OGH 2Ob457/49

OGH2Ob457/4919.10.1949

SZ 22/160

Normen

ABGB §90
ABGB §109
ABGB §540
ABGB §768
EheG §46
EheG §65
EheG §74
ZPO §503 Z4
ABGB §90
ABGB §109
ABGB §540
ABGB §768
EheG §46
EheG §65
EheG §74
ZPO §503 Z4

 

Spruch:

Zum Begriff der schweren Verfehlungen im Sinne des § 74 EheG.

Entscheidung vom 19. Oktober 1949, 2 Ob 457/49.

I. Instanz: Bezirksgericht Innsbruck; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.

Text

Die Ehe der beiden Streitteile war im Jahre 1946 gemäß § 49 EheG. geschieden und dem Ehemann eine Unterhaltsleistung an die geschiedene Gattin mit Urteil aufgetragen worden. Der geschiedene Ehemann stellte nunmehr das Klagebegehren, festzustellen, daß der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Gattin verwirkt sei, weil sie sich schwere Verfehlungen im Sinne des § 74 EheG. habe zuschulden kommen lassen.

Das Erstgericht entschied im Sinne des Klagebegehrens, das Berufungsgericht änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, daß das Klagebegehren abgewiesen wurde.

Der Oberste Gerichtshof hat über Revision des Klägers das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht übernahm die Tatsachenfeststellungen und die Beweiswürdigung des Erstgerichtes und nahm demgemäß als erwiesen an, daß die Beklagte Ende 1947 zur Schwester des Klägers sagte, dieser wolle in der Wohnung ein Bordell eröffnen, daß sie im November oder Dezember 1947 sich zu derselben Zeugin äußerte, der Kläger sei angesteckt und auch die Leute auf der Straße merken es, daß er so spaßig dahergehe, wobei unter "angesteckt" zu verstehen war, daß Kläger geschlechtskrank sei. Ferner wurde als erwiesen angenommen, daß die Beklagte am 11. Mai 1947 gegen den Kläger einen Kochtopf mit Kartoffeln warf, ihn in Gegenwart der minderjährigen Tochter anspuckte, ohrfeigte, boxte und mit Schimpfworten, wie Saukerl, Schwein, Dieb, Kriegsverbrecher und dergleichen, belegte und am 1. Oktober 1947 wiederum in Gegenwart der Tochter einen Schweinkerl und Pharisäer hieß. Das Berufungsgericht übernahm auch die erstgerichtliche Feststellung, daß die Beklagte ihre beiden ehelichen Kinder gegen den Kläger beeinflußte, so daß ihre Tochter sich weigerte, dem Vater Milch zu holen und ihm die Schuhe zu putzen. Der Sohn weigerte sich, vom Kläger Obst und dergleichen anzunehmen, weil die Beklagte es ihm verboten habe. Überdies verweigerte die Beklagte dem Kläger das Zusammenkommen mit den Kindern. Im Dezember 1947 endlich schrieb die Beklagte dem Kläger einen Brief, in dem sie sagte: "Ansonsten bin ich gezwungen, Schritte bei der Kriminalpolizei oder bei der russischen Kommandantur zu machen, dann lasse ich Dich aber hochgehen, dann wird man Dir den Genickschuß geben."

Während nun das Erstgericht in diesen Vorfällen schwere Verfehlungen erblickte, welche über das erträgliche Maß weit hinausgingen und die Beklagte des Unterhaltsanspruches nach § 74 EheG. verlustig machten, beurteilte das Berufungsgericht den erwiesenen Sachverhalt abweichend vom Erstgericht dahin, daß diese Verfehlungen weder einzeln noch in ihrem Zusammenwirken so schwerwiegend seien, um sie als "schwere" im Sinne des § 74 EheG. anzusehen. Es sei zu berücksichtigen, daß die aus beiderseitigem Verschulden geschiedenen Gatten gezwungen waren, in derselben Wohnung in enger Berührung weiter zusammen zu leben, wodurch ihre gegenseitige Reizbarkeit sich stark erhöhen mußte. Aus den ehelichen Zerwürfnissen ergebe sich auch eine Beeinflussung der Kinder durch die Beklagte, deren erklärliche Abneigung auf die Kinder und deren Verhalten gegen den Kläger abfärbe, ohne daß man darum auf eine beabsichtigte Kränkung schließen müsse. Die Drohung im Brief vom Dezember 1947 sei nur bedingt für den Fall weiterer Belästigungen ausgesprochen, der Kläger habe sie offenbar selbst nicht als sehr schwerwiegend erachtet, weil er deswegen keine Strafanzeige erstattete; und die Verfehlungen seien im übrigen im engsten Familienkreise verschlossen geblieben, so daß sie das Klagebegehren nicht rechtfertigten.

Gegen dieses Urteil wendet sich die klägerische Revision, die unter Anrufung des Revisionsgrundes des § 503 Z. 4 ZPO. die Abänderung im Sinn des Klagebegehrens begehrt.

Die Revision ist begrundet. Der Oberste Gerichtshof vermag sich der Beurteilung des Verhaltens der Beklagten durch das Berufungsgericht nicht anzuschließen. Auch wenn es zutrifft, daß im Sinn des § 46 EheG. geschiedene Ehegatten, da das Eheband nunmehr aufgelöst ist, nicht mehr, wie dies bei der Scheidung von Tisch und Bett im Sinn des § 109 ABGB. der Fall war, zur "anständigen Begegnung" im Sinn des § 90 ABGB. verpflichtet sind, sieht doch das Ehegesetz selbst an mehreren Stellen (§§ 65, 74) die Möglichkeit schwerer Verfehlungen eines geschiedenen Ehegatten gegen den anderen vor. Gewiß muß es sich dabei um Verfehlungen handeln, die über die bloße Verletzung jener nicht mehr bestehenden Pflicht zur anständigen Begegnung hinausgehen, weshalb man Ehrenkränkungen und selbst gelegentliche leichte tatsächliche Injurien, namentlich dann, wenn die durch die Verhältnisse erzwungene Fortsetzung der Hausgemeinschaft die bestehende Spannung noch verschärft, nicht auf die Goldwaage legen darf. Aber die Unterinstanzen haben hier ein fortgesetzt ehrenkränkendes, beleidigendes und auch vor Tätlichkeiten und Drohungen nicht zurückschreckendes Verhalten der Beklagten festgestellt; vor allem die Drohung mit einer Anzeige bei einer Besatzungmacht ist unter den bestehenden Verhältnissen keineswegs leicht zu nehmen, auch wenn sie der Kläger nicht zum Gegenstande einer Strafanzeige machte und wenn sie auch nur bedingt ausgesprochen war. Es ist auch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht zutreffend, daß sich die Verfehlungen der Beklagten im allerengsten Familienkreise zugetragen haben, denn die Beklagte hat zweimal schwere Beleidigungen in bezug auf den Kläger gegenüber seiner nicht im Hause wohnenden Schwester vorgebracht. Ebensowenig trifft es zu, daß das feindselige Verhalten der Kinder gegenüber dem Kläger eine gleichsam spontane Reaktion auf die von ihnen wahrgenommenen Zerwürfnisse zwischen den Eltern darstelle. Denn das Beweisverfahren hat ergeben und das Erstgericht hat festgestellt, daß die Beklagte dem Sohne verboten hat, Geschenke vom Kläger anzunehmen, so daß hier eine positive feindselige Beeinflussung des Kindes durch die Beklagte vorliegt. Daß diese Verfehlungen durch das Verhalten des Klägers ausgelöst oder verschuldet worden seien, wie die Revisionsbeantwortung behauptet, haben die Unterinstanzen nicht festgestellt. Es ist aber auch nicht richtig, daß diese Verfehlungen solche Schwere aufweisen müssen, wie sie etwa § 768 Z. 1 ABGB. für die Enterbung eines Kindes oder § 540 ABGB. für die Erbunwürdigkeit fordert. Anhaltende grobe Beschimpfungen, Tätlichkeiten und Drohungen, wie sie die Beklagte gegenüber dem Kläger gesetzt hat, reichen zur Verwirkung des Unterhaltsanspruches unter dem Gesichtspunkt des § 74 EheG. aus, auch wenn sie ein Verbrechen im Sinn des Strafgesetzes nicht darstellen, da sie jedenfalls den schuldigen Ehegatten unwürdig machen, Unterhalt von dem derart behandelten anderen Ehegatten zu fordern.

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