Spruch:
Art. 10 EMRK, Art. 6 Abs. 1 EMRK - Untersagung der massenhaften Veröffentlichung personenbezogener Steuerdaten.
Keine Verletzung von Art. 10 EMRK (15:2 Stimmen).
Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen der Gesamtdauer des Verfahrens (15:2 Stimmen).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK: € 9.500,– für Kosten und Auslagen (14:3 Stimmen). Der Antrag auf Entschädigung für materiellen Schaden wird abgewiesen (15:2 Stimmen).
Begründung:
Sachverhalt:
Die Beschwerde wurde von zwei finnischen Unternehmen erhoben, die denselben Personen gehören. Eine davon (Satakunnan Markkinapörssi Oy) gab seit 1994 eine Zeitschrift (Veropörssi) heraus, in der sie Informationen über das steuerpflichtige Einkommen und Vermögen natürlicher Personen veröffentlichte. Die Daten betrafen 1,2 Millionen Personen, deren Jahreseinkommen bestimmte Grenzen überschritt. Sie waren nach Gemeinden gegliedert und alphabetisch geordnet. Diese Informationen sind nach finnischem Recht öffentlich. Die ErstBf. erhielt die Daten zunächst von der Steuerbehörde. Aus Anlass eines 2000 gestellten Ansuchens auf Übermittlung der Daten deutete diese an, dass die Daten nicht herausgegeben werden könnten, wenn sie weiterhin in gewohnter Form in Veropörssi veröffentlicht würden. Daraufhin zog die ErstBf. ihren Antrag zurück und engagierte Leute dafür, die Daten manuell bei den Finanzämtern zu erheben.
Das zweite Unternehmen (Satamedia Oy) betrieb ab 2003 in Zusammenarbeit mit der ErstBf. einen SMS-Dienst: Wer eine SMS mit einem Namen an eine Service-Nummer sandte, bekam Informationen über die Steuerpflicht dieser Person, wenn sie in der Datenbank enthalten war. Diese wurde mit den in dem Magazin veröffentlichten Daten erstellt. Ab 2006 wurde auch Veropörssi von der ZweitBf. herausgegeben.
Nachdem die Bf. seiner Aufforderung, diese Form der Veröffentlichung der Steuerdaten zu unterlassen, nicht entsprochen hatten, beantragte der finnische Datenschutz-Ombudsmann bei der Datenschutzbehörde die Untersagung dieser Datenverwendung. Die Behörde lehnte den Antrag ab, was vom Verwaltungsgericht Helsinki bestätigt wurde. Daraufhin wandte sich der Datenschutz-Ombudsmann an den Obersten Verwaltungsgerichtshof. Aufgrund eines von diesem gestellten Vorabentscheidungsersuchens entschied der EuGH, dass es sich bei der betreffenden Datenverwendung um eine »Verarbeitung personenbezogener Daten« iSv. Art. 2 lit. b der RL 95/46 (Anm: Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. L 281, 31.) handle und die RL daher anwendbar sei. Zu den nach Art. 9 der RL vorzusehenden Ausnahmen zum Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit erkannte der EuGH, dass Tätigkeiten wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als journalistische Tätigkeiten eingestuft werden können, wenn sie zum Zweck haben, Informationen, Meinungen oder Ideen, mit welchem Übertragungsmittel auch immer, in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Es sei Sache des vorlegenden Gerichts zu beurteilen, ob dies der Fall sei (Anm: EuGH 16.12.2008, C-73/07 , Tietosuojavaltuutettu gg. Satakunnan Markkinapörssi Oy und Satamedia Oy.). Der Oberste Verwaltungsgerichtshof behob daraufhin am 23.9.2009 die Entscheidung und trug der Datenschutzbehörde auf, den Bf. diese Datenverarbeitung zu untersagen.
Die Datenschutzbehörde untersagte den Unternehmen daraufhin am 26.11.2009 die Veröffentlichung der Steuerdaten in der Zeitschrift und den Betrieb des SMS-Dienstes in der vorliegenden Form und im praktizierten Ausmaß. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel wurden vom Verwaltungsgericht Turku und 18.6.2012 vom Obersten Verwaltungsgerichtshof abgewiesen.
Der SMS-Dienst wurde nach Zustellung der Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichtshofs 2009 eingestellt, die Zeitschrift erschien zuletzt im Herbst 2009. Im März 2016 wurde die ErstBf. für insolvent erklärt.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Die Bf. behaupteten eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Meinungsäußerungsfreiheit) und von Art. 6 Abs. 1 EMRK (hier: Recht auf angemessene Verfahrensdauer).
Zu den vorläufigen Einreden der Regierung
Frist von sechs Monaten
(84) Die Regierung wendet [...] ein, die Beschwerden [...] wären hinsichtlich des ersten Verfahrensgangs nicht innerhalb von sechs Monaten erhoben worden [...]. Da der Gegenstand der beiden Verfahren nicht derselbe gewesen sei, würde der Fall tatsächlich zwei Verfahren betreffen [...].
(86) Das erste Verfahren [...] endete am 23.9.2009, als der Oberste Verwaltungsgerichtshof die Entscheidungen der unteren Instanzen behob und die Sache an die Datenschutzbehörde zurückverwies. Da der Fall zurückverwiesen wurde, gab es keine rechtskräftige Entscheidung [...]. Das innerstaatliche Verfahren wurde erst am 18.6.2012 rechtskräftig abgeschlossen, als der Oberste Verwaltungsgerichtshof seine zweite und endgültige Entscheidung in dem Fall zustellte.
(87) [...] Es gab nur eine rechtskräftige Entscheidung und folglich auch nur ein Verfahren im Hinblick auf die Beschwerdefrist [...].
(88) Unter diesen Umständen muss die erste Einrede der Regierung verworfen und festgestellt werden, dass die Beschwerden unter Art. 6 Abs. 1 und Art. 10 EMRK innerhalb der Frist eingebracht wurden (einstimmig).
Zum Fehlen der Opfereigenschaft
(89) In der Verhandlung vor der GK erhob die Regierung zum ersten Mal eine weitere Einrede, die auf der Tatsache beruht, dass die ErstBf. am 15.3.2016 für insolvent erklärt wurde, weshalb ihr die Opfereigenschaft iSv. Art. 34 EMRK fehlen würde.
(93) Der GH sieht keine Notwendigkeit zu klären, ob die Regierung wegen Verspätung daran gehindert ist, diese Einrede zu erheben, weil sie in jedem Fall eine Angelegenheit seiner Jurisdiktion betrifft, die er aus eigener Kraft prüfen kann.
(94) Der Verwalter der Konkursmasse widersprach einer Fortsetzung der Beschwerde durch das bf. Unternehmen nicht [...]. Angesichts der Tatsache, dass das bf. Unternehmen gemäß finnischem Recht nach wie vor als eigene Rechtsperson existiert, wenn auch unter Konkursverwaltung, kann es nach Ansicht des GH nach wie vor in Anspruch nehmen, Opfer der behaupteten Verletzungen von Art. 6 Abs. 1 und Art. 10 EMRK zu sein.
(95) Dementsprechend ist die zweite Einrede der Regierung ebenfalls zu verwerfen (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK
(96) Die bf. Unternehmen brachten vor, es wäre in einer Art und Weise in ihr [...] Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit eingegriffen worden, die nicht nach Art. 10 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt werden könne. Die Sammlung von Steuerdaten sei als solche nicht rechtswidrig und die gesammelten und veröffentlichten Informationen würden zum öffentlichen Bereich gehören. Die Privatsphäre des Einzelnen wäre nicht verletzt.
Vorbemerkungen zu Umfang und Kontext der Beurteilung des GH
(120) Eingangs bemerkt der GH, dass der vorliegende Fall insofern ungewöhnlich ist, als die fraglichen Steuerdaten in Finnland öffentlich zugänglich waren. Außerdem [...] waren die Bf. nicht die einzigen Medienunternehmen, die Steuerdaten [...] sammelten, verarbeiteten und veröffentlichten. Ihre Publikation unterschied sich von jenen der anderen Medienunternehmen durch die Art und den Umfang der veröffentlichten Daten.
(121) Zudem [...] gewährt nur eine sehr geringe Zahl an Mitgliedstaaten des Europarats öffentlichen Zugang zu Steuerdaten. Diese Tatsache wirft Fragen hinsichtlich des Ermessensspielraums auf, den Finnland dabei genießt, den öffentlichen Zugang zu derartigen Daten zu gewähren und zu regeln und mit den Anforderungen von Datenschutzbestimmungen und dem Recht auf Pressefreiheit in Einklang zu bringen.
(122) Angesichts dieses Kontexts und der Tatsache, dass der vorliegende Fall im Kern die Frage betrifft, ob ein korrekter Ausgleich zwischen diesem Recht und dem Recht auf Privatsphäre, wie er in den nationalen Gesetzen über den Datenschutz und den Zugang zu Information verkörpert wird, getroffen wurde, ist es zunächst geboten, einige der sich aus der Rechtsprechung des GH zu Art. 10 EMRK und der Pressefreiheit auf der einen Seite und dem Recht auf Privatsphäre unter Art. 8 EMRK im spezifischen Kontext des Datenschutzes auf der anderen Seite ergebenden Grundsätze darzulegen.
(123) Angesichts [...] der Tatsache, dass die Rechte unter Art. 10 und Art. 8 EMRK die gleiche Achtung verdienen, ist es wichtig daran zu erinnern, dass der von den innerstaatlichen Behörden zu treffende Ausgleich zwischen diesen beiden Rechten danach streben muss, den Wesensgehalt von beiden zu wahren.
Art. 10 EMRK und die Pressefreiheit
(125) Auch wenn die Presse gewisse Grenzen nicht überschreiten darf [...], ist es doch ihre Aufgabe, [...] Informationen und Ideen über alle Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu verbreiten. [...]
(126) Die wichtige Rolle der Medien bei der Erleichterung und Ermöglichung des Rechts der Öffentlichkeit, Informationen und Ideen zu empfangen und weiterzugeben, wurde vom GH wiederholt anerkannt. [...]
(127) Wie der GH durchgehend festgehalten hat, ist es nicht seine Sache [...], die Ansichten der Presse darüber, welche Form der Berichterstattung gewählt werden sollte, durch seine eigenen zu ersetzen.
(128) Schließlich ist bestens bekannt, dass die Sammlung von Informationen ein wesentlicher vorbereitender Schritt des Journalismus und ein inhärenter, geschützter Bestandteil der Pressefreiheit ist.
Art. 8 EMRK und das Recht auf Privatsphäre und Datenschutz
(133) Im speziellen Kontext des Datenschutzes hat sich der GH mehrmals auf die Datenschutzkonvention (Anm: Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten, BGBl. 1988/317.) bezogen, die ihrerseits die von den innerstaatlichen Gerichten im vorliegenden Fall angewendete Datenschutzrichtlinie untermauert. Diese Konvention definiert personenbezogene Daten in Art. 2 als »jede Information über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person«. In Amann/CH lieferte der GH bei der Diskussion der Anwendbarkeit von Art. 8 EMRK eine Auslegung des Begriffs »Privatleben« im Kontext der Speicherung personenbezogener Daten. [Demnach] fällt die Speicherung von Daten, die sich auf das Privatleben einer Person beziehen, in den Anwendungsbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK. [...]
(134) Die Tatsache, dass eine Information bereits jedermann zugänglich ist, beseitigt nicht unbedingt den Schutz von Art. 8 EMRK. [...]
(136) Aus der ständigen Rechtsprechung folgt, dass Fragen des Privatlebens auftreten, wenn Daten über eine bestimmte Person gesammelt, verarbeitet oder verwendet werden oder wenn das betroffene Material in einem über das gewöhnlich vorhersehbare Maß veröffentlicht wird.
(137) Der Schutz personenbezogener Daten ist von grundlegender Bedeutung für den Genuss des durch Art. 8 EMRK garantierten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Das innerstaatliche Recht muss angemessene Sicherungen bieten, um jede Verwendung personenbezogener Daten zu verhindern, die mit den Garantien dieses Artikels unvereinbar sein kann. Art. 8 EMRK enthält damit ein Recht auf eine Form von informationeller Selbstbestimmung, das es dem Einzelnen erlaubt, sich auf sein Recht auf Privatsphäre zu berufen, wenn es um Daten geht, die zwar neutral sind, aber kollektiv und in einer solchen Form gesammelt, verarbeitet und verbreitet werden, dass seine durch Art. 8 EMRK garantierten Rechte berührt sein könnten.
(138) Aus diesen Überlegungen und der vorhandenen Rechtsprechung des GH zu Art. 8 EMRK wird ersichtlich, dass die von den bf. Unternehmen gesammelten, verarbeiteten und in Veropörssi veröffentlichten Daten Details über das steuerpflichtige Einkommen aus Erwerbstätigkeit und Besitz sowie über steuerpflichtiges Vermögen eindeutig das Privatleben der erfassten Personen betrafen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass diese Daten unter bestimmten Voraussetzungen nach finnischem Recht öffentlich zugänglich waren.
Vorliegen eines Eingriffs
(140) [...] Die von den innerstaatlichen Gerichten bestätigte Entscheidung der Datenschutzbehörde stellte einen Eingriff in das durch Art. 10 EMRK garantierte Recht der Bf. auf Verbreitung von Informationen dar.
Rechtmäßigkeit
(147) Was das Bestehen einer klaren rechtlichen Grundlage für den umstrittenen Eingriff betrifft, sieht der GH keinen Grund, die Ansicht des Obersten Verwaltungsgerichtshofs im vorliegenden Fall in Frage zu stellen, wonach der umstrittene Eingriff auf § 2 Abs. 5, § 32 und § 44 Abs. 1 des Datenschutzgesetzes beruhte.
(148) [...] Angesichts des Fehlens einer innerstaatlichen Vorschrift, die ausdrücklich regelte, in welchem Umfang Daten veröffentlicht werden konnten, und der Tatsache, dass mehrere Medienunternehmen in Finnland ebenfalls in gewissem Ausmaß ähnliche Steuerdaten publizierten, stellt sich die Frage, ob von den bf. Unternehmen angenommen werden konnte, dass sie vorhersahen, dass ihre speziellen Aktivitäten gegen das bestehende Recht verstoßen würden. In diesem Zusammenhang ist das Bestehen der Ausnahme für journalistische Zwecke zu bedenken (Anm: Nach dieser in § 2 Abs. 5 Datenschutzgesetz vorgesehenen Ausnahme sind weite Teile des Gesetzes nicht auf die Verarbeitung von Daten anwendbar, die journalistischen Zwecken dient.).
(149) Nach Ansicht des GH waren die Formulierung des einschlägigen Datenschutzrechts sowie Charakter und Umfang der Journalismus-Ausnahme, auf die sich die Bf. zu stützen versuchten, ausreichend vorhersehbar und die Bestimmungen wurden nach der dem finnischen Gericht vom EuGH gegebenen Anleitung für die Interpretation auch in einer ausreichend vorhersehbaren Art und Weise angewendet. Das Datenschutzgesetz setzte die Datenschutzrichtlinie in finnisches Recht um. Nach diesem Gesetz bedeutete die Verarbeitung personenbezogener Daten die Sammlung, Aufzeichnung, Organisation, Verwendung, Übermittlung, Weitergabe, Speicherung, Veränderung, Kombination, den Schutz und die Löschung personenbezogener Daten sowie andere auf solche Daten bezogene Maßnahmen. Es scheint aus diesem Wortlaut und den Erläuterungen ausreichend klar hervorzugehen, dass die Möglichkeit bestand, die zuständigen innerstaatlichen Behörden würden eines Tages zu der Schlussfolgerung gelangen, wie sie es im vorliegenden Fall taten, eine für journalistische Zwecke eingerichtete Datenbank könne nicht als solche verbreitet werden. Quantität und Form der veröffentlichten Daten dürften nicht den Anwendungsbereich der Ausnahme überschreiten, und die Ausnahme müsse nach der klaren Vorgabe des EuGH ihrer Natur nach restriktiv interpretiert werden.
(150) Selbst wenn der Fall der bf. Unternehmen der erste dieser Art nach dem Datenschutzgesetz war, würde dies die Auslegung und Anwendung der Journalismus-Ausnahme durch die nationalen Gerichte nicht willkürlich oder unvorhersehbar machen. Dasselbe gilt für die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zur Auslegung der Ausnahme von Art. 9 der Datenschutzrichtlinie durch den Obersten Verwaltungsgerichtshof. [...]
(151) Zudem waren die bf. Unternehmen Medienprofis und als solche hätte ihnen die Möglichkeit bewusst sein müssen, dass die massenhafte Sammlung von Daten und ihre vollumfängliche Verbreitung – die 1,2 Millionen Personen und damit rund ein Drittel der finnischen Steuerzahler betraf, eine Zahl die 10 bis 20 Mal so hoch war wie jene, die damals von anderen Medienhäusern erfasst wurde – nach den einschlägigen Bestimmungen des finnischen und des Unionsrechts nicht als Verarbeitung zu ausschließlich journalistischen Zwecken angesehen werden würde.
(152) Im vorliegenden Fall wurden die bf. Unternehmen nach ihren 2000 und 2001 an die nationale Steuerbehörde gestellten Anträgen auf Datenübermittlung vom Datenschutz-Ombudsmann aufgefordert, nähere Informationen zu diesen Anträgen zu übermitteln. Es wurde ihnen mitgeteilt, dass die Daten nicht weitergegeben werden könnten, wenn Veropörssi weiterhin in seiner gewohnten Form erscheinen würde. Anstatt dem Ersuchen des Ombudsmanns um weitere Informationen zu entsprechen, umgingen die bf. Unternehmen den für Journalisten normalen Weg des Zugangs zu den begehrten Steuerdaten und organisierte deren manuelle Sammlung bei den lokalen Finanzämtern. Es ist nicht Sache des GH, über die Gründe für dieses Verhalten zu spekulieren, doch deutet es darauf hin, dass sie ihrerseits zu einem gewissem Grad Schwierigkeiten dabei vorhersahen, sich auf die für journalistische Zwecke geltende Ausnahme und die einschlägigen innerstaatlichen Vorschriften über den Zugang zu Steuerdaten zu berufen
(154) In Anbetracht dieser Überlegungen kommt der GH zum Schluss, dass der umstrittene Eingriff in das Recht der bf. Unternehmen auf Meinungsäußerungsfreiheit »gesetzlich vorgesehen« war.
Legitimes Ziel
(156) Die bf. Unternehmen brachten vor [...], die behauptete Notwendigkeit, im vorliegenden Fall die Privatsphäre zu schützen, wäre abstrakt und hypothetisch. Es habe praktisch keine Bedrohung der Privatsphäre gegeben und außerdem betreffe der Fall überhaupt nicht die Privatsphäre einzelner Personen.
(157) [...] Entgegen dem Vorbringen der bf. Unternehmen [...] handelte der Datenschutz-Ombudsmann aufgrund konkreter Beschwerden von Einzelpersonen, die behaupteten, die Veröffentlichung von Steuerdaten in Veropörssi verletze ihr Recht auf Privatleben.
(158) [...] Das Argument der bf. Unternehmen beruht auf einer Fehleinschätzung von Charakter und Umfang der Verpflichtungen der Datenschutzbehörden [...]. Die nationalen Datenschutzbehörden müssen insbesondere einen gerechten Ausgleich zwischen der Beachtung des Grundrechts auf Privatheit auf der einen Seite und den Interessen am freien Datenverkehr auf der anderen Seite sicherstellen. Der Schutz der Privatsphäre bildete damit den Kern der Datenschutzgesetzgebung, deren Einhaltung diese Behörden sichern sollten.
(159) Angesichts dieser Überlegungen und unter Berücksichtigung der Ziele der Datenschutzkonvention, die sich in der RL 95/46 und in der VO 2016/679 (Anm: Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. L 119, 1.) widerspiegeln, ist klar, dass der Eingriff [...] dem legitimen Ziel des Schutzes des »guten Rufes und der Rechte anderer« iSv. Art. 10 Abs. 2 EMRK diente.
Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft
Allgemeine Grundsätze
(160) Kernfrage des vorliegenden Falls ist [...], ob der Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit der Bf. in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war.
(165) Der GH hatte bereits Gelegenheit darzulegen, an welchen Grundsätzen sich seine Einschätzung der Notwendigkeit – und vor allem die der innerstaatlichen Gerichte – ausrichten muss. [...] Als relevante Kriterien wurden bislang bestimmt: Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse; Bekanntheitsgrad der betroffenen Person; Gegenstand der Berichterstattung; vorangegangenes Verhalten der betroffenen Person; Inhalt, Form und Folgen der Veröffentlichung [...].
(166) Nach Ansicht des GH können diese Kriterien auf den vorliegenden Fall übertragen werden, auch wenn bestimmte Kriterien unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls mehr oder weniger relevant sein mögen [...].
Anwendung im vorliegenden Fall
Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem
Interesse
(172) Der Öffentlichkeit Zugang zu amtlichen Dokumenten zu gewähren, dient ohne Zweifel dazu, die Verfügbarkeit von Informationen zu gewährleisten, um eine Debatte über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu ermöglichen. Ein solcher Zugang hat, auch wenn er klaren gesetzlichen Regeln und Einschränkungen unterliegt, eine verfassungsrechtliche Grundlage im finnischen Recht und wird seit vielen Jahrzehnten in großem Umfang garantiert.
(173) Der finnischen Politik, Steuerdaten öffentlich zugänglich zu machen, lag die Notwendigkeit zugrunde sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit die Aktivitäten von Regierungsbehörden kontrollieren kann. Was die Behauptung der bf. Unternehmen betrifft, der Zugang zu Steuerdaten würde auch die gegenseitige Überwachung der Bürger und die Anzeige von Steuerhinterziehung ermöglichen, kann der GH aufgrund der verfügbaren vorbereitenden Materialien und Erläuterungen nicht bestätigen, dass dies das Ziel des finnischen Systems des Zugangs zu Daten ist oder sich dieser Überwachungszweck mit der Zeit entwickelt hat.
(174) Öffentlicher Zugang zu Steuerdaten, der klaren Regeln und Verfahren unterliegt, und die generelle Transparenz des finnischen Steuersystems bedeutet allerdings nicht, dass die umstrittene Veröffentlichung als solche zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beitrug. Nach einer Betrachtung der Publikation als Ganzer und im Kontext und einer Analyse im Licht der Rechtsprechung ist der GH, wie der Oberste Verwaltungsgerichtshof, nicht davon überzeugt, dass die Veröffentlichung von Steuerdaten in der Art und dem Umfang wie von den bf. Unternehmen vorgenommen zu einer solchen Debatte beitrug oder dass ihr grundsätzlicher Zweck darin bestanden hätte.
(175) Die Ausnahme journalistischer Zwecke in § 2 Abs. 5 Datenschutzgesetz zielt darauf ab, Journalisten den Zugang zu Daten und deren Sammlung und Verarbeitung zu erlauben um sicherzustellen, dass sie ihren journalistischen Aktivitäten nachkommen können, die als in einer demokratischen Gesellschaft wesentlich anerkannt sind. Darauf wurde vom Obersten Verwaltungsgericht in der Entscheidung aus 2009 klar hingewiesen, in der er feststellte, dass die Einschränkung der Verarbeitung von Steuerdaten durch Journalisten in der Phase vor Veröffentlichung oder Weitergabe unzulässig gewesen wäre, weil dies praktisch auf eine Entscheidung darüber hinauslaufen würde, welches Material veröffentlicht werden könnte. Das Bestehen eines öffentlichen Interesses am Zugang zu und der Gestattung der Sammlung von großen Mengen an Steuerdaten bedeutete jedoch nicht unbedingt oder automatisch, dass auch ein öffentliches Interesse an der massenhaften Weitergabe solcher Rohdaten in unveränderter Form und ohne analytische Ergänzung bestehen würde. Es sei bei der Vorbereitung der innerstaatlichen Gesetzgebung klar gemacht worden, dass für journalistische Zwecke errichtete Datenbanken nicht dazu gedacht wären, für nicht journalistisch tätige Personen zugänglich gemacht zu werden. Damit sei unterstrichen worden, dass sich das fragliche Journalismusprivileg auf die Verarbeitung von Daten für interne Zwecke bezog. Diese Unterscheidung zwischen der Datenverarbeitung für journalistische Zwecke und der Weitergabe der Rohdaten, zu denen den Journalisten privilegierter Zugang gewährt worden war, wurde vom Obersten Verwaltungsgerichtshof in seiner ersten Entscheidung von 2009 klar getroffen.
(176) Zudem hing die Berufung auf die Ausnahme davon ab, dass die Datenverarbeitung »ausschließlich« zu journalistischen Zwecken erfolgte. Wie der Oberste Verwaltungsgerichtshof feststellte, lief die beinahe wortwörtliche Veröffentlichung der Steuerdaten in Katalogform in Veropörssi [...] auf die Weitergabe der gesamten für journalistische Zwecke aufbewahrten Hintergrunddatei hinaus. Unter solchen Umständen wäre ausgeschlossen, dass es sich um einen Versuch handelte, nur Informationen, Meinungen oder Ideen zu verbreiten. Während die bf. Unternehmen vorbrachten, die Offenlegung von Steuerdaten würde es der Öffentlichkeit erlauben, die Ergebnisse der Steuerpolitik zu beurteilen – beispielsweise die Entwicklung der Unterschiede von Einkommen und Vermögen zwischen Regionen, Berufen und aufgrund des Geschlechts – erklärten sie nicht, wie ihre Leser eine derartige Analyse anhand der in Veropörssi massenhaft veröffentlichten Rohdaten vornehmen könnten.
(177) Soweit es die Informationen neugierigen Mitgliedern der Öffentlichkeit erlaubt haben, namentlich bekannte Individuen, die keine Personen des öffentlichen Lebens sind, nach ihrem wirtschaftlichen Status einzuordnen, kann dies als Ausdruck des Hungers der Öffentlichkeit nach Informationen über das Privatleben anderer und damit als Form der Sensationsgier und sogar des Voyeurismus angesehen werden.
(178) Angesichts dieser Überlegungen muss der GH dem Obersten Verwaltungsgerichtshof darin zustimmen, dass das einzige Ziel der umstrittenen Veröffentlichung nicht wie vom innerstaatlichen Recht und vom Unionsrecht gefordert darin bestand, Informationen, Meinungen und Ideen weiterzugeben. Diese Schlussfolgerung beruht auf Layout, Form und Inhalt der Veröffentlichung sowie auf dem Ausmaß der preisgegebenen Daten. Zudem findet der GH nicht, dass die umstrittene Publikation zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beitrug oder mit jener Art von Meinungsäußerung in Verbindung gebracht werden kann – nämlich politischen Äußerungen –, die traditionellerweise eine privilegierte Rolle in seiner Rechtsprechung spielt und [...] nur wenig Spielraum für Einschränkungen lässt.
Gegenstand der Veröffentlichung und Bekanntheitsgrad der betroffenen Personen
(180) [...] 1,2 Millionen natürliche Personen waren Gegenstand der Veröffentlichung in Veropörssi. Sie waren alle Steuerzahler, aber nur [...] sehr wenige waren Personen mit einem hohen Nettoeinkommen, Personen des öffentlichen Lebens oder allgemein bekannte Persönlichkeiten im Sinne der Rechtsprechung des GH. Die Mehrheit der Individuen, deren Daten in der Zeitung aufgelistet wurden, gehörten zu Gruppen mit geringen Einkommen. Es wurde geschätzt, dass die Daten ein Drittel der finnischen Bevölkerung und die Mehrheit aller Vollzeitarbeitnehmer umfassten. Im Gegensatz zu anderen finnischen Publikationen bezogen sich die von den bf. Unternehmen veröffentlichten Informationen nicht spezifisch auf eine bestimmte Personengruppe wie Politiker, Beamte, Personen des öffentlichen Lebens oder andere, die aufgrund ihrer Aktivitäten, ihres hohen Einkommens oder ihrer Stellung zur öffentlichen Sphäre gehörten. [...]
(181) Die bf. Unternehmen stützen sich auf die relative Anonymität der natürlichen Personen, deren Namen und Daten in der Zeitung aufgelistet und über den SMS-Dienst zugänglich waren, sowie auf die schiere Menge an veröffentlichten Daten, um jeden Eingriff in deren Recht auf Privatsphäre herunterzuspielen. Damit behaupten sie, dass sie umso weniger in die Privatsphäre eingreifen würden, je mehr sie veröffentlichten [...]. Selbst unter der Annahme, ein solcher Faktor könnte den Grad des aus der umstrittenen Veröffentlichung resultierenden Eingriffs herabsetzen, wird damit verabsäumt, den personenbezogenen Charakter der Daten und die Tatsache zu berücksichtigen, dass diese den zuständigen Finanzbehörden zu einem bestimmten Zweck zur Verfügung gestellt und von den bf. Unternehmen zu einem anderen Zweck abgerufen wurden. Er ignoriert auch die Tatsache, dass die Art und der Umfang der Publikation darauf hinausliefen, dass sie sich auf die gesamte erwachsene Bevölkerung bezog. Aufgrund der Einkommensschwellen wurde entweder durch die Aufnahme in die Liste enthüllt, dass jemand Empfänger eines gewissen Einkommens ist, oder durch das Fehlen in der Liste, dass jemand kein solches Einkommen erhält. Es ist die massenhafte Sammlung, Verarbeitung und Verbreitung von Daten, auf die Datenschutzgesetze wie das von den innerstaatlichen Gerichten angewendete abzielen.
Art der Erlangung und Wahrheitsgehalt der Informationen
(182) Die Fehlerfreiheit der veröffentlichten Informationen wurde im vorliegenden Fall nie bestritten. Sie wurden bei den örtlichen Finanzämtern gesammelt und waren korrekt.
(184) [...] Die bf. Unternehmen zogen ihren Antrag auf Herausgabe von Daten durch die nationale Steuerbehörde zurück und engagierten stattdessen Leute, um Daten manuell bei den örtlichen Finanzämtern zu sammeln. Damit umgingen sie sowohl die rechtlichen Einschränkungen (die Verpflichtung nachzuweisen, dass die Daten für einen journalistischen Zweck gesammelt und nicht als Liste veröffentlicht würden) und die praktischen Einschränkungen (durch die Einstellung von Leuten zur manuellen Sammlung der Information, um im Hinblick auf die spätere Veröffentlichung uneingeschränkten Zugang zu den personenbezogenen Steuerdaten zu erlangen), die von den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen auferlegt wurden. Die Daten wurden dann in Rohform als Kataloge oder Listen veröffentlicht.
(185) Auch wenn der GH dem Kammerurteil dahingehend zustimmen muss, dass die Daten nicht mit rechtswidrigen Mitteln erlangt wurden, so ist doch klar, dass die Bf. eine Strategie hatten, die Journalisten für den Zugang zu Steuerdaten offenstehenden normalen Kanäle und folglich die von den innerstaatlichen Behörden eingerichteten Kontrollen und Ausgleichsmaßnahmen für die Regelung des Zugangs und der Weitergabe zu umgehen.
Inhalt, Form und Folgen der Veröffentlichung
(188) Es ist erwähnenswert, dass der EuGH klargemacht hat [...], dass die öffentliche Natur verarbeiteter Daten solche Daten nicht vom Anwendungsbereich der Datenschutzrichtlinie und den von ihr vorgesehenen Garantien zum Schutz der Privatsphäre ausschließt.
(189) Zwar waren die fraglichen Steuerdaten in Finnland öffentlich zugänglich, doch konnten sie nur bei den lokalen Finanzämtern und nur unter klaren Voraussetzungen eingesehen werden. Das Kopieren dieser Informationen auf Speichermedien war verboten. Journalisten konnten Steuerdaten in digitaler Form erhalten, doch bestanden hier ebenfalls Voraussetzungen und es konnte auch nur eine gewisse Menge an Daten abgefragt werden. Journalisten mussten angeben, dass die Informationen für journalistische Zwecke angefordert wurden und dass sie nicht in Listenform veröffentlicht würden. Selbst wenn die personenbezogenen Informationen öffentlich zugänglich waren, wurde dieser Zugang durch spezifische Regeln und Sicherungen reguliert.
(190) Die Tatsache, dass die fraglichen Daten nach innerstaatlichem Recht öffentlich zugänglich waren, bedeutete nicht unbedingt, dass sie in uneingeschränktem Umfang veröffentlicht werden konnten. Die Veröffentlichung der Daten in einer Zeitung und die weitere Verbreitung der Daten durch einen SMS-Dienst machte sie in einer Art und einem Umfang zugänglich, der vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt war.
(191) Das Sammeln von Informationen ist [...] ein wesentlicher vorbereitender Schritt des Journalismus und ein inhärenter, geschützter Bestandteil der Pressefreiheit. Es ist erwähnenswert, dass der Oberste Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall nicht versucht hat, in die Sammlung der Rohdaten durch die bf. Unternehmen einzugreifen [...], sondern nur in die Weitergabe der Daten [...].
(192) An dieser Stelle ist es notwendig, daran zu erinnern, dass Finnland einer der wenigen Mitgliedstaaten des Europarats ist, der öffentlichen Zugang zu Steuerdaten in diesem Ausmaß gewährt. Bei der Einschätzung des Ermessensspielraums in einem Fall wie diesem sowie der Verhältnismäßigkeit des umstrittenen Eingriffs und der finnischen Regelungen, auf denen er beruhte, muss der GH auch die dahinter stehenden Entscheidungen des Gesetzgebers und in diesem Kontext die Qualität der parlamentarischen und gerichtlichen Bewertung der Notwendigkeit dieser Gesetze und der auf dieser Grundlage ergangenen Maßnahmen, die in die Meinungsäußerungsfreiheit eingreifen, beurteilen.
(193) Wie beide Parteien gezeigt haben, war die parlamentarische Bewertung der finnischen Gesetzgebung betreffend den Zugang zu Information und insbesondere zu Steuerdaten sowie jene betreffend den Datenschutz sowohl anspruchsvoll als auch sachbezogen. Diese Hinterfragung und Debatte auf innerstaatlicher Ebene wurde zudem im Datenschutzkontext auf EU-Ebene widergespiegelt, als es um die Annahme der Datenschutzrichtlinie und später der VO 2016/679 ging.
(194) Wie der GH feststellt, hat sich der finnische Gesetzgeber [...] dafür entschieden, an der öffentlichen Zugänglichkeit der fraglichen Steuerdaten festzuhalten. Obwohl eine Abwägung zwischen den berührten privaten und öffentlichen Interessen vorgenommen wurde, als diese Angelegenheit vom finnischen Parlament entschieden wurde, folgt daraus nicht, dass die Behandlung solcher Steuerdaten nicht länger Gegenstand irgendwelcher Datenschutzüberlegungen wäre, wie dies die bf. Unternehmen behaupten. § 2 Abs. 5 Datenschutzgesetz wurde verabschiedet, um die Rechte auf Privatsphäre und auf Meinungsäußerungsfreiheit in Einklang zu bringen und um der Rolle der Presse zu entsprechen, doch war der Rückgriff auf diese journalistische Ausnahme [...] von der Erfüllung gewisser Voraussetzungen abhängig. [...]
(195) Der GH betont, dass die Sicherungen im innerstaatlichen Recht genau wegen der öffentlichen Zugänglichkeit der persönlichen Steuerdaten, der Art und dem Zweck der Datenschutzgesetzgebung und der zugehörigen journalistischen Ausnahme eingebaut wurden. Unter diesen Umständen [...] genossen die Behörden des belangten Staates bei der Entscheidung, wo im vorliegenden Fall ein fairer Ausgleich zwischen den jeweiligen Rechten unter Art. 8 und Art. 10 EMRK zu treffen war, einen weiten Ermessensspielraum. Außerdem kann der GH [...] bei der Beurteilung des insgesamt getroffenen Ausgleichs die Tatsache berücksichtigen, dass der Staat im Rahmen der verfassungsrechtlichen Wahl und im Interesse der Transparenz etwas ungewöhnlich beschlossen hat, Steuerdaten öffentlich zugänglich zu machen.
(196) Im vorliegenden Fall bemühten sich die innerstaatlichen Gerichte bei der Abwägung dieser Rechte darum, einen Ausgleich zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit und dem von der Datenschutzgesetzgebung verkörperten Recht auf Privatsphäre zu treffen. Bei der Anwendung der in § 2 Abs. 5 Datenschutzgesetz vorgesehenen Ausnahme und des Tests der öffentlichen Interessen auf den vorliegenden Eingriff analysierten sie [...] die einschlägige Rechtsprechung zur EMRK und des EuGH und wandten die Judikatur des GH sorgfältig auf den Sachverhalt des vorliegenden Falls an.
Schwere der über Journalisten oder Herausgeber verhängten Sanktion
(197) [...] Den bf. Unternehmen wurde nicht untersagt, weiterhin Steuerdaten zu veröffentlichen oder Veropörssi herauszugeben, obwohl sie dies in einer den finnischen und den EU-Regeln über Datenschutz und Informationszugang entsprechenden Weise tun mussten. Die Tatsache, dass die Einschränkungen der Quantität der zu veröffentlichenden Informationen einige ihrer Geschäftsaktivitäten in der Praxis weniger profitabel gemacht haben, ist als solche keine Sanktion im Sinne der Rechtsprechung des GH.
Schlussfolgerung
(198) Die zuständigen innerstaatlichen Instanzen und insbesondere der Oberste Verwaltungsgerichtshof haben bei der Beurteilung der an sie herangetragenen Umstände die in der Rechtsprechung des GH dargelegten Grundsätze und Kriterien für die Abwägung des Rechts auf Achtung des Privatlebens und des Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit angemessen berücksichtigt. Dabei maß der Oberste Verwaltungsgerichtshof seiner Feststellung besonderes Gewicht bei, dass die Veröffentlichung [...] nicht zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beitrug und dass die Bf. nicht geltend machen konnten, dass sie [...] nur zu einem journalistischen Zweck erfolgt wäre. Der GH erkennt keine triftigen Gründe, die verlangen würden, seine eigene Ansicht an die Stelle jener der innerstaatlichen Gerichte zu setzen und die von diesen vorgenommene Abwägung aufzuheben. Er ist davon überzeugt, dass die angeführten Gründe sowohl relevant als auch ausreichend waren um nachzuweisen, dass der angefochtene Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war und dass die Behörden des belangten Staates beim Treffen eines fairen Ausgleichs zwischen den widerstreitenden Interessen innerhalb ihres Ermessensspielraums gehandelt haben.
(199) Der GH kommt daher zu dem Schluss, dass keine Verletzung von Art. 10 EMRK stattgefunden hat (15:2 Stimmen; abweichendes Sondervotum von Richter Sajó und Richterin Karakas).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK
(202) Die bf. Unternehmen brachten vor [...], die Dauer des Verfahrens hätte ihre durch Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Rechte verletzt.
(208) [...] Die zu berücksichtigende Zeitspanne begann am 12.2.2004 mit der Berufung gegen die erste Entscheidung des Datenschutz-Ombudsmanns und sie endete am 18.6.2012 mit der endgültigen Entscheidung des Falls durch den Obersten Verwaltungsgerichtshof. Der Fall war ein Jahr und zehn Monate lang vor dem EuGH wegen einer Vorabentscheidung anhängig. Diese Zeit ist nach der Rechtsprechung des GH von der den innerstaatlichen Gerichten zuzurechnenden Zeit ausgenommen. Nach Abzug dieser Zeitspanne von der Gesamtlänge dauerte das umstrittene Verfahren über sechs Jahre und sechs Monate [...].
(210) [...] Das Verfahren war nicht durch irgendeine längere Phase der Inaktivität seitens der innerstaatlichen Behörden oder Gerichte gekennzeichnet. Das Verfahren war [...] in jeder Phase etwa eineinhalb Jahre lang anhängig, was als solches nicht unverhältnismäßig ist.
(211) Die Gesamtdauer des Verfahrens ist dennoch unverhältnismäßig, was offenbar durch die Tatsache verursacht wurde, dass der Fall auf jeder Ebene der Gerichtsbarkeit zweimal geprüft wurde. [...]
(212) Der GH ist der Ansicht, dass das Verfahren rechtlich komplex war, was sich an der Dürftigkeit von Rechtsprechung auf finnischer Ebene, der Notwendigkeit der Vorlage von Fragen der Auslegung von EU-Recht an den EuGH und der Tatsache zeigt, dass der Fall an die GK [...] verwiesen wurde. Es kann jedoch nicht gesagt werden, dass die rechtliche Komplexität des Falls für sich die Gesamtdauer des Verfahrens rechtfertigen konnte. Zudem wurde die Komplexität zum Teil dadurch verursacht, dass der Fall für eine neue Prüfung an die Datenschutzbehörde zurückverwiesen wurde.
(213) Im Hinblick darauf, was für die bf. Unternehmen auf dem Spiel stand, ist unbestritten, dass die angefochtenen innerstaatlichen Entscheidungen Folgen sowohl für den Umfang als auch für die Form hatten, in der die bf. Unternehmen die Steuerdaten veröffentlichen und damit ihre Publikationsaktivitäten ungeändert fortsetzen konnten.
(214) Nach Prüfung des gesamten ihm vorliegenden Materials ist der GH der Ansicht, dass die Gesamtdauer des Verfahrens selbst unter Berücksichtigung der rechtlichen Komplexität des Falls exzessiv war und der Anforderung der verhältnismäßigen Dauer nicht entsprach.
(215) Es hat daher wegen der Dauer des Verfahrens eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK stattgefunden (15:2 Stimmen; abweichendes Sondervotum von Richterin Nußberger und Richter López Guerra).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK
€ 9.500,– für Kosten und Auslagen (14:3 Stimmen). Der Antrag auf Entschädigung für materiellen Schaden wird abgewiesen (15:2 Stimmen).
Vom GH zitierte Judikatur:
Amann/CH v. 16.2.2000 (GK) = NL 2000, 50 = ÖJZ 2001, 71
Von Hannover/D (Nr. 2) v. 7.2.2012 (GK) = NLMR 2012, 45 = EuGRZ 2012, 278
Delfi AS/EST v. 16.6.2015 (GK) = NLMR 2015, 232
Perinçek/CH v. 15.10.2015 (GK) = NLMR 2015, 435
Couderc und Hachette Filipacchi Associés/F v. 10.11.2015 (GK) = NLMR 2015, 537
Bédat/CH v. 29.3.2016 (GK) = NLMR 2016, 152
Magyar Helsinki Bizottság/H v. 8.11.2016 (GK) = NLMR 2016, 536
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 27.6.2017, Bsw. 931/13, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2017, 264) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/17_3/Satakunnan.pdf
Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.
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