Normen
UStG 1994 §12 Abs1
62017CJ0459 SGI VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2020130050.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Zur Vorgeschichte des Revisionsfalls wird zunächst auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. April 2018, 2018/13/0001 (im Folgenden: Vorerkenntnis), verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hob damit die im ersten Rechtsgang ergangene Entscheidung des unabhängigen Finanzsenates (UFS) vom 23. Oktober 2012, RV/1854‑W/11 und RV/1853‑W/11, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Der UFS habe die Unzulässigkeit des vom Revisionswerber geltend gemachten Vorsteuerabzugs im Wesentlichen mit dem Vorliegen formeller Rechnungsmängel begründet, insbesondere damit, dass die Rechnungen nicht die richtige Anschrift iSd § 11 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 enthielten, weil die beauftragten Gesellschaften an den in ihren Rechnungen ausgewiesenen Anschriften nicht auffindbar gewesen seien bzw. dort keine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet hätten. Feststellungen zur ‑ vor dem Hintergrund des zwischenzeitig ergangenen Urteils des EuGH vom 15. November 2017 in den Rechtssachen C‑374/16 (Geissel) und C‑375/16 (Butin) relevanten ‑ Frage, ob die für die Gewährung des Vorsteuerabzugs erforderlichen materiellen Voraussetzungen im Streitfall erfüllt gewesen seien oder nicht (ob es sich etwa tatsächlich um bloße Schein- oder Deckungsrechnungen gehandelt habe), habe der UFS nicht getroffen.
2 Mit dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde des Revisionswerbers ‑ nach Durchführung eines umfangreichen Vorhalteverfahrens, der beantragten Befragung von Zeugen sowie einer mündlichen Verhandlung ‑ erneut ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
3 Das Bundesfinanzgericht traf - teilweise unter Bezugnahme auf die Ergebnisse mehrerer Außenprüfungen bei anderen Steuerpflichtigen - zu jeder im verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom Revisionswerber beauftragten GmbHs umfangreiche Feststellungen und führte im Einzelnen aus, aus welchen Umständen sich ergebe, dass die in den Rechnungen ausgewiesenen Leistungen nicht durch diese GmbHs erbracht worden seien.
4 Diesen - auf die wesentlichen Punkte zusammengefassten - Ausführungen zufolge habe keine der beauftragten GmbHs im verfahrensgegenständlichen Zeitraum Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben oder Vorauszahlungen geleistet und bei sämtlichen GmbHs sei eine Schätzung gemäß § 184 BAO vorgenommen worden.
5 Es handle sich durchwegs um Einmann‑GmbHs mit einem einzigen (handels- bzw. unternehmensrechtlichen) Geschäftsführer, die kurz vor der erstmaligen Beauftragung durch den Revisionswerber gegründet worden oder deren Anteile davor auf einen neuen (Allein‑)Gesellschafter übertragen worden waren. Die bereits längere Zeit zuvor gegründeten GmbHs hätten keinen Bezug zur Baubranche gehabt, sondern seien etwa in der Handelsbranche (etwa Handel mit Kosmetikprodukten) oder der Beratungsbranche (etwa Knowledge Management, Outsourcing usw.) tätig gewesen. Die Alleingesellschafter seien stets ausländische natürliche Personen gewesen, die kurz vor der Gründung bzw. Abtretung der Geschäftsanteile einen inländischen Wohnsitz begründet hätten. Teilweise habe sich die Identität der Alleingesellschafter aufgrund der Verwendung gefälschter Ausweisdokumente (Reisepässe) nicht feststellen lassen, teilweise sei hervorgekommen, dass ein und dieselbe Person mit unterschiedlichen (gefälschten) Ausweisdokumenten bei verschiedenen GmbHs die Firmenbucheintragung als Alleingesellschafter und ‑geschäftsführer erwirkt habe.
6 Die GmbHs seien vor ihrer Beauftragung substanzlos sowie inaktiv gewesen und hätten anschließend innerhalb eines kurzen Zeitraums (wenige Monate) Leistungen in Rechnung gestellt, anschließend sei stets das Konkursverfahren eröffnet worden.
7 Im zeitlichen Zusammenhang mit der erstmaligen Beauftragung durch den Revisionswerber sei es bei den GmbHs ‑ mit einer Ausnahme ‑ zu einem sprunghaften Anstieg der angemeldeten Dienstnehmer gekommen, in manchen Monaten seien bis zu rund 300 Dienstnehmer angemeldet gewesen.
8 Die Umstände der Geschäftsanbahnung mit diesen GmbHs seien unbekannt, eine Dokumentation über die angebliche Geschäftsbeziehung (etwa Anbotschreiben, Geschäftskorrespondenz, Bautagebücher, Aufzeichnungen über Baubesprechungen usw.) sei nicht vorgelegt worden bzw. nicht vorhanden.
9 Die Bezahlung der von den GmbHs in Rechnung gestellten Arbeiten durch den Revisionswerber sei ausschließlich bar erfolgt, was angesichts der Rechnungsbeträge (von teilweise mehreren zehntausend Euro) nicht den üblichen Geschäftsgepflogenheiten entsprochen habe. Zudem habe der Revisionswerber andere beauftragte, im Rahmen der Außenprüfung als „seriös“ eingestufte, Unternehmen in der Regel mittels Banküberweisung bezahlt. Bei seiner Einvernahme habe der Revisionswerber in keinem einzigen Fall angeben können, wer der Empfänger der Geldbeträge tatsächlich gewesen sei. Die Unterschriften auf den Kassaeingangsbelegen hielten einer Überprüfung nicht stand, weil sie mit den Unterschriften auf den sonstigen Geschäftsunterlagen der jeweiligen GmbHs (etwa den Musterfirmazeichnungserklärungen, den Reisepasskopien, den Sozialversicherungsanmeldungen usw.) keinerlei Ähnlichkeit aufgewiesen hätten.
10 Auf Grundlage der dargelegten Umstände stellte das Bundesfinanzgericht fest, dass die von den GmbHs in Rechnung gestellten Leistungen von diesen nicht erbracht worden seien, die Rechnungen seien lediglich fingiert gewesen.
11 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 25. Februar 2020, E 1935/2019‑5, abgelehnt und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
12 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
15 Zur Zulässigkeit der Revision wird im Wesentlichen vorgebracht, das Bundesfinanzgericht habe mit der angefochtenen Entscheidung die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes im Vorerkenntnis nicht umgesetzt, weil es den Vorsteuerabzug trotz Vorliegens der materiellen Voraussetzungen versagt habe. In Betrugsfällen sei nach der EuGH‑Rechtsprechung darauf abzustellen, ob der Unternehmer vom Betrug wusste oder davon hätte wissen müssen. Das Bundesfinanzgericht sei unter Heranziehung von Umständen, die zum einen für den Revisionswerber nicht ermittelbar seien (etwa ob der Vertragspartner tatsächlich Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt habe), zum anderen sich erst in Zukunft gezeigt hätten (etwa der Konkurs nach Beendigung der Vertragsbeziehung), zum Ergebnis gelangt, dass die beauftragten GmbHs „Abgabenbetrug“ begangen hätten und damit die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug durch den Revisionswerber nicht erfüllt seien.
16 Der Revisionsweber habe allerdings bei Begründung der Geschäftsbeziehungen umfangreiche Informationen über die GmbHs eingeholt und damit alle ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen. Die Begleichung einer Rechnung durch Banküberweisung sei auch keine Anwendungsvoraussetzung für die Geltendmachung von Vorsteuerbeträgen. Das Bundesfinanzgericht habe die Frage nicht berücksichtigt, ob der Revisionswerber überhaupt Kenntnis vom Fehlen der materiellen Voraussetzungen wegen „Steuerbetrugs“ hatte oder hätte haben müssen.
17 Entgegen dem Vorbringen in der Revision hat das Bundesfinanzgericht den Vorsteuerabzug nicht deshalb versagt, weil der Revisionswerber wusste oder hätte wissen müssen, dass der betreffende Umsatz oder ein anderer Umsatz in der Lieferkette, der dem vom Vertragspartner des Revisionswerbers getätigten Umsatz vorausgegangen oder nachgefolgt ist, mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet war (nach § 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 idF AbgSiG 2007 bzw. nunmehr § 12 Abs. 14 UStG 1994 idF StRefG 2015/2016; vgl. zum klarstellenden Charakter dieser Bestimmung VwGH 25.4.2018, Ra 2015/13/0025, mwN).
18 Das Bundesfinanzgericht hat vielmehr festgestellt, dass die in den Rechnungen der beauftragten GmbHs ausgewiesenen Leistungen nicht von diesen erbracht worden seien sowie, dass es sich lediglich um fingierte Rechnungen handle und aus diesem Grund die geltend gemachten Vorsteuern nicht anerkannt (vgl. zu einem solchen Fall auch VwGH 6.3.2023, Ra 2020/13/0049). Dabei hat sich das Bundesfinanzgericht auch mit den vom Revisionswerber eingeholten Informationen und Unterlagen über die jeweiligen GmbHs auseinandergesetzt und ausführlich dargelegt, weshalb diese eine Leistungserbringung nicht nachzuweisen vermögen. Unterlagen, die sich allenfalls als geeignet erweisen könnten, über die Durchführung der behaupteten Leistungsbeziehung Aufschluss zu geben ‑ insbesondere Bauverträge, Bautagebücher, sonstige Dokumentationen der behaupteten Leistungsbeziehung usw. ‑ hat der Revisionswerber weder vorgelegt, noch deren Existenz behauptet. Wurden die verrechneten Leistungen aber nicht bewirkt, besteht auch kein Recht auf Vorsteuerabzug, wobei es auf eine Gut- oder Bösgläubigkeit des Steuerpflichtigen, der den Vorsteuerabzug vornehmen möchte, nicht ankommt (vgl. EuGH 27.6.2018, C‑459/17 , SGI und C‑460/17 , SNC).
19 In der Zulässigkeitsbegründung geht der Revisionswerber weder auf die Erwägungen des Bundesfinanzgerichtes ein, noch wendet er sich konkret gegen die Feststellungen hinsichtlich der Nichterbringung der verrechneten Leistungen durch die betroffenen GmbHs.
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 29. März 2023
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