OGH 2Ob805/50

OGH2Ob805/508.12.1950

SZ 23/372

Normen

ABGB §1336
AngG §38
Gutsangestelltengesetz §8
Allgemeines Handelsgesetzbuch vom 17. Dezember 1862. RGBl. Nr. 1/1863 Art284
Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897. DRGBl. S. 219 §348
Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897. DRGBl. S. 219 §351
Regiebautenarbeitergesetz §36
SchSpG §27
ZPO §503 Z4
ABGB §1336
AngG §38
Gutsangestelltengesetz §8
Allgemeines Handelsgesetzbuch vom 17. Dezember 1862. RGBl. Nr. 1/1863 Art284
Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897. DRGBl. S. 219 §348
Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897. DRGBl. S. 219 §351
Regiebautenarbeitergesetz §36
SchSpG §27
ZPO §503 Z4

 

Spruch:

Zur Frage der Sittenwidrigkeit einer Konventionalstrafe.

Ein Aufhebungsantrag ist bei Anrufung des Revisionsgrundes des § 503 Z. 4 ZPO. nur dann gerechtfertigt, wenn infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung Feststellungsmängel vorliegen und der maßgebende Sachverhalt im Berufungsurteil nicht festgestellt worden ist.

Entscheidung vom 8. Dezember 1950, 2 Ob 805/50.

I. Instanz: Handelsgericht Wien: II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Beklagte trat am 8. Juni 1948 mit der klagenden Partei in Kaufabrede, derzufolge sie 1000 Kubikmeter Schleifholz von dieser kaufte und außerdem weitere 9000 Kubikmeter bestellte, wobei sie sich verpflichtete, bis längstens 10. Juni 1948 bei einer Wiener Bank ein Akkreditiv über 140.000 S zu erstellen. Sie räumte weiter der klagenden Partei das Recht ein, im Falle nicht termingerechter Erstellung des Akkreditivs ohne Setzung einer Nachfrist vom Vertrage zurückzutreten, und verpflichtete sich auch, in diesem Falle eine Konventionalstrafe von 30.000 S zu bezahlen. Da die Beklagte ihren in der Vereinbarung übernommenen Verpflichtungen nicht nachkam, begehrte die klagende Partei ihre Verurteilung zur Zahlung der Konventionalstrafe.

Das Prozeßgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten keine Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich unter Anrufung des Revisionsgrundes nach § 503 Z. 4 ZPO. die Revision mit dem Antrage auf Abänderung im Sinne einer Klagsabweisung oder auf Aufhebung und Rückverweisung der Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht.

Dieser letztere Antrag ist offenbar unbegrundet, da keine Verfahrensmängel im Berufungsverfahren behauptet werden und solche, die eventuell in erster Instanz unterlaufen sein sollten, nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (ZBl. 1921, Nr. 52, SZ. XXII/106, 1 Ob 283/50, 2 Ob 158/50, 2 Ob 145/50 u. a. m.) nur einmal, nämlich in der nächsthöheren Instanz, geltend gemacht werden können. Das Revisionsgericht vermag nur Mängel des Berufungsverfahrens, nicht aber angebliche Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die das Berufungsgericht nicht für gegeben ansah, wahrzunehmen.

Der Aufhebungsantrag wäre demnach nur für den Fall gerechtfertigt, als infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung Feststellungsmängel vorliegen (1 Ob 274/50) und der maßgebende Sachverhalt im Berufungsurteil nicht festgestellt worden wäre (JB. 230). Eine solche Behauptung ist aber in der Revision nicht enthalten, so daß der Aufhebungsantrag gänzlich verfehlt ist.

Aber auch der Abänderungsantrag ist unbegrundet. Die Revision vermag zur Bekämpfung der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes keine neuen Gesichtspunkte beizubringen, sondern begnügt sich im wesentlichen mit der Wiederholung ihrer Ausführungen in der Berufung, die Konventionalstrafe verletze die guten Sitten, weil sie die wirtschaftliche Existenz der beklagten Partei gefährde. Außerdem behauptet sie nunmehr, es liege auch ein wucherisches Geschäft vor. Diese letztere Behauptung, für welche sich im bisherigen Verfahren keinerlei tatsächliche Grundlagen finden und die auch von der Beklagten bisher nicht erhoben wurde, stellt eine im Revisionsstadium unzulässige Neuerung dar und ist darum außer Betracht zu lassen. Es ist nicht richtig, daß diese Frage von Amts wegen aufzuwerfen gewesen wäre, denn das wucherische Rechtsgeschäft ist nicht absolut nichtig, sondern nur über Klage oder Einrede des Bewucherten anfechtbar (Ehrenzweig, II/1, S. 173, Klang, II/2, S. 205 ff.). Außerdem hätte die Beklagte, wollte sie die Wuchereinrede erheben, den Tatbestand im Sinne des § 879 ABGB. schon in erster Instanz substantiieren, demnach behaupten und unter Beweis stellen müssen, daß der Kläger sich eine Gegenleistung für eine Leistung habe versprechen lassen, deren Vermögenswert in auffallendem Mißverhältnis zum Wert der eigenen Leistung stand, und daß der Ausgebeutete sich nur infolge Leichtsinn, Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung auf das wucherische Geschäft eingelassen habe, die ihn an der gehörigen Wahrnehmung seiner Interessen hinderten. Da jede solche Behauptung in erster Instanz unterblieb, vermag die beklagte Partei durch die in der Revisionsschrift hingeworfene Bemerkung vom wucherischen Charakter der Konventionalstrafe die Rechtsrüge nicht zu begrunden.

Zur Frage der Sittenwidrigkeit ist folgendes zu bemerken. Im früheren Recht war die Frage, ob gegenüber der Bestimmung des Art. 284 HGB. ein richterliches Mäßigungsrecht Platz greife, bestritten. Während die ältere Judikatur (ACl. 1780) und ein Teil der Lehre (Staub - Pisko, II, S. 117, Canstein, II, S. 55, Hasenöhrl, I, S. 515, u. a.) diese Frage unter Berufung auf die Redaktionsgeschichte des HGB. und des ABGB. verneinten, war die neuere Rechtsprechung (ACl. 1818, 2168, 2191, GlUNF. 1194, 1691, 3642, 4286, 6005 u. a. m.) und die Mehrheit der Schriftsteller (Ehrenzweig, II/1, S. 193, Klang, 1. Aufl. IV, S. 190, Schuster - Bonnott, S. 24, Stubenrauch, II, S. 730, u. a. m.) der Ansicht, daß das richterliche Mäßigungsrecht auch auf Handelsgeschäfte Anwendung finde und Art. 284 HGB. nur die partikularrechtliche Beschränkung auf das Doppelte des Interesses habe beseitigen wollen.

Das noch in Geltung stehende HGB. vom 10. Mai 1897, DRGBl. S. 219, in der in Österreich geltenden Fassung hat diese Frage endgültig und offensichtlich zur Klarstellung der alten Kontroverse ausdrücklich dahin geregelt, daß die von einem Vollkaufmann im Betriebe seines Handelsgewerbes versprochene Konventionalstrafe dem Mäßigungsrecht nach § 1336 ABGB. nicht unterliegt, ein Grundsatz, der nur mehr in einigen Sondergesetzen (§ 38 AngG., § 38 GAngG., § 27 SchauspielerG., § 36 RegiebautenarbeiterG.) durchbrochen wird. Darüber, daß die Beklagte Vollkaufmann ist, sodaß sie auf das Privileg des § 351 HGB. keinen Anspruch machen kann, besteht kein Streit, ebensowenig darüber, daß die Strafe von ihr im Betriebe ihres Handelsgewerbes versprochen wurde.

Infolgedessen kommt die Erwägung, daß die Konventionalstrafe unverhältnismäßig größer sei als der erlittene Schaden oder doch jener, der leicht hätte eintreten können, ein Argument, welches für den Bereich des ABGB. Geltung besitzt (Ehrenzweig, II/1, S. 193, Klang, 2. Aufl., VI, S. 189) und das auch in erster Instanz eine gewisse Rolle gespielt hat, hier überhaupt nicht in Betracht.

Dem Berufungsgericht ist vielmehr darin beizupflichten, daß es einen Verstoß gegen die guten Sitten erst dann in Erwägung zu ziehen bereit ist, wenn die Zahlung des Vergütungsbetrages das wirtschaftliche Verderben des Schuldners herbeiführen (GlU. 13.299) oder doch seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit übermäßig beeinträchtigen könnte, also das Versprechen anfechtbar oder das Verlangen rechtsmißbräuchlich ist (vgl. Baumbach, S. 516, Schlegelberger, S. 881, Anm. 13, RGZ. 85, S. 100, Flad - Gadow - Heinichen, III, S. 89. Anm. 32). Es ist insbesondere auch entgegen der Ansicht der Revision richtig, daß angesichts des Fehlens von Beschränkungen über die Höhe der Konventionalstrafe deren ungewöhnliche Höhe allein noch nicht die Annahme eines Verstoßes gegen die guten Sitten begrundet (Staub, III., S. 79, Anm. 25, Schlegelberger, II., S. 881, Anm. 13). Fehlt es, wie im vorliegenden Fall, an Momenten, welche eine substantiierte und eingewendete Anfechtbarkeit des Vertrages wegen Wuchers begrunden, so käme höchstens das Moment der Unerschwinglichkeit, das des unzulässigen Zwanges (Knebelungsverträge) oder der Existenzvernichtung (- gefährdung) in Frage (Staub, l. c., Dühringer, IV, S. 466, 458). Sittenwidrig wäre die Vertragsstrafe insbesondere dann, wenn wegen geringfügiger Fristüberschreitung oder wegen eines bisher immer stillschweigend geduldeten Zuwiderhandelns gegen eine Vertragsbestimmung eine hohe Strafe verwirkt werden sollte. Hier würde das Moment der Arglist ins Spiel kommen und die Strafe einen unbegrundeten Vermögensvorteil für den Gläubiger schaffen (vgl. auch Flad - Gadow - Heinichen, III., S. 89, Anm. 32, Schlegelberger, II, S. 881, Anm. 13, RGZ. 35, 100).

Nichts von alldem trifft hier zu. Der Hinweis auf die angeblich bei Gericht bekannten ungünstigen Wirtschaftsverhältnisse zur Zeit der Vereinbarung (Juni 1948) im allgemeinen, auf die damals hohe Zahl von Konkursen, Ausgleichen und Exekutionen genügt nicht, um eine Unsittlichkeit im Sinne der vorstehenden Ausführungen als gegeben erscheinen zu lassen. Die Beklagte hat aber auch im bisherigen Verfahren gar keine konkreten Behauptungen in der Richtung aufgestellt, daß die bestehenden Wirtschaftsverhältnisse auf ihre eigene Solvenz sich nachteilig ausgewirkt oder ihre Vermögenslage ungünstig beeinflußt hätten. Dieses Argument greift darum nicht durch. Mit Recht verweist die Revisionsbeantwortung darauf, daß es sich um ein sehr bedeutendes Holzgeschäft handelte - Lieferung von 10.000 Kubikmeter Holz zum Preise von 1.410.000 S - das also von vornherein nur von einer wirtschaftlich leistungsfähigen Firma ausgeführt werden konnte, von der somit angenommen werden mußte, daß sie imstande sei, seinen finanziellen Anforderungen zu genügen. Von einer Firma, die Millionengeschäfte tätigt, kann nicht ernstlich angenommen werden, daß eine Zahlung von 30.000 S für sie wirtschaftliche Existenzvernichtung oder -gefährdung bedeute. Die Konventionalstrafe stellt, wie schon das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt, etwa 2% des Kaufpreises dar, ein Betrag, der nach dem Sachverständigengutachten den Gewinn involviert, den die klagende Partei bei ordnungsgemäßer Durchführung des Geschäftes hätte erwarten dürfen. Zweck der Vertragsstrafe aber ist es, Auseinandersetzungen über die Schadenshöhe auszuschließen und einen vereinbarten Schadenersatz für den Fall der schuldhaften Nichterfüllung des Vertrages im beiderseitigen Interesse festzusetzen (Ehrenzweig, II/1, S. 191, Krasnopolski, S. 117).

Dazu kommt, daß, wie unangefochten feststeht, die beklagte Partei schon kurz vorher eine Abmachung mit der klagenden Partei wegen Lieferung von Holz getroffen hatte, welche sie nicht zuhielt, da sie vertragswidrig das versprochene Akkreditiv nicht erstellte und dadurch die klagende Partei in Schwierigkeiten brachte. Wenn die klagende Partei von dem schon damals angedrohten Rücktritt nach fruchtlosem Verlauf einer Nachfrist absah und mit der beklagten Partei eine neue, eben die dem Verfahren zugrunde liegende Abmachung vom 8. Juni 1948 traf, so erklärt dies vollauf, daß sie sich diesmal ausbedang, ohne Setzung einer weiteren Nachfrist bei Säumigkeit des Gegners in der Erstellung des bedungenen Akkreditivs vom Vertrage abzugehen, und sich überdies eine Konventionalstrafe von 30.000 S für den Fall der neuerlichen Nichterfüllung der Vertragspflichten versprechen ließ. Die Umstände des Falles lassen also die Anwendung eines der im früheren allgemein dargelegten Grundsätze für die Annahme eines Verstoßes gegen die guten Sitten nicht zu.

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