fallen alle diese Komponenten weg, dann besteht die häusliche Gemeinschaft nicht mehr. Nun hatte der Kläger, wie die Untergerichte festgestellt haben, zumindest vom Beginn des Jahres 1948, als er noch in M. und später in W. bei Bekannten schlief, die ständige Gepflogenheit, bei seiner Gattin das Mittagessen und das Abendessen einzunehmen. Die Gerichte haben auch festgestellt, daß der Kläger ein geheiztes Zimmer vorgefunden hat, auf welches die Beklagte in einem Brief, der in den Prozeßstoff einbezogen worden ist, Bezug genommen hat, indem . sie schrieb:
"Fast zwei Jahre durfte ich für den Kostgänger, wie Du Dich nanntest, kochen, Du hattest ein warmes Zimmer, ich durfte dafür die Gesellschaft eines Taubstummen genießen". Der Kläger selbst hat in seiner Parteienaussage angegeben, er habe sich auch bei der Beklagten rasiert, "um die Zeit auszunützen". Ein derartiges Verhalten des Klägers ist an sich wohl das eines Kostgängers oder eines Mieters und es wäre gegen diese Beurteilung nichts einzuwenden, wenn sich dieses Verhalten nicht zwischen ungeschiedenen Ehegatten abgespielt hätte. Wenn aber, wie im vorliegenden Fall, die Beklagte für den Kläger kocht, er bei ihr regelmäßig zwei Hauptmahlzeiten einnimmt, sie für Beheizung sorgt, ihm auch Gegenstände, die er in die Wohnung gebracht hat, verwahrt, er diese Gegenstände während des Aufenthaltes in der Wohnung benützt, die Beklagte seine Kleider und Wäsche in Ordnung hält, so besteht zwischen den ungeschiedenen Ehegatten eben zu einem nicht unwesentlichen Teil eine häusliche Gemeinschaft, wie sie das Ehegesetz im § 55 Abs. 1 EheG. versteht. Es war daher gar nicht notwendig, daß sich die Untergerichte auch, wie die Beklagte behauptet, damit hätten beschäftigen müssen, ob der Kläger im Anschluß an das Mittagessen, seiner Gewohnheit entsprechend, ein zweistundiges Schläfchen in der Wohnung hielt, weil das Berufungsgericht mit Recht darauf hingewiesen hat, daß bei einem derartigen Verhalten der Streitteile nicht gesagt werden könne, daß die häusliche Gemeinschaft aufgehoben sei. Hiebei ist es völlig gleichgültig, aus welchem Gründe der Kläger sich verhalten hat. Es ist daher rechtlich belanglos, wenn die Revision ausführt, der Kläger habe sich nur deshalb so zur Beklagten verhalten, weil er ihr bei seinem damaligen Einkommen von 500 S eine Alimentation von 250 S freiwillig reichen wollte, weshalb er - damit sich dieser verhältnismäßig hohe Betrag auch wirtschaftlich günstig auswirke - noch 100 S für seine Person hinausgezahlt habe. Es ist auch rechtlich irrelevant, ob der Kläger 350 S für die Verpflegung beider Teile hergegeben oder eine spezielle Teilung von 250 S und 100 S vorgenommen hat. Nur die Tatsache ist an sich rechtlich von Bedeutung, daß der Kläger von der Beklagten die zwei Hauptmahlzeiten verlangte und daß die Beklagte diesem Verlangen entsprochen hat und überdies es widerspruchslos hingenommen hat, ihm auch Kleider und Wäsche in Ordnung zu halten. Es ist also die vom Kläger aufgeworfene Alimentationsfrage nicht entscheidend, wohl aber der von der Revisionsbeantwortung gemachte Hinweis, daß sich der Kläger die ihm angenehmen Seiten der noch bestehenden ehelichen Verbindung, nämlich das Kochen, Waschen und Flicken, durch die Beklagte zugute kommen ließ und daß er es verstand, in dieser Richtung noch eine häusliche Gemeinschaft aufrechtzuerhalten, während er sonst in allen anderen Belangen von der Beklagten nichts wissen wollte. Wenn der Kläger es vorzog, sich diese Vorteile zu erhalten, um vor allem finanziell leichter durchzukommen, so hat er die Auswirkungen seines Verhaltens nach der anderen Richtung zu tragen. Selbst wenn es richtig ist, daß der Kläger damals nur 500 S verdiente, wäre er keineswegs zu einer Unterhaltsleistung von 250 S verpflichtet gewesen, weil er sich gegenüber dem Unterhaltsanspruch der Beklagten auf seine durch die Gasthausverpflegung erhöhten Lebenskosten hätte berufen können. Hat er es aber vorgezogen, sich jedenfalls billiger zu verköstigen und außerdem jemanden für die Instandhaltung seiner Wäsche und Kleidung zu haben, für welche Obsorge er offenbar nichts gezahlt hat, dann kann er sich nicht darauf berufen, daß die häusliche Gemeinschaft zur Gänze aufgehoben war.
Daher ist die Rechtsfrage vom Berufungsgericht richtig gelöst worden und es war deshalb der Revision der Erfolg zu versagen, ohne daß es notwendig war, auf die Verschuldensfrage des § 55 Abs. 2 EheG. einzugehen.
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