VwGH Ra 2023/01/0074

VwGHRa 2023/01/007424.7.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des C D S in K, vertreten durch Dr. Thomas Trentinaglia, Rechtsanwalt in 6370 Kitzbühel, Kirchgasse 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 27. Mai 2022, Zl. LVwG‑M‑61/001‑2021, betreffend Betretungs- und Annäherungsverbot nach § 38a SPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Baden), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
SPG 1991 §38a
SPG 1991 §38a Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §34 Abs1a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023010074.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ der Maßnahmenbeschwerde des Revisionswerbers wegen behaupteter Rechtswidrigkeit der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots nach § 38a Sicherheitspolizeigesetz (SPG) keine Folge und wies die Beschwerde als unbegründet ab, erklärte das im Zuge der Amtshandlung vom 19. September 2021 gegen den Revisionswerber ausgesprochene (näher konkretisierte) Betretungs- und Annäherungsverbot für rechtskonform, verpflichtete den Revisionswerber zum Aufwandersatz und sprach aus, dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.

2 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 29. November 2022, E 1880/2022‑6, die Behandlung der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde ab und trat die Beschwerde mit weiterem Beschluss vom 26. Jänner 2023, E 1880/2022‑8, gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

3 Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Dem Gebot der gesonderten Darstellung der Gründe nach § 28 Abs. 3 VwGG wird insbesondere dann nicht entsprochen, wenn die zur Zulässigkeit der Revision erstatteten Ausführungen der Sache nach Revisionsgründe (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) darstellen oder ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ das Vorbringen zur Begründung der Zulässigkeit der Revision mit Ausführungen, die inhaltlich (bloß) Revisionsgründe darstellen, in einer Weise vermengt ist, dass keine gesonderte Darstellung der Zulässigkeitsgründe im Sinne der Anordnung des § 28 Abs. 3 VwGG vorliegt (vgl. etwa VwGH 30.3.2022, Ra 2021/01/0103, mwN).

8 Abgesehen davon, dass sich die Revision bereits aus diesem Grund als unzulässig erweist, sei abschließend ‑ soweit das Zulässigkeitsvorbringen in detaillierten Ausführungen zunächst die konkreten Umstände des vorliegenden Falles thematisiert ‑ dazu noch Folgendes bemerkt:

9 Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgt, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten (vgl. ‑ zu § 38a SPG ‑ etwa VwGH 14.2.2023, Ra 2022/01/0334, mwN).

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Betretungsverbot (mit dem seit der SPG‑Novelle BGBl. I Nr. 105/2019 auch ein Annäherungsverbot verbunden ist) an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Gefährder bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen.

11 Das Verwaltungsgericht hat somit die Rechtmäßigkeit eines gemäß § 38a SPG angeordneten Betretungs- und Annäherungsverbots im Sinne einer objektiven ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der eingeschrittenen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zeitpunkt ihres Einschreitens zu prüfen. Dabei hat es zu beurteilen, ob die eingeschrittenen Organe entsprechend der dargelegten Grundsätze vertretbar annehmen konnten, dass ein vom Gefährder ausgehender gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 4.12.2020, Ra 2019/01/0163, sowie abermals VwGH Ra 2022/01/0334, jeweils mwN).

12 Das Verwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wiedergeben und die genannten Leitlinien beachtet, indem es Feststellungen zu dem den einschreitenden Polizeibeamten sich bietenden Gesamtbild getroffen hat: Demnach habe die nervlich angespannte, psychisch aufgelöste, verängstigte Mutter des Revisionswerbers ‑ in Übereinstimmung mit der diesbezüglichen Zeugenaussage ihres anwesenden Ehegatten, dem Vater des Revisionswerbers ‑ angegeben, von ihrem Sohn, dem Revisionswerber, infolge eines vorangegangenen Streits („wegen einer Lappalie“) niedergestoßen worden zu sein; dies sei nicht der erstmalige Vorfall gewesen, bereits vor wenigen Jahren habe es eine ähnliche Amtshandlung, verbunden mit einem polizeilichen Betretungsverbot gegen den Revisionswerber, der sich trotz seines Alters von 41 Jahren weigere, aus dem elterlichen Haus auszuziehen, gegeben. Davon ausgehend ‑ insbesondere auch im Hinblick auf das „Wissen [der einschreitenden Polizeibeamten], dass eine rechtlich offensichtlich gleichgelagerte ... Aggressionshandlung des Sohnes gegenüber seinen Eltern schon einmal vorgelegen ist“ ‑ hat das Verwaltungsgericht die Vertretbarkeit der Annahme [der einschreitenden Polizeibeamten], wonach der Revisionswerber einen (weiteren) gefährlichen Angriff begehen werde, in nicht zu beanstandender Weise bejaht.

13 Soweit sich die Revision in diesem Zusammenhang weiters im Wesentlichen gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts richtet, zeigt sie eine Unvertretbarkeit derselben nicht auf (vgl. ‑ zu § 38a SPG ‑ etwa VwGH 3.2.2022, Ra 2021/01/0414, Rn. 11, mwN).

14 In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 24. Juli 2023

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