OGH 1Ob392/49

OGH1Ob392/4912.11.1949

SZ 22/173

Normen

Mietengesetz §19 Abs2 Z11
ZPO §20
ZPO §240
ZPO §468
ZPO §471
ZPO §477
ZPO §503 Z1
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z4
Mietengesetz §19 Abs2 Z11
ZPO §20
ZPO §240
ZPO §468
ZPO §471
ZPO §477
ZPO §503 Z1
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z4

 

Spruch:

Die sachliche Erledigung einer verspäteten oder nach ausdrücklichem Verzicht erhobenen Berufung durch das Berufungsgericht begrundet Nichtigkeit, die mit dem Revisionsgrund des § 503 Z. 1 ZPO. geltend gemacht werden kann.

Entscheidung vom 12. November 1949, 1 Ob 392/49.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das ursprüngliche Klagebegehren ging erstens auf die Feststellung, daß die Klägerin allein nach § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. in den Mietvertrag zwischen ihrer verstorbenen Mutter und der beklagten Partei hinsichtlich der Wohnung Nr. 38 im Hause Wien, II., ...straße 11, kraft Gesetzes eingetreten sei, zweitens auf den Ausspruch, die beklagte Partei sei als Hauseigentümerin schuldig, in die vertragsmäßige Benützung dieser Wohnung durch die Klägerin allein als Hauptmieterin einzuwilligen. Die Schwester der Klägerin M. Sch. ist unter der Behauptung, sie sei tatsächlich Hauptmieterin dieser Wohnung, als Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei beigetreten. Vor Schluß der Verhandlung in erster Instanz änderte die Klägerin ihr Begehren dahin, es werde festgestellt, sie sei gemeinsam mit der Nebenintervenientin in den Mietvertrag der verstorbenen Mutter eingetreten und sei die beklagte Partei schuldig, in die vertragliche Benützung der Wohnung durch die Klägerin und deren Schwester gemeinsam als Hauptmieterinnen einzuwilligen.

Das Erstgericht erkannte im Sinne dieses geänderten Klagebegehrens. Die beklagte Partei hat dieses Urteil lediglich im Kostenpunkt mit Rekurs angefochten, während die Nebenintervenientin dagegen nebst einem Kostenrekurs abgesondert hievon auch Berufung erhoben hat.

Das Berufungsgericht gab dieser Berufung Folge und wies das geänderte Klagebegehren in Abänderung des erstgerichtlichen Urteiles mit der Begründung ab, daß die Nebenintervenientin zur Erhebung der Berufung berechtigt sei, da die beklagte Partei auf die Berufung nicht verzichtet habe, daß an dem festzustellenden Bestandverhältnis nicht nur die Streitteile, sondern auch die Nebenintervenientin beteiligt sei und die Klägerin daher die Klage nicht bloß gegen die beklagte Partei, sondern zugleich auch gegen ihre Schwester hätte einbringen müssen, damit ausgesprochen werden könne, daß beide Schwestern in das Mietverhältnis eingetreten seien und daß die Hausinhabung das Bestandverhältnis mit beiden Schwestern fortzusetzen habe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klägerin hat den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung dahin ausgeführt, daß die Nebenintervenientin zur Anfechtung des erstgerichtlichen Urteiles nicht berechtigt und das Berufungsgericht zur Überprüfung des erstgerichtlichen Urteiles auf Grund dieser Berufung nicht befugt gewesen sei, da von der beklagten Partei außer Streit gestellt worden sei, daß die Klägerin und die Nebenintervenientin zur ungeteilten Hand in den Mietvertrag der verstorbenen Mutter über die gegenständliche Wohnung eingetreten seien, die Berufung der Nebenintervenientin damit in Widerspruch stehe und daher unzulässig sei, zumal die beklagte Partei als Hauseigentümerin ohne weiteres berechtigt gewesen sei, das Klagebegehren anzuerkennen. Die klagende Partei behauptet demnach nicht eine unrichtige Auslegung materiellrechtlicher Vorschriften, sondern eine unrichtige Anwendung der Prozeßgesetze. Der Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO. ist jedoch nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nur bei unrichtiger Auslegung und Anwendung des materiellen Rechtes gegeben und dienen zur Bekämpfung einer unrichtigen Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften die Revisionsgrunde des § 503 Z. 1 und 2 ZPO. (vgl. die bei Hermann, Zivilprozeßordnung, große Ausgabe, 9. Aufl., S. 978, unter Nr. 27 zu § 503 Z. 4 ZPO. zitierten Entscheidungen). Da die Klägerin in ihrer Revision vorbringt, daß die Berufung der Nebenintervenientin unzulässig war und daher vom Berufungsgericht gemäß § 471 Z. 2 ZPO. zurückzuweisen gewesen wäre, macht sie tatsächlich den Revisionsgrund des § 503 Z. 1 ZPO. geltend; denn sie behauptet, daß das erstgerichtliche Urteil, da die Berufung der Nebenintervenientin unzulässig war, bereits in Rechtskraft erwachsen ist, daß das Berufungsgericht die Rechtskraft gemäß § 240 Abs. 3 ZPO. von Amts wegen hätte berücksichtigen müssen und daher nicht befugt war, das bereits rechtskräftige erstgerichtliche Urteil abzuändern.

Die Rechtskraft einer Entscheidung begrundet Nichtigkeit des ohne Rücksicht auf die Rechtskraft durchgeführten Verfahrens (vgl. Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, I/3, S. 603). Daher begrundet die sachliche Erledigung einer verspäteten Berufung durch das Rechtsmittelgericht wegen Verstoßes gegen das Gebot der Rechtskraft Nichtigkeit (vgl. Sperl, a. a. O., S. 661). Das gleiche muß aber für die meritorische Erledigung einer unzulässigen Berufung zumindest im Falle eines gültigen Verzichtes auf das Rechtsmittel gelten. Durch den gültigen Verzicht wird ja das Urteil gegenüber dem Verzichtenden rechtskräftig. Daher ist auch der Verzicht unwiderruflich und ist vom Rechtsmittelgericht von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. Sperl, a. a. O., S. 598). Dasselbe gilt auch für die Berufung des Nebenintervenienten, wenn die Hauptpartei auf das Rechtsmittel verzichtet hat oder ihr gegenüber das Urteil sonst rechtskräftig geworden ist, mag die Berufung unter diesen Umständen als wirkungslos oder als unzulässig angesehen werden (vgl. Sperl, a. a.O., S. 600, Neumann, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, 4. Aufl., II, S. 1282). Da somit die klagende Partei in ihrer Revision das Vorliegen einer Nichtigkeit behauptet und damit nur den Revisionsgrund nach § 503 Z. 1 ZPO., wenn auch unter unrichtiger Bezeichnung, geltend macht, ist die Stichhältigkeit ihres Vorbringens zu untersuchen, zumal die Rechtskraft gemäß § 240 Abs. 3 ZPO. in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen ist. Die beklagte Partei hat nun nach der Aktenlage auf die Berufung nicht verzichtet. Ein solcher Verzicht müßte ausdrücklich erklärt werden (vgl. Neumann, a. a. O., S. 1282, Sperl, a. a. O., S. 597). Daß die beklagte Partei nicht selbst Berufung erhoben hat, hindert nicht die Nebenintervenientin daran, dieses Rechtsmittel einzubringen (vgl. Sperl, a. a. O., I/2, S. 173, Neumann, a. a. O., I, S. 463).

Die Nebenintervenientin hat sich aber auch mit ihrer Berufung nicht mit den Prozeßhandlungen der beklagten Partei in Widerspruch gesetzt, da sie keineswegs den Eintritt der Klägerin in das Mietverhältnis bestritten, sondern bloß vorgebracht hat, daß die von der Klägerin erworbenen Rechte später auf die Nebenintervenientin übergangen seien. Dies steht aber damit nicht in Widerspruch, daß die beklagte Partei außer Streit gestellt hat, daß die klagende Partei gemeinsam mit der Nebenintervenientin in das Mietverhältnis der verstorbenen Mutter eingetreten sei. Demnach war die Nebenintervenientin, selbst wenn die Voraussetzungen des § 20 ZPO. nicht gegeben wären, zur Erhebung der Berufung gegen das erstgerichtliche Urteil befugt und ihre Berufung daher zulässig. Der geltend gemachte Revisionsgrund des § 503 Z. 1 ZPO. liegt somit nicht vor. Da die klagende Partei diesen Revisionsgrund bloß unrichtig als jenen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung bezeichnet, die materiellrechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes aber gar nicht bekämpft hat, war das angefochtene Urteil in materiellrechtlicher Hinsicht nicht zu überprüfen.

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