VwGH Ra 2020/01/0030

VwGHRa 2020/01/00303.1.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Röder, über die Revision des X Y in K, vertreten durch Dipl.‑Ing. Mag. Andreas O. Rippel, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Maxingstraße 34, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 29. Oktober 2019, Zl. KLVwG‑1338/29/2018, betreffend Betretungsverbot gemäß § 38a SPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Veit/Glan), den Beschluss gefasst:

Normen

SPG 1991 §38a
SPG 1991 §38a Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2020010030.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Kärnten (Verwaltungsgericht) die Maßnahmenbeschwerde des Revisionswerbers wegen behaupteter Rechtswidrigkeit der am 24. Mai 2018 gegenüber dem Revisionswerber erfolgten Anordnung eines Betretungsverbots nach § 38a Sicherheitspolizeigesetz ‑ SPG, BGBl. Nr. 566/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 61/2016, als unbegründet ab, verpflichtete den Revisionswerber zum Kostenersatz und sprach aus, dass eine Revision nicht zulässig sei.

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht auf das Wesentliche zusammengefasst aus, es seien im Rahmen kriminalpolizeilicher Ermittlungstätigkeiten gegen den Revisionswerber näher bezeichnete Datenträger sichergestellt worden. Nach Sichtung eines Teils dieser Datenträger „durch Polizeibeamte der IT‑Forensik und nach Einstufung des Leiters des Ermittlungsbereiches für Sittlichkeitsdelikte des Landeskriminalamtes, dass die darin enthaltenen Einträge (sog. Thumbs) kinderpornographische Darstellungen enthielten und teils auch Mädchen umfassten, deren Alter jenem der am XX.YY.2010 geborenen leiblichen Tochter des [Revisionswerbers] nahekam,“ sei der „Verdacht gegeben“ gewesen, dass ein gefährlicher Angriff des Revisionswerbers auf die Gesundheit oder Freiheit seiner Tochter unmittelbar bevorstehe. Bei der Sichtung des Mobiltelefons des Revisionswerbers seien zehn Fotos gefunden worden, welche die Tochter des Revisionswerbers in fraglichen Situationen und Körperhaltungen ‑ so u.a. mit entblößtem Hinterteil wie auch in völlig nacktem Zustand, auf einem anderen Foto mit durch ein Klebeband verklebtem Mund ‑ gezeigt hätten. Vor dem Hintergrund dieser Fotos und der Tatsache, dass erst 4 % der Fotos ausgewertet gewesen seien, hätten die Polizeibeamten angenommen, dass „etwas passieren“ könnte.

Das Betretungsverbot sei nach § 38a Abs. 1 und 2 SPG an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen sei, es stehe ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit und Freiheit einer gefährdeten Person bevor. Es komme also maßgeblich darauf an, ob ein gegen die genannten Rechtsgüter des Gefährdeten gerichteter tätlicher Angriff seitens des von der Maßnahme Betroffenen zu erwarten sei. Diese Erwartung müsse auf „bestimmte Tatsachen“ gründen, wobei das Gesetz als solche insbesondere einen vorangegangen gefährlichen Angriff nenne, der seinerseits jedoch nicht gegen Leben, Gesundheit oder Freiheit der gefährdeten Person gerichtet sein müsse (Verweis auf VwGH 21.12.2000, 2000/01/0003).

Ein gefährlicher Angriff sei nach § 16 Abs. 2 SPG die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt werde, sofern es sich um einen Straftatbestand ua nach dem Strafgesetzbuch handle. Was außer einem gefährlichen Angriff als „bestimmte Tatsache“ für die anzustellende „Gefährlichkeitsprognose“ gelten könne, sage das Gesetz nicht ausdrücklich. Welche „bestimmte Tatsachen“ die Annahme begründen würden, es stehe ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person bevor, sei demnach nicht festgelegt. Die Bestimmung des § 38a Abs. 1 SPG nenne in diesem Zusammenhang insbesondere einen vorangegangenen Angriff, der seinerseits jedoch nicht gegen Leben, Gesundheit oder Freiheit der gefährdeten Person gerichtet sein müsse. Entscheidend sei stets, dass daraus gesamtbetrachtet die Prognose ableitbar sei, dass ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person bevorstehe. Ob ein gefährlicher Angriff bevorstehe, sei vom einschreitenden Organ zu beurteilen. Dabei sei vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen und zunächst zu fragen, ob er vertretbar habe annehmen können, dass ein gefährlicher Angriff erfolgt sei und ob ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorstehe.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens sei nicht die abstrakte Zulässigkeit der Maßnahme zu prüfen gewesen, sondern ob ‑ vom Wissensstand und von der Beurteilung des Polizeibeamten im Zeitpunkt des Einschreitens ausgehend ‑ der Ausspruch des Betretungsverbotes rechtmäßig gewesen sei oder nicht. Es sei daher zu beurteilen gewesen, ob die konkret vom Polizeibeamten vorgenommene Gefährdungsprognose rechtsrichtig erfolgt sei. Nach der Rechtsprechung müsse sich den einschreitenden Organen ein Gesamtbild bieten, das mit einiger Wahrscheinlichkeit erwarten lasse, dass ein gefährlicher Angriff durch den Wegzuweisenden bevorstehe oder bevorstehen könne. Angesichts der zur Verfügung stehenden Zeit bzw. auch Möglichkeit könne der Verfügung von Maßnahmen nach § 38[a] SPG ein umfassendes Ermittlungsverfahren nicht vorangehen, handle es sich doch bei der Wegweisung und beim Betretungsverbot um eine Dringlichkeitsmaßnahme und sei dabei nicht gefordert, dass eine abschließende Beurteilung der strafrechtlichen Relevanz eines als Anlasstat zugrunde gelegten Verhaltens zu erfolgen habe.

Der Revisionswerber habe sich anlässlich der Amtshandlung und Konfrontation mit den Fotos seiner Tochter aufgeregt und überrascht gezeigt. Wenngleich sein Verhalten als kooperativ beschrieben werde und keine Hinweise auf aktuelle gefährliche Drohungen, Nötigungen oder strafbare Handlungen vermerkt seien, sei die Gefährdungsprognose dennoch gerechtfertigt gewesen. Vor dem Hintergrund, dass der Polizeibeamte, der das Betretungsverbot ausgesprochen habe, nicht nur die bedenklichen Fotos der Tochter, sondern auch die anderer gleichaltriger Mädchen eingesehen und daraus den Schluss auf die Gefährdung des Kindeswohles gezogen habe, sowie aufgrund der Tatsache, dass die Lebensgefährtin des Revisionswerbers entrüstet auf das Vorhandensein solcher Aufnahmen reagiert habe, sei die von ihm [gemeint: vom Polizeibeamten] getroffene Gefährdungsprognose berechtigt gewesen. In Anbetracht der Tatsache, dass erst ein geringer Prozentsatz der Fotos ausgewertet gewesen sei und mehrere Datenträger betroffen gewesen seien, sowie aufgrund des entschiedenen Bestreitens des Revisionswerbers hinsichtlich bedenklicher Aufnahmen habe der Polizeibeamte bei einer Gesamtbetrachtung in vertretbarer Weise auf das Bevorstehen eines gefährlichen Angriffs gegen eines der im § 38a SPG angeführten Rechtsgüter schließen können.

Zusammenfassend sei festzuhalten, dass die vom Polizeibeamten gezogene Schlussfolgerung als vertretbar erachtet werde und im Zeitpunkt der Verfügung des Betretungsverbotes jedenfalls davon habe ausgegangen werden können, dass Tatsachen vorgelegen seien, die die Annahme eines bevorstehenden gefährlichen Angriffs auf die Gesundheit bzw. Freiheit der Tochter des Revisionswerbers gerechtfertigt hätten. Das Betretungsverbot sei auch nicht unverhältnismäßig gewesen. Nach der Einschätzung des Polizeibeamten zum damaligen Zeitpunkt sei die Verhängung des Betretungsverbotes unter den gegebenen Umständen berechtigt gewesen und die Voraussetzungen für die Erlassung seien gegeben gewesen.

3 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6 In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. für viele etwa VwGH 10.2.2020, Ra 2020/01/0023, mwN).

Diesen Anforderungen wird die gegenständliche Revision nicht gerecht, soweit sie zu ihrer Zulässigkeit lediglich pauschal ein Abweichen von nicht näher zitierter „Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes“ behauptet.

7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Betretungsverbot (ebenso wie eine Wegweisung) an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen.

Gegenstand der Überprüfung durch das Verwaltungsgericht ist daher, ob für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes und ausgehend vom Wissensstand der Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens hinreichende Gründe für das Bestehen einer vom Gefährder ausgehenden, das angeordnete Betretungsverbot rechtfertigenden Gefahr iSd § 38a SPG vorlagen. Dabei hat das Verwaltungsgericht nicht seine eigene Beurteilung des sich den einschreitenden Organen bietenden Gesamtbildes und seinen eigenen Wissensstand an die Stelle des Blickwinkels der Beamten zu setzen. Die Annahme der Beamten eines bevorstehenden vom Gefährder ausgehenden gefährlichen Angriffs auf Leben, Gesundheit oder Freiheit ist somit nicht bereits dann unvertretbar und das verhängte Betretungsverbot rechtswidrig, wenn das Verwaltungsgericht die Gefährdungslage an Hand des sich den eingeschrittenen Beamten gebotenen Gesamtbildes anders einschätzt (vgl. zum Ganzen VwGH 4.12.2020, Ra 2019/01/0163, mwN).

8 Die Revision macht zur Zulässigkeit geltend, das Verwaltungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass „möglicherweise tatsächlich kinderpornographische Bilder von Dritten“ bereits gelöscht gewesen seien. Mit diesem Vorbringen wird schon deshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt, weil sich die Revision damit vom festgestellten Sachverhalt entfernt (vgl. bereits oben Rn. 2), wonach im Rahmen kriminalpolizeilicher Ermittlungstätigkeiten sichergestellte und näher genannte Datenträger des Revisionswerbers kinderpornographische Darstellungen enthalten hätten (vgl. zum Nichtvorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, wenn sich das Zulässigkeitsvorbringen vom festgestellten Sachverhalt entfernt, etwa VwGH 4.10.2022, Ra 2022/17/0151, mwN).

Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen darzulegen (vgl. für viele VwGH 21.2.2022, Ra 2021/01/0330‑0331, mwN).

Der Revisionswerber zeigt mit diesem Zulässigkeitsvorbringen der Revision zudem nicht auf, worin die Relevanz der Frage gelegen sein soll, ob derartige Bilder noch gespeichert oder bereits gelöscht waren.

Zudem übersieht der Revisionswerber, dass für die Gefährdungsprognose nach § 38a SPG für die Anordnung eines Betretungsverbots ‑ wie im Revisionsfall ‑ ausschließlich vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens, hier daher am 24. Mai 2018, auszugehen ist (vgl. neuerlich VwGH 4.12.2020, Ra 2019/01/0163, Rn. 14).

9 Die Revision rügt in ihrem Zulässigkeitsvorbringen weiters das Fehlen von Feststellungen über die nicht „vollständige Auswertung des [beim Revisionswerber sichergestellten] Bildmateriales“ durch die Sicherheitsbehörde, ohne die Relevanz dieses geltend gemachten Verfahrensmangels fallbezogen aufzuzeigen, wie dies nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die hinreichende Darlegung von behaupteten Verfahrensmängeln vorausgesetzt wird (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/01/0244; wiederum 21.2.2022, Ra 2021/01/0330‑0331, jeweils mwN).

Außerdem verkennt der Revisionswerber auch hier, dass es angesichts des Präventionscharakters eines Betretungsverbotes ausgehend vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens allein darauf ankommt, ob plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen des Gefährders zu erwarten sein werden, ob also hinreichende Gründe für das Bestehen einer vom Gefährder ausgehenden, das angeordnete Betretungsverbot rechtfertigenden Gefahr iSd § 38a SPG vorlagen (vgl. neuerlich VwGH 4.12.2020, Ra 2019/01/0163, Rn. 13 f).

10 Soweit im Zulässigkeitsvorbringen außerdem die Unterlassung der Überprüfung gemäß § 38a Abs. 6 SPG (in der Fassung vor Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes 2019, BGBl. I Nr. 105/2019) gerügt wird (mit Hinweis auf VwGH 8.9.2009, 2008/17/0061), ist darauf zu verweisen, dass das Verwaltungsgericht ohnehin festgestellt hat, dass ‑ am selben Tag wie dem der Anordnung (24. Mai 2018) ‑ „das Betretungsverbot von der Bezirksverwaltungsbehörde als Sicherheitsbehörde überprüft und bestätigt wurde.“

11 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 3. Jänner 2023

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