Spruch:
Der Umstand, daß eine geschiedene Frau, die im Zeitpunkte des Scheidungsvergleiches arbeitsfähig, aber nicht erwerbstätig war, nachträglich eine Arbeit angenommen hat, rechtfertigt an sich nicht das Begehren des geschiedenen Ehemannes, das Ruhen der im Scheidungsvergleich übernommenen Unterhaltsverpflichtung auszusprechen.
Entscheidung vom 5. März 1950, 1 Ob 141/50.
I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Die Ehe der beiden Streitteile wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz aus beiderseitigem Verschulden wegen schwerer Eheverfehlungen gemäß § 49 EheG. geschieden. Noch vor der Urteilsfällung haben die Parteien vor dem Scheidungsrichter einen Vergleich für den Fall der Scheidung geschlossen. Im Punkt 1 dieses Vergleiches verpflichtete sich der Kläger, der Beklagten einen Unterhaltsbetrag von monatlich 100 S, beginnend am 1. Jänner 1949, zahlbar bis längstens 20. eines jeden Monates, zu bezahlen. "Dieser Unterhaltsleistung", heißt es im Vergleich, "wird übereinstimmend ein derzeitiger monatlicher Reinverdienst des Beklagten von 600 S zugrunde gelegt." Kläger begehrt nun im Klagswege festzustellen, daß die sich aus dem Vergleich vom 30. Mai 1949 ergebende Unterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber der Beklagten ab 1. August 1949 insolange ruhe, als die beklagte Partei selbst ein Einkommen von wöchentlich 110 S oder darüber besitzt. Er begrundet dieses Begehren damit, daß die Beklagte im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nur eine Stundenbeschäftigung mit einem kleinen Verdienst gehabt hatte, seither habe sie aber eine Dauerbeschäftigung angenommen und verdiene 400 bis 500 S netto.
Das Erstgericht erkannte nach dem Klagebegehren, das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab, die Revision blieb ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach dem Wortlaut des vorliegenden Vergleiches wurde eine Änderung nur insoweit vertragsmäßig vorgesehen, als eine Änderung des Einkommens des Klägers in Betracht gezogen wurde. Es ist daher Sache des Klägers, zu beweisen, daß die Absicht der Parteien über den Wortlaut des Vergleiches hinaus dahin gegangen sei, daß die Beklagte nur insolange die monatliche Alimentation von 100 S erhalten solle, als sie nicht Vollarbeit leiste (ZBl. 1932, Nr. 266). Diesen Beweis hat der Kläger nicht erbracht.
Diese Absicht kann auch nicht dem Vertrag subintelligiert werden. Das folgt nicht nur aus den rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichtes, denen sich der Oberste Gerichtshof anschließt, sondern auch aus nachstehender Überlegung: Nach § 68 EheG. steht bei Scheidung aus beiderseitigem Verschulden der Ehegattin nur dann ein Unterhaltsanspruch zu, wenn sie sich nicht selbst erhalten kann, nicht aber, wenn sie, obwohl arbeitsfähig, tatsächlich nicht erwerbstätig ist. Wenn daher der geschiedene Ehemann sich in einem Vergleich über das Gesetz hinaus zu einer Alimentationsleistung an die arbeitsfähige, aber nicht erwerbstätige Ehegattin verpflichtete, so kann nicht ohneweiters angenommen werden, daß er diesen Unterhalt davon abhängig gemacht hat, daß sie keine Arbeit annimmt, denn das Gesetz stellt nur auf die Arbeitsfähigkeit ab, aber nicht auf die tatsächliche Erwerbstätigkeit. Wenn, wie diesmal, keine Anhaltspunkte hervorgekommen sind, die einen abweichenden Vertragswillen erkennen lassen, so ist vielmehr mit dem Berufungsgericht zu vermuten, daß der Ehemann der in Österreich herrschenden Rechtsauffassung Rechnung tragen wollte, die den geschiedenen Ehemann, der an der Ehescheidung mitschuldig ist, ohne Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit der Frau zur Unterhaltsleistung verpflichtet.
Der Oberste Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, daß das Berufungsgericht auch die Rechtsfrage richtig gelöst hat.
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