Spruch:
Ein auf Grund der anthropologisch-erbbiologischen Begutachtung festgestellter hoher Grad der Unwahrscheinlichkeit einer Zeugung ist zur Widerlegung der Vermutung des § 163 ABGB. geeignet.
Entscheidung vom 26. Oktober 1949, 2 Ob 463/49.
I. Instanz: Bezirksgericht Ried i. I.; II. Instanz: Kreisgericht Ried i. I.
Text
Das Prozeßgericht hat das auf Feststellung der Vaterschaft und auf Unterhaltsleistung gerichtete Klagebegehren abgewiesen. Während der Beklagte durch die Blutgruppenuntersuchung und durch das über den Reifegrad des Kindes erstattete Gutachten nicht entlastet wurde, hat die anthropologisch-erbbiologische Untersuchung ergeben, daß zwischen dem Kind und dem Zeugen H., mit dem die Kindesmutter während der Empfängnisfrist ebenfalls verkehrt hatte, auffallende Übereinstimmungen bestehen, die mit überaus großer Wahrscheinlichkeit einen Schluß auf dessen Vaterschaft zulassen.
Das Berufungsgericht hat das erstrichterliche Urteil bestätigt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei keine Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Oberste Gerichtshof hat in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung vom 4. März 1936, 3 Ob 177/36, ÖRZ. 1936, S. 116, ausgesprochen und hält an dieser Ansicht fest, daß der Gegenbeweis im Sinn des § 163 ABGB. keine absolute Gewißheit erfordert, die in sehr vielen Fällen nach dem Stand der Wissenschaft nicht erbracht werden kann, sondern nur einen Grad der Wahrscheinlichkeit, der eine so geringe Komponente entgegenstehender Möglichkeit übrig läßt, daß diese füglich vernachlässigt werden kann. In diesem Falle läßt sich eben von einem Grad der Wahrscheinlichkeit sprechen, der so hoch ist, daß er sich einer absoluten Gewißheit nähert. Auf Grund der Beweisergebnisse, d. h. der einschlägigen Sachverständigengutachten, durfte das Berufungsgericht in rechtlicher Hinsicht aussprechen, daß die Wahrscheinlichkeit einer Zeugung des Kindes durch H., bzw. die Unwahrscheinlichkeit der Zeugung durch den Beklagten eine so hohe sei, daß sie an Sicherheit grenze. Eine völlige, hundertprozentige Sicherheit läßt sich nach dem heutigen Stand der Wissenschaft durch die erbbiologisch-anthropologische Untersuchung überhaupt nicht gewinnen. Aber ihre Eignung zur Widerlegung der Vaterschaftsvermutung des § 163 ABGB. hat der Oberste Gerichtshof schon zu einer Zeit anerkannt, als sie noch nicht den heutigen wissenschaftlichen Vollkommenheitsgrad erreicht hatte (ÖRZ. 1931, S. 199, ZBl. 1931, Nr. 322 u. a. m.). Galt dies damals noch für die Anwendung dieses Beweismittels im Zusammenhang mit anderen Beweisergebnissen, kann heute nichts mehr im Wege stehen, den Gegenbeweis auch als durch diese Untersuchung allein hergestellt anzusehen, wenn ihre Ergebnisse mit einer an Gewißheit grenzenden, sehr hohen Wahrscheinlichkeit die Zeugung eines durch den Beklagten ausschließen. Dies trifft im vorliegenden Falle zu.
Die Revision erweist sich darum als unbegrundet.
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