Normen
ABGB §26
Mietengesetz §1
Mietengesetz §19 Abs1
Mietengesetz §19 Abs2 Z5
Mietengesetz §19 Abs2 Z6
ABGB §26
Mietengesetz §1
Mietengesetz §19 Abs1
Mietengesetz §19 Abs2 Z5
Mietengesetz §19 Abs2 Z6
Spruch:
Eine juristische Person kann den Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. geltend machen, wenn sie die vermieteten Räume zur Erfüllung ihrer Zwecke dringend benötigt.
Entscheidung vom 3. Mai 1950, 1 Ob 586/49.
I. Instanz: Bezirksgericht Mödling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Das Erstgericht erkannte die auf den Kündigungsgrund des § 19 Abs. 2 Z. 6 MietG. gestützte Aufkündigung der von der beklagten Partei gemieteten Wohnung für wirksam. Der Klägerin, einer evangelischen Pfarrgemeinde A. B., stunden für kirchliche Arbeiten in der Pfarrgemeinde lediglich zwei Räume im Ausmaß von 18 und 6.5 m2 zur Verfügung. Diese Räume hätten als Jugendheim für sechs Jugendgruppen mit insgesamt 85 Mitgliedern, von denen täglich eine Gruppe zusammenkomme, und täglich für eine Ausspeisung von 100 Kindern zu dienen. Die benötigten Vorräte müßten für vier Monate eingelagert werden. In den beiden Räumen finde der Religionsunterricht für die Volksschule ohne Wissen der Schulbehörde statt. In diesem seien auch zwei Frauenkreise untergebracht, von denen der eine aus 21, der zweite aus ungefähr acht bis zehn Frauen bestehe. Bei dem zweiten Kreis erschienen auch die Mütter mit den Kleinkindern. Das eine Zimmer diene außerdem als Sitzungsraum, in dem sich 19 und gegebenenfalls auch 46 Personen versammelten. Die der Beklagten gekundigte Wohnung bestehe aus Zimmer, Küche und Kabinett und werde von ihr und ihrem Sohne bewohnt. Die zur Verfügung gestellte Ersatzwohnung erwecke einen hellen und freundlichen Eindruck, umfasse aber nur ein Zimmer und eine Küche. Sie unterstehe zwar hinsichtlich des Zinses nicht den Bestimmungen des Mietengesetzes, doch habe sich die klagende Partei verpflichtet, den Mehrbetrag des Mietzinses der Beklagten auf Lebensdauer zu ersetzen. Der zur Verfügung gestellten Wohnung werde weder durch das geringe Ausmaß der Bodenfläche noch durch den Umstand, daß die Beklagte einen Teil ihrer Möbel nicht mitnehmen könne, die Eignung zu einem entsprechenden Ersatz benommen. Es möge zutreffen, daß die Beklagte infolge ihres hohen Alters auf die Unterstützung durch Freunde und Bekannte angewiesen sei. Dieser Nachteil könne ihr aber zugemutet werden. Wenn sie einer Pflegeperson bedürfte, könne sie eine solche auch in die Ersatzwohnung aufnehmen. Auch von einem selbstverschuldeten Eigenbedarf könne nicht gesprochen werden. Die Klägerin habe zwar in einem Rückstellungsvergleich der Gemeinde W. ein zehnjähriges Mietrecht an einem Kindergarten eingeräumt. Dieser Vergleich wäre aber ohne dieses Zugeständnis nie zustande gekommen.
Das Berufungsgericht hob die Aufkündigung auf. Es bestritt der klagenden Partei als einer juristischen Person das Recht, den dringenden Eigenbedarf nach § 19 Abs. 2 Z. 6 MietG. geltend zu machen, unterzog jedoch den Sachverhalt einer Prüfung in der Richtung, ob nicht ein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 1 MietG. vorliege, und gelangte nach Erörterung und Abwägung der beiderseitigen Interessen zu der Verneinung eines wichtigen Kündigungsgrundes.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge, hob die Urteile der Unterinstanzen auf und wies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Zur Erfüllung ihrer Zwecke, also für ihren Betrieb, kann auch eine juristische Person Räume dringend benötigen. Dies folgt aus der grundsätzlichen Gleichstellung der juristischen mit den physischen Personen im § 26 ABGB., welcher auch auf den Inhalt des § 1 MietG. wesentlich eingewirkt hat und bei dessen Auslegung beachtet werden muß (Sternberg, Mietengesetz, S. 353, und die dort angeführten Entscheidungen, Swoboda, Kommentar zum Mietengesetz, 2. Aufl., S. 208). Schon aus der Aufzählung der von der klagenden Partei abzuwickelnden Tätigkeit in den beiden Räumen, von denen einer nur 6 m2 zählt und als ganz unzureichend bezeichnet werden muß, ergibt sich, daß die beiden Räume für die Bedürfnisse der klagenden Partei nicht ausreichen. Die Fällung einer Entscheidung in der Sache ist aber dennoch nicht möglich, weil sich das Erstgericht mit einer Reihe von Einwendungen der beklagten Partei, die die mangelnde Eignung der Ersatzwohnung und die Frage betreffen, ob ein dringender Eigenbedarf gegeben ist und ob er von der klagenden Partei selbst verschuldet ist, nicht auseinandergesetzt hat.
Dem Erstgericht ist zuzustimmen, daß die angebotene Wohnung wegen des geringeren Flächenraumes und wegen des Wegfalles eines Kabinettes im Ausmaß von 8 1/2 m2 ihre Eignung als entsprechende Ersatzwohnung nicht verliert und daß an und für sich auch der Beklagten und ihrem Sohn zugemutet werden kann, ihre Wohnungsbedürfnisse mit den zur Verfügung gestellten Räumen zu befriedigen. Die beklagte Partei hat sich darauf berufen, daß sie außerstande ist, Stufen zu steigen, daß sich aber zwischen Vorraum und Einfahrt der Ersatzwohnung Stufen befinden. Sie hat sich darauf berufen, daß sie krank und schwer leidend sei, daß ihr Sohn ihr die erforderliche Pflege nicht leisten könne und daß sie auch auf die Unterstützung durch Freunde und Bekannte angewiesen sei, die hochbejahrt seien und deshalb nicht in die eine halbe Stunde entfernte Ersatzwohnung kommen könnten. Das Erstgericht räumt zwar die Richtigkeit der Behauptung der beklagten Partei über ihre Unterstützungsbedürftigkeit durch andere Personen ein, unterläßt aber genaue Feststellungen darüber, wie groß der Grad der Hilfebedürftigkeit der beklagten Partei ist, welcher Handreichungen und Dienstleistungen sie bedarf, von welchen Personen diese geleistet werden und ob sie auch von ihrem Sohne geleistet werden können. Ergibt sich aus diesen Erörterungen, daß die beklagte Partei wegen der Entfernung aus ihrer bisherigen Wohnung nunmehr einer Pflegerin bedürfte, obwohl sie in der bisherigen Wohnung noch ohne eine solche für die nächste Zeit auskommen könnte und daß die Aufnahme einer Pflegerin für die Beklagte mit zusätzlichen Kosten oder mit Schwierigkeiten verbunden ist, so kann die Ersatzwohnung nicht als entsprechend angesehen werden. Um zu der Frage des entsprechenden Ersatzes Stellung nehmen zu können, wären daher die über diese Tatsachen angebotenen Beweise durchzuführen gewesen.
Die beklagte Partei hat darauf hingewiesen, daß die klagende Partei Hauptmieterin sämtlicher Räume des Hauses D.gasse 33 ist, gibt aber selbst zu, daß es sich in diesem Falle um Dienstwohnungen handelt, die von der klagenden Partei dem Pfarrer E. zur Verfügung gestellt wurden. Der klagenden Partei kann nicht zugemutet werden, ihren Eigenbedarf durch Inanspruchnahme einer dem Pfarrer zustehenden Dienstwohnung zu befriedigen, so daß gar nicht untersucht werden muß, ob es möglich wäre, dem Pfarrer einen oder einige Räume zu entziehen. Sie hat auch den Eigenbedarf nicht dadurch verschuldet, daß sie den Pfarrer B. nicht in der Ersatzwohnung, sondern in der für diesen Pfarrer bestimmten Wohnung untergebracht hat. Das Erstgericht stellte auf Grund des Beweisverfahrens fest, daß die klagende Partei anläßlich des Abschlusses des Rückstellungsvergleiches genötigt war, einen zehnjährigen Mietvertrag mit der Gemeinde W. über einen Kindergarten einzugehen. Es kann ihr daher auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie durch diesen Vergleich den Eigenbedarf selbst verschuldete. Das Erstgericht hat sich aber nicht mit dem Vorbringen der beklagten Partei befaßt, daß die klagende Partei ihren Eigenbedarf durch die Benützung der Ersatzwohnung decken könnte oder durch die im Herbst 1948 in der H.gasse 6 frei gewordenen Räume hätte decken können. Die klagende Partei gibt selbst zu, daß die angebotene Ersatzwohnung ein Teil von Räumen ist, welche bis zum Herbst 1948 ungeteilt der evangelischen Pfarrgemeinde zur Verfügung standen, behauptet aber, daß diese für die Bedürfnisse der klagenden Partei nicht geeignet seien, weshalb sie auf die Hälfte dieser Räume habe verzichten müssen. Auch in dieser Hinsicht wäre das Beweisverfahren über die beiderseitigen Behauptungen durchzuführen gewesen, um über die Frage des dringenden Eigenbedarfes oder des Selbstverschuldens eines solchen Bedarfes urteilen zu können.
Die unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht und die Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens hatten die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen zur Folge.
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