OGH 3Ob282/48

OGH3Ob282/4829.9.1948

SZ 21/139

Normen

ABGB §879
ABGB §1298
ABGB §1313a
Reichsstrafgesetzbuch §243
Reichsstrafgesetzbuch §249
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z3
ZPO §503 Z4
ABGB §879
ABGB §1298
ABGB §1313a
Reichsstrafgesetzbuch §243
Reichsstrafgesetzbuch §249
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z3
ZPO §503 Z4

 

Spruch:

Sittenwidrigkeit des § 1, Abs. 2 der Lagerbedingungen der Spediteure, die die vom Verwahrer zu zahlende Entschädigung im Falle des Verlustes des Lagergutes auf den Betrag des Lagegeldes für zwölf Monate beschränken, es sei denn, daß dem Verwahrer oder seinen leitenden Angestellten Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen wird.

Die Bestimmung des § 2, Abs. 3 der Lagerbedingungen, daß der Lagerhalter für Kostbarkeiten nicht haftet, wenn dem Verwahrer der wirkliche Wert des Gutes bei der Übergabe nicht bekanntgegeben worden ist, ist nicht anwendbar, wenn ihm diese Tatsachen nachträglich vor Eintritt des Verlustes mitgeteilt worden sind. Die Bestimmung der Lagerbedingungen, daß eine Kenntnis des Wertes auf andere Weise als durch Angabe des Einlagerers bedeutungslos sei, ist sittenwidrig.

Entscheidung vom 29. September 1948, 3 Ob 282/48.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil zu Recht, daß der Klagsanspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe.

Die beiden oberen Instanzen bestätigten diese Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

Entscheidungsgründe des Obersten Gerichtshofes:

Der noch im Streit verfangene Teil des Klagebegehrens ist auf Bezahlung eines Schadenersatzbetrages von 50.000 S gerichtet, da die Beklagte den Verlust einer ihr von der Klägerin zur Aufbewahrung übergebenen Kiste mit Silbersachen in diesem Werte verschuldet habe. Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil, daß dieser Anspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe. Es stellte dem Sinne nach fest, daß die fragliche Kiste mit anderen auf Grund eines Lagerscheines, dessen Gleichschrift der Klägerin zugekommen war und welcher die allgemeinen Lagerbedingungen des deutschen Möbeltransportes - im folgenden kurz Lagerbedingungen genannt - enthielt, von der Beklagten übernommen wurde und daß diese Kiste unter ungeklärten Umständen dann bei der Beklagten verschwunden ist. Für deren Verlust habe die Beklagte zu haften. § 1, Abs. 2 der Lagerbedingungen schlösse die Haftung der Beklagten nicht aus. Diese Stelle setze die vom Verwahrer zu bezahlende Entschädigung auf den Betrag des Lagergeldes von zwölf Monaten fest, es sei denn, daß dem Verwahrer oder seinen leitenden Angestellten Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen wird. Diese Bestimmung sei nämlich, wie das Erstgericht urteilt, in drei Richtungen sittenwidrig; erstens kehre sie die im § 1298 ABGB. festgesetzte Beweislast um, indem sie sie dem Hinterleger zuschiebe, was mit Rücksicht auf den diesen fast immer treffenden Beweisnotstand sittenwidrig sei, zweitens beschränke sie in sittenwidriger Weise die Höhe der vom Verwahrer zu leistenden Entschädigung und drittens schränke sie entgegen der Bestimmung des § 1313a ABGB. die Haftung des Verwahrers für ein Verschulden seiner nicht leitenden Angestellten in weitgehender Weise ein. Zwar seien die Bestimmungen der §§ 1298 und 1313 a ABGB. grundsätzlich abdingbar, könnten aber hier mit Rücksicht auf die Monopolstellung des Berufstandes der Beklagten keineswegs durch allgemeine Bedingungen außer Kraft gesetzt werden. Auch die Bestimmung des § 2, Abs. 1 der Lagerbedingungen streite nicht für die Beklagte, wonach der Verwahrer für den Inhalt von Behältnissen nicht haftet, außer wenn das Ein- und Auspacken durch seine Leute besorgt wurde; und zwar sei diese Bestimmung deswegen hier nicht anwendbar, weil die ganze Kiste, nicht aber etwas aus ihrem Inhalt verschwunden ist. Auch die Bestimmung des § 2, Abs. 3 der Lagerbedingungen käme der Beklagte nicht zustatten. Dort wird nämlich die Haftung des Verwahrers für Kostbarkeiten,wworunter Gegenstände verstanden werden, von denen 1 kg mehr als 150 RM wert ist, auf den Fall eingeschränkt, daß dem Verwahrer der wirkliche Wert des Gutes unter besonderer Hinweisung auf dessen Beschaffenheit bei der Übergabe zur Lagerung angegeben worden ist und er die Haftung nicht abgelehnt hat. Hiezu stellt das Erstgericht fest, daß die Beklagte zwar nicht bei der Übergabe, wohl aber später zwecks Erhöhung der Versicherungssumme eine Liste der verwahrten Gegenstände von der Klägerin erhalten hat. Dieser könne aber die spätere Übergabe der Liste nicht zum Nachteil gereichen, weil die Beklagte bis zum Verlust der Kiste noch immer Zeit gehabt hätte, entweder ihre Haftung abzulehnen oder die Kiste entsprechend zu sichern. Daß die Lagerbedingungen die Bekanntgabe des Wertes der Gegenstände gleichzeitig mit deren Übergabe an den Verwahrer fordern, erkläre sich damit, daß die Bedingungen nur den Regelfall im Auge hätten. Da der Beklagten der ihr nach § 1298 ABGB. obliegenden Beweis nicht gelungen sei, daß der Verlust der Kiste nicht durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit eines ihrer leitenden Beamten verursacht wurde, bestehe der eingeklagte Anspruch dem Gründe nach zu Recht.

Gegen dieses Urteil erhob die Beklagte aus den Gründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, der unrichtigen Beweiswürdigung und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens die Berufung.

Das Berufungsgericht gab ihr aber nicht Folge. Da unbestrittenermaßen eine ganze Kiste mit Silberzeug auf ungeklärte Art verschwunden ist und deren Wegtragen doch hätte auffallen müssen, habe es an der nötigen Sorgfalt der Beklagten oder eines ihrer leitenden Angestellten gefehlt. Die Beklagte habe also nicht die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes durch Bestellung eines zuverlässigen Wachorgans beobachtet, daher falle ihr grobe Fahrlässigkeit zur Last. Es komme daher auf die Frage der Sittenwidrigkeit der Bestimmung des § 1, Abs. 2 der Lagerbedingungen nicht an. Das Berufungsgericht billigt zwar die Rechtsansicht des Erstgerichtes über die Auslegung des § 2, Abs. 3 der Lagerbedingungen hinsichtlich von Kostbarkeiten nicht, ist aber der Rechtsansicht, daß hier nach § 2, Abs. 4 dieser Bedingungen § 2, Abs. 3 derselben nicht anzuwenden sei. Nach § 2, Abs. 4 ist nämlich § 2, Abs. 3 dieser Bedingungen dann nicht anzuwenden, wenn der Hinterleger beweist, daß der Schaden auf andere Umstände als auf die Unterlassung der Wertangabe zurückzuführen ist oder auch bei erfolgter Wertangabe entstanden wäre. Wegen der Ungeklärtheit des Verlustes der Kiste sei ein strikter Beweis hierüber nicht nötig, denn die Kiste sei sicherlich nicht deshalb abhanden gekommen, weil keine Wertangabe gemacht wurde, und es hätte auch eine solche Wertangabe ihren Verlust nicht verhindert. Darum sei es auch bedeutungslos, ob der Wert der Kiste schon bei ihrer Übergabe zur Lagerung oder erst später der Beklagten angegeben worden ist. Für einen Haftungsausschluß der Beklagten nach § 3, Abs. 1, lit. g der Lagerbedingungen - daß nämlich der Schaden durch schweren Diebstahl im Sinne des § 243 oder durch Raub im Sinne der §§ 249 ff. des deutschen Reichsstrafgesetzbuches entstanden wäre fehle aber jegliche Angabe und jedes Beweisanbot der hiefür behauptungs- und beweispflichtigen Beklagten. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens liege weder in dieser noch in anderer Richtung vor. Gegen dieses Berufungsurteil wendet sich die Revision der Beklagten aus den Revisionsgrunden des § 503, Z. 2, 3 und 4 ZPO.

Der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß schon aus dem Verschwinden einer gewichtigen Kiste mit dem der Beklagten bekannten Inhalte an Silbersachen eine grobe Fahrlässigkeit zu erschließen wäre, weil sie kein geeignetes Wachorgan bestellt hätte, kann nicht beigepflichtet werden; denn es käme noch auf die konkreten Umstände an, die aber nicht feststellbar sind. Es ist aber auch weiterhin der Gedankengang des Berufungsgerichtes anzuschließen, daß es wegen der groben Fahrlässigkeit der Beklagten auf die Bestimmung des § 1, Abs. 2 der Lagerbedingungen über die Haftungsbeschränkung des Verwahrers nicht ankäme. Daher muß die Rechtsansicht des Erstgerichtes geprüft werden, ob diese Bestimmung sittenwidrig und daher nach § 879, Abs. 1 ABGB. nichtig ist.

Der Oberste Gerichtshof hält nun aus den Gründen des Erstgerichtes diese Bestimmung tatsächlich für sittenwidrig. Vorauszuschicken ist, daß selbst dann, wenn die Lagerbedingungen durch eine ehemalige reichsdeutsche Verwaltungsbehörde genehmigt worden wären, diese dadurch niemals der Prüfung ihrer Zulässigkeit durch ein österreichisches Gericht entzogen wären, ferner daß gerade ein Verwahrungsvertrag in ganz besonderem Maße auf Treu und Glauben aufgebaut ist, zumal bei Vertragsverletzungen seitens des Verwahrers der Hinterleger, wie das Erstgericht richtig erkannt hat, sich immer in einem Beweisnotstand befinden muß, und endlich, daß der Berufsstand der Beklagten, wie ebenfalls das Erstgericht zutreffend urteilt, eine Art Monopolstellung hat.

Die Meinung, daß § 1, Abs. 2 der Lagerbedingungen sittenwidrig sei, bekämpft die Revision aus dem Revisionsgrunde des § 503, Z. 4 ZPO., weil durch diese Bestimmung die Haftung des Verwahrers nur für den Fall einer leichten Fahrlässigkeit der Höhe nach eingeschränkt wäre. Das ist aber nicht richtig, denn auch bei einem groben Verschulden eines seiner nicht leitenden Erfüllungsgehilfen würde nach dieser Bestimmung seine Haftung beschränkt sein. Was die Revision weiterhin darüber ausführt, daß der Hinterleger auf jeden Fall zuerst die Beweislast über ein Verschulden des Verwahrers treffe, ist abwegig, denn die Revision übersieht, daß es sich hier nicht um ein Verschulden außerhalb, sondern innerhalb einer Vertragsverbindlichkeit handelt. Für diesen Fall trifft aber nach § 1298 ABGB. nicht den Hinterleger, sondern den Verwahrer die Beweislast.

Der Oberste Gerichtshof schließt sich auch nicht der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes über die irrige Auslegung der Bestimmung des § 2, Abs. 3 der Lagerbedingungen durch das Erstgericht an, sondern hält vielmehr die von diesem vorgenommene Auslegung aus dessen Gründen für richtig; denn der Zweck dieser Bestimmung kann doch nur der sein, den Verwahrer instand zu setzen, noch rechtzeitig seine Haftung ablehnen oder sonst Vorkehrungen für diese Sicherung des Lagergutes treffen zu können; dazu hatte aber die Beklagte nach den Feststellungen des Erstgerichtes noch genügend Zeit gehabt, obwohl ihr das Inhaltverzeichnis der Kiste samt Wertangaben nicht bei deren Übergabe, sondern erst viel später zugekommen ist. Daß in den Lagerbedingungen sogar der Einwand als unzulässig erklärt wird, der Lagerhalter hätte von dem Werte des Gutes auf andere Weise als durch Angabe dessen wirklichen Wertes unter gesondertem Hinweis auf dessen Beschaffenheit Kenntnis haben müssen, widerspricht auf das gröblichste den Regeln redlichen Geschäftsverkehres und ist daher ebenfalls als sittenwidrig zu bezeichnen.

Hingegen ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes zutreffend, daß hier der Ausschließungsgrund des § 3, Abs. 1, lit. g der Lagerbedingungen für die Haftung des Lagerhalters nicht gilt. In dieser Richtung erblickt die Revision den Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nach § 503, Z. 3 ZPO. darin, daß das Berufungsgericht trotz der Zeugenaussage des Angestellten der Beklagten, namens Leopold A., ausgesprochen hat, daß für diesen von der Beklagten geltend gemachten Haftungsbeschluß jede nähere Angabe und jeder nähere Beweis fehle. Darin liegt aber keine Aktenwidrigkeit, denn dieser Zeuge, dem das Erstgericht glaubt und dessen tatsächliche Angaben daher als Feststellungen des Erstgerichtes zu gelten haben, hat ausgesagt, daß in den Jahren 1942 bis 1944 unter den Arbeitern der Beklagten wohl eine Diebesbande entdeckt wurde, die verschiedene Diebstähle, darunter auch einen solchen von sechs wertvollen Teppichen zugegeben hat, daß aber der Diebstahl der fraglichen Kiste nicht zugegeben wurde. Diese Aussage ist aber jedenfalls für den Ausschluß der Haftung der Beklagten nach § 3, Abs. 1, lit. g der Lagerbedingungen nicht ausreichend.

Das Erstgericht ist mit Recht von der gesetzlichen Bestimmung des § 1298 ABGB. ausgegangen, wonach derjenige, der eine Vertragsverbindlichkeit verletzt, für seine Schuldlosigkeit daran beweispflichtig ist. Es hat daher zutreffenderweise den der Beklagten obliegenden Beweis, daß sie trotz Aufwendung der erforderlichen Sorgfalt das Verschwinden der Kiste nicht verhindern konnte, als mißlungen erachtet.

Da die tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichtes für deren rechtliche Beurteilung zur Entscheidung des Rechtsstreites völlig ausreichen, kann auch der von der Revision geltend gemachte Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens nach § 503, Z. 2 ZPO. nicht vorliegen.

Der Revision war daher im wesentlichen aus den Gründen des Erstgerichtes ein Erfolg zu versagen.

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