OGH 1Ob232/50

OGH1Ob232/503.5.1950

SZ 23/129

Normen

ABGB §970
ABGB §970a
ABGB §970
ABGB §970a

 

Spruch:

Ohne Rücksicht auf die Dauer des Aufenthaltes in einem Hotel ist derjenige, der die für Gäste geltenden Zimmerpreise bezahlt, Gast im Sinne des § 970 ABGB.

In der Einbringung von Kostbarkeiten, ohne den Wirt auf deren Wert aufmerksam zu machen, liegt noch kein Verschulden des Gastes.

Entscheidung vom 3. Mai 1950, 1 Ob 232/50.

I. Instanz: Bezirksgericht Gastein; II. Instanz: Landesgericht Salzburg.

Text

Mit ihrer auf die Bestimmungen der §§ 970 ff. ABGB. gestützten Klage begehrt die Klägerin Ersatz des ihr am 28. August 1947 als Gast des Hotels K. in Badgastein durch Diebstahl entstandenen Schadens, welcher mit 85.342 S an Sachwerten und 10.000 RM an entwendeten Geldwerten beziffert wird.

Das Erstgericht hat zu Recht erkannt, das Begehren der klagenden Partei bestehe mit zwei Dritteln des Betrages von 85.342 S, das sind

56.894.70 S, und mit zwei Dritteln des Betrages von 10.000 RM, das sind 1000 DM, zu Recht; gleichzeitig wurde ausgesprochen, daß die von dem Beklagten geltend gemachte und von der Klägerin auch anerkannte Gegenforderung für Zimmerrechnung in der Höhe von 3810.80 S zu Recht bestehe.

Das Erstgericht hat auf Grund der Ergebnisse des Beweisverfahrens als festgestellt angenommen, daß die Klägerin seit 8. Jänner 1944 als Gast und nicht, wie der Beklagte behaupte, als Dauermieter im Hotel K. in Badgastein in Aufenthalt war, daß sie alle im Klagebegehren angeführten Fahrnisse in das Hotel eingebracht hatte und daß ihr diese am 28. August 1947 von unbekannten Tätern gestohlen worden sind. Der Schaden sei durch die Hotelbedienstete Marie D., somit eine Angestellte des Unternehmens des Beklagten, verschuldet worden. Diese habe gesehen und gehört, daß am 28. August 1947 um ungefähr 1/2 5 Uhr nachmittags jemand im Zimmer der Klägerin sei, sie habe gewußt, daß letztere nach Mittag dieses Zimmer verlassen habe und immer erst ungefähr um 10 Uhr abends heimkehre, sie habe daher die Pflicht gehabt, sich Gewißheit über die Vorgänge im Zimmer der Klägerin zu verschaffen und irgendeine Kontrollhandlung zu unternehmen. In ihrem vollkommen passiven Verhalten sei eine Außerachtlassung der notwendigen Sorgfalt und somit ein Verschulden zu erblicken, das den Beklagten über die Haftungsbeschränkungen des Gesetzes BGBl. Nr. 638/1921 in der Fassung BGBl. Nr. 168/1924 hinaus haftbar mache. Zur Tatzeit seien die Sicherheitsverhältnisse in Badgastein wegen der Anwesenheit einer großen Anzahl von versetzten Personen noch abnormal gewesen, woraus sich im Sinne des Gutachtens des Hotelsachverständigen Ludwig R. für das Stubenmädchen die unbedingte Pflicht ergeben habe, sich Gewißheit zu verschaffen. Ihre Annahme, die Klägerin sei selbst im Zimmer, sei ganz unbegrundet gewesen und hätte sie auch nicht abhalten dürfen, sich davon zu überzeugen. Das Erstgericht hat aber weiterhin als festgestellt angenommen, daß auch ein Mitverschulden der Klägerin selbst gegeben sei, insofern sie ihr gesamtes hochwertiges Eigentum in ihrem Hotelzimmer aufstapelte, ohne den Besitzer entsprechend zu unterrichten oder selbst zur Sicherheit ihrer Habe besondere Vorkehrungen zu treffen, welches Mitverschulden vom Erstrichter mit einem Drittel in Anschlag gebracht wird.

Das Berufungsgericht hat der Berufung des Beklagten teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß ausgesprochen wurde, die eingeklagte Forderung bestehe mit der Hälfte des eingeklagten Betrages zu Recht. Hingegen hat es der Berufung der klagenden Partei, welche Zuerkennung des vollen Schadensbetrages begehrt hatte, keine Folge gegeben.

Das Berufungsgericht hat alle tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichtes übernommen.

In Hinsicht auf die Berufung des Beklagten führt das Berufungsgericht zunächst aus, das Erstgericht habe entgegen den Ausführungen der Berufung ausführlich und erschöpfend dargetan, warum eine normale Gastaufnahme im gegenständlichen Falle anzunehmen sei. Es habe festgestellt, daß der Beklagte entgegen seiner Behauptung die Klägerin in allen Belangen wie jeden anderen Gast behandelt hat, die Zimmerrechnungen wochenweise erstellte und tagweise berechnete, nicht etwa einen, wie bei Dauermieten üblichen, verminderten, sondern im Gegenteil einen gegenüber dem aus der Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft St. Johann i. P. sich ergebenden amtlichen Preis überhöhten Zimmerpreis verrechnete, somit einen Dauermietvertrag nunmehr nicht behaupten dürfe.

Das Erstgericht habe weiter mit Recht ein Verschulden des Stubenmädchens festgestellt, insofern sie einen aus dem Zimmer der Klägerin dringenden Lichtschein und ein Geräusch darin wahrgenommen hat, ohne daß sie diesbezüglich entsprechende Nachschau gehalten hat, wobei die Anwesenheit der Klägerin zu dieser Tageszeit ihrer Gewohnheit nach eine auffallende Ausnahme dargestellt hätte.

Hiezu trete aber nach rechtlicher Anschauung des Berufungsgerichtes noch, daß eine so umständliche und zeitraubende Manipulation, wie es das Ausräumen von zahlreichen Koffern und das Wiederversorgen des Diebsgutes in anderen Behältnissen und schließlich das Wegbringen dieser umfangreichen Beute erfordert habe, zur Tageszeit und in der Hochsaison eines Kurortes nur dann unbemerkt erfolgen konnte, wenn das Hotelpersonal es an der füglich von jedem Kurgast erwarteten Umsicht und Sorgfalt fehlen ließ bzw. der Beklagte als Hotelbesitzer die notwendigen Anordnungen und Belehrungen unterließ.

Im Hinblick auf die Berufung der Klägerin führt das Berufungsgericht aus, daß nach den Feststellungen des Erstgerichtes die Klägerin ihr gesamtes Hab und Gut in einem den Klagsbetrag von 88.000 S noch übersteigenden Werte in einem gewöhnlichen Hotelzimmer in Koffern und Kisten aufbewahrt habe und hievon bzw. von dem Vorhandensein solcher Werte dem Beklagten als Hotelbesitzer keine Mitteilung gemacht habe und auch sonst nicht für eine gesicherte Aufbewahrung im Hotel oder außerhalb desselben Vorsorge getroffen hat, obwohl ihr Zimmer vom Hotelgang nur durch eine einfache, mit einem gewöhnlichen Schloß versehene Tür und vom Nebenzimmer nur durch eine ihrer Behauptung nach sogar unversperrte Tür getrennt war, was, wie das Erstgericht zutreffend erkannt habe, eine auffallende Sorglosigkeit ihrerseits darstelle, welche den eingetretenen Schaden im Sinne des § 970 Abs. 1 letzter Satz ABGB. mitverschuldet habe. Hiebei erklärt aber das Berufungsgericht, daß der Grad dieses Verschuldens seiner Ansicht nach nicht geringer als der Beklagten zu werten sei, weshalb eine Schadensteilung zu gleichen Teilen gerecht erscheine.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge, gab hingegen der Revision der Klägerin Folge und änderte das Urteil des Berufungsgerichtes dahin ab, daß die eingeklagten Forderungen von 85.342 S und 1000 DM sowie die Gegenforderung des Beklagten mit 3810.80 S zu Recht bestehen und der Beklagte schuldig sei, der Klägerin 81.531.20 S und 1000 DM nicht effektiv nach vorgehender Genehmigung der Nationalbank binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision des Beklagten bekämpft zunächst die Annahme der Untergerichte, daß die Klägerin als Gast im Sinne des § 970 ABGB. anzusehen sei und sucht zu erweisen, daß im gegenständlichen Falle ein dauernder Mietvertrag als Folge der Wohnungsnot vorliege, der als solcher keine Haftung aus der Gastaufnahme begrunden könne.

Dem ist entgegenzuhalten, daß, wie durch die Beweisergebnisse festgestellt ist, die Klägerin den für Gäste geltenden Zimmerpreis zu entrichten hatte; es liegt aus diesem Gründe hier entgegen den Ausführungen der Revision nicht eine als Folge der Wohnungsnot erfolgte Heranziehung von Hotelräumen zu normalen Wohnzwecken und ein in diesem Sinne abgeschlossenes Dauermietverhältnis vor, für welches allerdings die herrschende Rechtslehre (so Klang - Swoboda, Kommentar zu § 970 ABGB.) mit Recht die Haftung ausschließt. Vielmehr erweist schon die Erstellung der Zimmerrechnungen, wie die Untergerichte mit Recht dargelegt haben, daß der Beklagte die Klägerin als "Gast" aufgenommen und als solchen behandelt hat. Da er die für die Gäste erstellten und geltenden Preise zur Anwendung gebracht hat, hat er seinerseits auch die diesen Preisen entsprechenden Leistungen im Sinne des Gesetzes zu übernehmen. Alle diesfalls von der Revision vorgebrachten Darlegungen erweisen sich daher als abwegig und verkennen das Wesen der Institution der Gastaufnahme als solche. Nicht in der Dauer der Inanspruchnahme dieser Institution, sondern in ihren besonderen Einrichtungen liegen die Gründe für die besondere Gestaltung der Haftung. Aus dem gewerbsmäßigen Betriebe eines Hotels fließen die Gefahren des offenen Hauses, welche den erhöhten Schutz des Gastes notwendig machen.

Weiter wird von der Revision des Beklagten bestritten, daß ein Verschulden seinerseits, bzw. eines seiner Leute, insbesondere des Stubenmädchens Maria D., vorliege.

Auch in dieser Richtung erweisen sich die Ausführungen der Revision als unstichhältig.

Der Auffassung des Beklagten, die Sorge für das Eigentum der Gäste und insbesondere die Beobachtung verdächtiger Personen sei niemals primäre Pflicht des Stubenmädchens, ist nicht beizutreten.

Diese Pflicht der Sorge für das Eigentum der Gäste obliegt vielmehr, entsprechend dem Wesen des Gastgewerbes, allen im Unternehmen tätigen Personen, je nach ihrer Funktion und Möglichkeit.

Das Erstgericht hat diesfalls eingehend und erschöpfend auf Grund der Ergebnisse des überaus sorgfältig geführten Beweisverfahrens dargelegt, warum und in welcher Richtung ein Verschulden des Hotel-Stubenmädchens Maria D., somit einer Angestellten des Beklagten, gegeben ist.

Diesen auch vom Berufungsgericht als denkrichtig und der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechend gewerteten, auf das Verschulden der Angestellten gezogenen Schlußfolgerungen schließt sich auch der Oberste Gerichtshof an. Es sei in diesem Zusammenhange insbesondere auch auf die in den Urteilsgrunden bezogenen Angaben des Sachverständigen im Hotelfache Ludwig R. verwiesen, wonach "eine Nachlässigkeit der Angestellten darin gelegen ist, daß sie nach Lage des Falles nicht einen anderen Hotelangestellten zu Rate gezogen hat oder nicht im Zimmer Nachschau hielt", eine übrigens schon nach allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen gegebene Selbstverständlichkeit, der gegenüber in diesem Zusammenhange der Einwurf des Beklagten in seiner Berufung, "Kardinaltugend des Stubenmädchens habe seine Diskretion zu sein", geradezu absurd erscheint. Völlig zutreffend hat das Berufungsgericht weiter auf Grund der Gesamtsituation, und zwar keineswegs im Widerspruche zu dem Prozeßakte, wie die Revision vermeint, zum Ausdrucke gebracht, daß das Ausräumen von so zahlreichen Koffern und das Wegbringen der umfangreichen Beute zur Tageszeit aus dem Hotel nur durch das Fehlen der von jedem Kurgast erwarteten Umsicht und Sorgfalt des Hotelbetriebes ermöglich wurde und zu erklären ist.

Von einem Mangel der Kausalität, wie die Revision des Beklagten vermeint, kann bei richtiger Beurteilung der Sach- und Rechtslage darum keine Rede sein.

Wenn schließlich noch von der Revision des Beklagten geltend gemacht wird, es handle sich bei einem großen Teile der eingebrachten und dann gestohlenen Sachen um Kostbarkeiten, erübrigt es sich im Sinne des § 970 Abs. 1 letzter Satz ABGB., auf diesen Einwand näher einzugehen, da im gegebenen Falle ein vom Unternehmen verschuldeter Schaden vorliegt.

Erwähnt in diesem Zusammenhang sei nur nebenbei, daß im Sinne des Gutachtens des Obersten Gerichtshofes vom 13. September 1920, Präs. Z. 445/20, SZ. II/147, Pelze und aus gleichen Gründen offenkundig auch Textilien als Kostbarkeiten, deren Wesen ja darin liegt, daß trotz kleinen Rauminhaltes und geringen Gewichtes ein sehr hoher Wert der Sache vorliegt, nicht anzusehen sind.

Es war daher der Revision des Beklagten ein Erfolg zu versagen.

Dagegen ist die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Klägerin begrundet.

In dem Umstande, daß die Klägerin ihr gesamtes Hab und Gut in einem den Klagsbetrag übersteigenden Werte in einem gewöhnlichen Hotelzimmer in Koffern und Kisten aufbewahrt hat, kann ein Mitverschulden nicht erblickt werden. Die Klägerin ist eine vertriebene Volksdeutsche. Es liegt in der Natur der Sache, daß sie ihr ganzes Hab und Gut, das sie retten konnte, mit sich geführt hat. Die Zahl der Kisten und Koffer mußte dem Beklagten, in dessen Hotel sie schon mehrere Monate gewohnt hatte, bekannt sein. Es war daher Sache des Gastwirtes, die Klägerin darauf aufmerksam zu machen, daß er eine Haftung für die Sachen im Zimmer nicht übernehmen könne; da er das nicht getan hat, kann der Klägerin auch kein Verschulden zur Last gerechnet werden, daß sie die Koffer und Kisten weiter in ihrem Zimmer verwahrt hat.

Auch in der Tatsache, daß sie dem Beklagten von dem Werte der Sachen keine Mitteilung gemacht hat, ist kein Mitverschulden zu erblicken, weil ihr nach dem Gesetze eine solche Mitteilung gar nicht oblag. Nach § 970a ABGB. haftet der Gastwirt auch für Kostbarkeiten unbeschränkt, wenn ihn oder seine Leute ein Verschulden trifft, ohne für diesen Fall die Haftung ablehnen oder beschränken zu können. Daraus ergibt sich, daß den Gast durch die bloße Tatsache, daß er Kostbarkeiten eingebracht hat, noch kein Verschulden oder Mitverschulden treffen kann. Es müßte ihm vielmehr ein konkretes Mitverschulden nachgewiesen sein, wie Nichtverschließen des Zimmers usw. Das ist aber gar nicht behauptet worden.

Die Annahme eines Mitverschuldens der Klägerin durch die Unterinstanzen ist demnach rechtsirrig.

Es mußte infolgedessen ihrer Revision Folge gegeben und wie oben erkannt werden.

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