Spruch:
Nichtbesitz der Sache begrundet an sich noch nicht die Unmöglichkeit der Leistung.
Der Herausgabeanspruch, dessen Erfüllung durch einen vom Schuldner zu vertretenden Umstand unmöglich wird, verwandelt sich in einen Schadenersatzanspruch.
Entscheidung vom 4. April 1951, 3 Ob 130/51.
I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Die Klägerin hat nach ihren Klagsbehauptungen im Juli des Jahres 1945 dem Beklagten verschiedene Möbelstücke sowie Kleider und Bedarfsgegenstände in Verwahrung gegeben. Auf Grund des Verwahrungsvertrages begehrt sie Herausgabe. Der Beklagte hat eingewendet, daß die Klägerin ihm die nunmehr eingeklagten Gegenstände anläßlich ihrer Abreise aus Linz verkaufte, wobei sie sich ein Rückkaufsrecht ausbedungen habe. Später sei sie von dem Rückkaufsrecht abgestanden.
Das Erstgericht hat den Beklagten im Umfang des von der Klägerin im Laufe des Verfahrens eingeschränkten Klagebegehrens zur Herausgabe verurteilt.
Das Berufungsgericht hat, der Berufung des Beklagten teilweise Folge gebend, das Klagebegehren, soweit es sich auf die Möbel eines Speisezimmers bezog, von denen der Beklagte behauptet hatte, sie seien ihm durch Plunderung abhanden gekommen, abgewiesen, im übrigen aber das Ersturteil bestätigt. Es hat den von der Bestätigung umfaßten Teil des Streitgegenstandes mit mehr als 10.000 S bewertet.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten keine, hingegen der der Klägerin Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes in seinem abändernden Teile auf und verwies die Rechtssache im Umfange der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Erstgericht hat auf Grund der Ergebnisse des Beweisverfahrens festgestellt, daß eine Vereinbarung, wie sie sich aus der Bestätigung vom 25. Juni 1945 ergeben würde, dem Willen der Parteien nicht entsprochen hat, daß vielmehr die Form eines Kaufes nur in der Absicht gewählt wurde, der Klägerin als einer Reichsdeutschen ihre Habe zu erhalten. Das Erstgericht hat weiters insbesondere auf Grund der von ihm als glaubhaft erachteten Parteiaussage der Klägerin angenommen, daß der Beklagte die Habe der Klägerin in Verwahrung nahm, indem er sie auf ihren Vorschlag in seinem Magazin in der M.straße einstellte, später aber zum großen Teil in seine Wohnung brachte. Das Berufungsgericht hat, nachdem es sich eingehend mit den gegen die Beweiswürdigung gerichteten Ausführungen der Berufung auseinandergesetzt hatte, die Beweiswürdigung des Erstgerichtes übernommen. Bei dieser Sachlage stellt sich die Revision, soweit sie sich gegen die Qualifikation des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien als eines Verwahrungsvertrages richtet, in Wahrheit nur als eine Bekämpfung der Beweiswürdigung dar, ein Angriffsmittel, das aber der beklagten Partei in der dritten Instanz nicht mehr zu Gebote steht.
Die beklagte Partei wendet gegen die rechtliche Beurteilung, und insoweit macht sie diesen Revisionsgrund auch tatsächlich geltend, noch ein, daß ein Verwahrungsvertrag die Übernahme in die Obhut zur Voraussetzung habe. Im vorliegenden Fall mangle es aber an einer in dieser Richtung getroffenen positiven Feststellung und könne daher nur eine Verwahrung aus Gefälligkeit, die nicht den Regeln des Verwahrungsvertrages unterliege, angenommen werden. Dabei übersieht die beklagte Partei aber, daß nach den vom Erstgericht auf die Parteiaussage der Klägerin gegrundeten Feststellungen die Vereinbarung dahin ging, daß der Beklagte ihre Sachen in seinem Lager "aufbewahre". In einem "Aufbewahren" ist aber mehr gelegen, als die bloße Duldung von Gegenständen in einem der Verfügungsgewalt des Übernehmers unterliegenden Raum. Des weiteren übersieht die Revision aber auch, daß nach den eigenen Angaben des Beklagten ihm die Klägerin die Benützung der Möbel gestattete und er sie, nach den Feststellungen beider Instanzen, zum Teil in seine Wohnung bringen ließ und dort tatsächlich benützt hat. Das muß wohl als eine sogar etwas über den üblichen Rahmen hinausgehende "Obhutausübung" gewertet werden.
Mit dem Revisionsgrund der Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung ficht der Beklagte das Berufungsurteil auch deshalb an, weil das Berufungsgericht in der Verurteilung der beklagten Partei zu einer Leistung Zug um Zug ohne einen dahin gehenden Antrag der Klägerin keinen Verstoß gegen die Vorschrift des § 405 ZPO. erblickt habe. Da keine unrichtige Anwendung einer materiellrechtlichen, sondern nur einer prozessualen Vorschrift behauptet wird, könnte dieser Umstand von der beklagten Partei nur als eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend gemacht werden. Aber auch eine solche liegt nicht vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt eine Verurteilung zu einer Zug-um-Zug-Leistung ohne Antrag der klagenden Partei gegen § 405 ZPO. verstößt, ob in einer solchen Verurteilung also nicht ein "Weniger", sondern, gesehen vom Klagsantrag, "etwas Anderes" gelegen wäre. Jedenfalls könnte sich gegen einen Verstoß in dieser Richtung aber nur, wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat, die klagende, nicht aber die beklagte Partei beschweren.
Auch sonst kann dem Berufungsgericht von der beklagten Partei nicht Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zum Vorwurf gemacht werden. Die beklagte Partei rügt in diesem Zusammenhang, daß Erhebungen und Feststellungen über den Verbleib der von der Klägerin begehrten restlichen Möbelstücke mit Ausnahme des Speisezimmers nicht getroffen wurden. Diesen Umstand hat die beklagte Partei aber schon im Berufungsstadium als Mangelhaftigkeit des Prozeßverfahrens gerügt. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes können aber vom Berufungsgericht nicht als Verfahrensmängel anerkannte Umstände in der Revisionsinstanz nicht mehr geltend gemacht werden.
Aus diesen Gründen war der Revision der beklagten Partei der Erfolg zu versagen.
Dagegen ist die Revision der Klägerin begrundet. Das Erstgericht ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß die Behauptung des Beklagten, es sei ihm das von der Klägerin übernommene Speisezimmer geplundert worden, nicht erwiesen sei. Das Erstgericht stellt ausdrücklich fest, es sei der beklagten Partei der ihr obliegende Beweis nicht gelungen, daß ein Teil der aufzubewahrenden Gegenstände von dritten Personen beiseite geschafft worden sei. Aus den Ergebnissen des Beweisverfahrens gewann das Erstgericht vielmehr die Überzeugung, daß der Einwand der beklagten Partei von der Plunderung den Tatsachen nicht entspreche. Das Berufungsgericht führt zur Behauptung der beklagten Partei von der Plunderung das Folgende aus:
Die Klägerin habe nicht bestritten, daß die Behauptung des Beklagten, dieses Zimmer (das Speisezimmer) sei von amerikanischen Soldaten beschlagnahmt und weggebracht worden, richtig sei (§ 267 ZPO.). Der Beklagte selbst habe von Anfang an eingewendet, daß dieses Speisezimmer wohl bei ihm eingestellt, bald darauf jedoch beschlagnahmt und weggebracht worden sei. Aus dem Hinweis auf § 267 ZPO. ist wohl zu schließen, daß das Berufungsgericht hier annimmt, es sei die Tatsache der Plunderung außer Streit gestellt worden, so daß sie keines Beweises bedürfe. Diese Annahme bekämpft die Klägerin in ihrer Revision, allerdings unrichtig mit dem Revisionsgrund der Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung. Da aber hier nur eine unrichtige Anwendung von Verfahrensvorschriften von der Klägerin gerügt wird, liegt ihrem Revisionsbegehren insoweit der Vorwurf einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zugrunde.
Das Revisionsgericht faßt die Rüge auch in diesem Sinne auf und hält sie für begrundet. Die Annahme des Berufungsgerichtes ist nicht haltbar. Denn ganz abgesehen davon, daß allgemein das bloße Nichtbestreiten einem Zugeständnis nicht gleich geachtet wird (vgl. Neumann, Komm., S. 983), kann das Berufungsgericht, wenn das Erstgericht eine Tatsache oder einen Tatumstand für beweisbedürftig gehalten, Beweise hierüber abgeführt und diese Beweise dann gewürdigt hat, sich nicht einfach über die Beweiswürdigung des Erstgerichtes hinwegsetzen, indem es erklärt, es sei die zu beweisende Tatsache außer Streit gestellt.
Ohne durch erstgerichtliche Feststellungen gedeckt zu sein, führt das Berufungsgericht weiter aus: Nach dem ganzen Verfahren liege kein Anhaltspunkt dafür vor, daß die Zimmereinrichtung (gemeint ist das Speisezimmer) zur Zeit der Zustellung der Klage noch im Besitze des Beklagten war. Das Berufungsgericht schließt daraus, daß das Begehren der Klägerin auf Herausgabe dieses Zimmers verfehlt sei. Wenn in dem angeführten Satz der Entscheidungsgründe des Berufungsgerichtes eine Feststellung gelegen sein sollte, so wäre das Revisionsgericht allerdings an diese Feststellung gebunden. Aber die aus ihr gezogene Schlußfolgerung müßte dennoch abgelehnt werden. Die Zulässigkeit einer aus einer schuldrechtlichen Verpflichtung abgeleiteten Klage auf Herausgabe ist im Gegensatz zu einer Herausgabeklage aus dem Eigentum nicht davon abhängig, daß der Beklagte zur Zeit der Klagserhebung noch die Gewahrsame der herauszugebenden Sache hat. In der Rechtslehre ist es allerdings streitig, ob in dem Falle, daß nach Entstehung des Schuldverhältnisses die Leistung infolge eines vom Schuldner zu vertretenden Umstandes unmöglich wird, auf den ursprünglichen Leistungsgegenstand geklagt werden kann und eine dahin gehende Verurteilung zulässig ist oder ob sich die Verbindlichkeit in eine solche auf Schadenersatz umwandelt.
Die herrschende Rechtslehre entscheidet im Sinne der zweiten Alternative, wenn die Unmöglichkeit der Leistung nicht nur eingewendet, sondern auch bewiesen ist. Davon kann aber hier keine Rede sein. Nichtbesitz allein ist keineswegs gleichbedeutend mit Unmöglichkeit der Leistung, da aus dem Nichtbesitz keineswegs folgt, daß der Beklagte sich die Sache nicht verschaffen kann (vgl. Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 2. August 1950; 1 Ob 39/50). Über die Art, wie die Sachen aber, wofern darüber, daß sie der Beklagte nicht mehr hat, überhaupt eine Feststellung getroffen wurde, aus dem Besitz des Beklagten gekommen sind, enthält die Entscheidung des Berufungsgerichtes nichts. Wenn das Berufungsgericht einen Teil des Klagebegehrens wegen Unmöglichkeit der Leistung abgewiesen hat, so hätte es zuvor Feststellungen über die Art des Abhandenkommens treffen müssen, damit hieraus die Frage der Unmöglichkeit der Leistung hätte gelöst werden können. Mangels solcher Feststellungen ist der abweisende Teil des berufungsgerichtlichen Erkenntnisses, ganz abgesehen von dem früher aufgezeigten verfahrensrechtlichen Verstoß, mangelhaft. Der Revision der Klägerin war daher aus dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie im Sinne des Judikates Nr. 230 Folge zu geben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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