Normen
Verbotsgesetz 1945 §17
Wohnungsanforderungsgesetz §4
Wohnungsanforderungsgesetz §8
Wohnungsanforderungsgesetz §14
ZPO §240
ZPO §411
ZPO §527
Verbotsgesetz 1945 §17
Wohnungsanforderungsgesetz §4
Wohnungsanforderungsgesetz §8
Wohnungsanforderungsgesetz §14
ZPO §240
ZPO §411
ZPO §527
Spruch:
Die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung hält gegenüber nachträglichen Tatbestandsänderungen nicht stand.
Entscheidung vom 2. November 1949, 1 Ob 199/49.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die Klägerin Grete L. war Hauptmieterin einer Wohnung im Hause Wien, VIII., K.gasse. Da sie im April 1945 von Wien abwesend war und ihre Untermieter, die in ihrer Wohnung verblieben waren, im Jahre 1946 auszogen, erstattete die Hausverwaltung gemäß § 4 Abs. 1 lit. e WAG. die Meldung, daß die Wohnung unbenützt sei. Die Wohnung wurde hierauf mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 14. Februar 1946, der jedoch nur der Hausverwaltung zugestellt wurde, gemäß § 8 Abs. 3 WAG. angefordert. Am 13. März 1946 erteilte dann das Wohnungsamt der Stadt Wien der Beklagten Margarethe F. die Bewilligung zur vorläufigen Benützung der gesamten Wohnung, die aus vier Zimmern, einer Küche, einem Vorzimmer, einem Dienerzimmer und einem Badezimmer besteht, mit der Auflage, zwei Zimmer für Untermieter zur Verfügung zu halten.
Gestützt auf ein Schreiben der Rechtsabteilung des Magistratischen Bezirksamtes für den 8. und 9. Wiener Gemeindebezirk vom 14. Juni 1946, wonach Grete L. weder dem Personenkreis des § 4 noch dem des § 17 VerbotsG. 1945 angehört und als ungekundigte Hauptmieterin der in Rede stehenden Wohnung anzusehen ist, brachte nun Grete L. am 6. Juli 1946 gegen Margarethe F. eine Räumungsklage ein. Mit dem rechtskräftig gewordenen Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt vom 18. Jänner 1947 wurde diese Räumungsklage jedoch mit der Begründung abgewiesen, daß der Klägerin die aktive Klagslegitimation mangle; die Klägerin habe nämlich ihre Rechtsstellung als Hauptmieterin der gegenständlichen Wohnung dadurch verloren, daß das Wohnungsamt am 14. Februar 1946 die Wohnung angefordert und sie am 13. März 1946 der Beklagten zugewiesen habe; mit der vollzogenen Übergabe der Wohnung an die Eingewiesene seien die Mietrechte der Klägerin an der in Rede stehenden Wohnung gemäß § 14 Abs. 4 WAG. erloschen.
Nach Erlassung dieser Entscheidung wurde die der Margarethe F. erteilte vorläufige Benützungsbewilligung aufgehoben.
Am 17. Juli 1948 brachte Grete L. zu 47 C 575/48 des Bezirksgerichtes Innere Stadt in Wien neuerlich eine Räumungsklage gegen Margarethe F. ein, in der sie darauf verwies, daß der Anforderungsbescheid vom 14. Februar 1946 ihr gegenüber niemals rechtskräftig geworden und die der Beklagten Margarethe F. erteilte vorläufige Benützungsbewilligung für die gegenständliche Wohnung mit Bescheid der Magistratsabteilung 51 vom 16. Mai 1947, bzw. mit Bescheid des Bundesministeriums für soziale Verwaltung als Berufungsinstanz vom 27. Juni 1948, rechtskräftig aufgehoben worden sei.
Das Erstgericht hat nun mit Beschluß vom 22. Dezember 1948 die von der Beklagten Margarethe F. erhobene Einrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache als gerechtfertigt erkannt und die Räumungsklage zurückgewiesen.
Infolge Rekurses der Klägerin hat das Berufungsgericht den erstgerichtlichen Zurückweisungsbeschluß aufgehoben und dem Erstgerichte aufgetragen, das Verfahren über die Klage fortzusetzen und unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrunde zu entscheiden. Das Rekursgericht hat hiebei gemäß § 527 Abs. 2 ZPO. ausgesprochen, daß das Verfahren erster Instanz erst nach eingetretener Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen sei, und diesen Ausspruch mit dem Hinweis begrundet, daß die gegenständliche Rechtsfrage nicht unbestritten sei.
Das Rekursgericht ließ sich bei seinem Aufhebungsbeschluß von folgenden Erwägungen leiten: Es sei wohl richtig, daß beide Räumungsprozesse zwischen denselben Parteien geführt worden seien und daß die Klägerin ihren Räumungsanspruch in beiden Prozessen auf ihre Hauptmietrechte an der fraglichen Wohnung gestützt habe, dennoch könne im zweiten Falle nicht von der neuerlichen Geltendmachung desselben Anspruches gesprochen werden, weil es sich dadurch, daß eine erfolgreiche Einwendung der Beklagten im früheren Prozesse inzwischen fortgefallen sei, um eine neue Rechtslage handle. Die dem unter geänderten Verhältnissen geltend gemachten Räumungsanspruch der Klägerin von der Beklagten entgegengestellte Einrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache sei daher nicht gerechtfertigt.
Der Rekurs der Beklagten blieb ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung des Obersten Gerichtshofes:
Im früheren Räumungsprozeß zu 47 C 998/46 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien hat die Beklagte dem Räumungsbegehren zwei Einwendungen entgegenstellt: 1. daß dem Räumungsbegehren der Klägerin der aufrechte Bestand der vorläufigen Benützungsbewilligung im Wege stehe, 2. daß die Klägerin gemäß § 14 Abs. 4 WAG. ihre Mietrechte an der in Rede stehenden Wohnung verloren habe und daß ihr daher die aktive Klagslegitimation fehle. Letzterem Einwand hat die Klägerin schon im früheren Prozesse entgegengehalten, daß der Anforderungsbescheid ihr niemals zugestellt worden und daher ihr gegenüber auch niemals rechtskräftig geworden sei.
Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin zur Begründung ihres Räumungsanspruches darauf verwiesen, daß die der Beklagten seinerzeit erteilte, bereits mehrfach erwähnte vorläufige Benützungsbewilligung für die in Rede stehende Wohnung inzwischen rechtskräftig aufgehoben worden und die Anforderung der Wohnung vom 14. Februar 1946 als hinfällig anzusehen und damit keinesfalls ihr Mietrecht an der gegenständlichen Wohnung gemäß § 14 Abs. 4 WAG. erloschen sei. In letzterer Beziehung befindet sie sich, wie gleich hier bemerkt sein mag, im Einklang mit der sowohl vom Bundesministerium für soziale Verwaltung in seinem Berufungsbescheid vom 27. Juni 1948 als auch vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25. Februar 1949 zum Ausdruck gebrachten Auffassung.
Die Rekurswerberin macht nun der Klägerin den Vorwurf, daß sie die Abweisung ihres Räumungsbegehrens im früheren Prozesse habe in Rechtskraft erwachsen lassen, obgleich sie schon damals den Standpunkt vertreten habe, der Anforderungsbescheid vom 14. Februar 1946 sei ihr gegenüber niemals rechtskräftig geworden. Die Rekurswerberin übersieht aber, daß die Abweisung des Räumungsbegehrens zur Zeit der Urteilsfällung im früheren Prozesse nach der damaligen Rechtslage begrundet war, weil ja dem Räumungsbegehren der aufrechte Bestand der vorläufigen Benützungsbewilligung entgegenstand, wenn auch der damalige Prozeßrichter die Abweisung des Klagebegehrens einzig und allein auf die seiner Meinung nach mangelnde aktive Klagslegitimation der Klägerin gestützt hatte. Die Klägerin hätte somit auch dann, wenn sie gegen das Urteil im Vorprozeß ein Rechtsmittel ergriffen hätte, im Endeffekt nur eine andere Begründung, aber keine Änderung des abweislichen erstgerichtlichen Urteiles erzielen können.
Der Oberste Gerichtshof billigt die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, daß die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung gegenüber nachträglichen Tatbestandsveränderungen nicht standhält (gleicher Meinung auch Neumann, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 4. Aufl., S. 1170, und Pollak, Zivilprozeßrecht, S. 538). Da nun im vorliegenden Fall nach obigen Darlegungen durch Aufhebung der vorläufigen Benützungsbewilligung für die Beklagte hinsichtlich der gegenständlichen Wohnung ein durchaus neuer Tatbestand gegeben erscheint, liegt auch nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes keine Identität der vorliegenden Streitsache mit dem Vorprozesse zu 47 C 998/46 des Bezirksgerichtes Innere Stadt in Wien vor, so daß das Rekursgericht mit Recht den erstgerichtlichen Zurückweisungsbeschluß aufgehoben hat, damit das Erstgericht nunmehr über die Berechtigung des Räumungsbegehrens entscheide.
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