Normen
FrPolG 2005 §52
MRK Art8
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190071.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellte erstmals am 15. Juli 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte sie vor, die russische Miliz habe ihren Sohn verfolgt und misshandelt. Ihr selbst habe man unterstellt, sie sei eine Terroristin.
2 Mit Bescheid vom 6. Mai 2013 wies das Bundesasylamt den Antrag der Revisionswerberin ab und die Revisionswerberin in die Russische Föderation aus. Mit Erkenntnis vom 8. August 2013 wies der Asylgerichtshof die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin ab.
3 Am 17. Oktober 2013 stellte die Revisionswerberin einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der im Beschwerdeverfahren mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 20. November 2013 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen wurde.
4 Am 16. April 2014 stellte die Revisionswerberin den gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte sie vor, sie halte ihre bisherigen Fluchtgründe aufrecht. Sie habe zudem erfahren, dass sie und ihr Sohn eine Ladung der tschetschenischen Polizei erhalten hätten.
5 Mit Bescheid vom 1. Juni 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Revisionswerberin sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt II.), erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt III.).
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde der Revisionswerberin gegen die Spruchpunkte I. und II. dieses Bescheides mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werde. Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. des Bescheides wies das BVwG mit einer hier nicht relevanten Maßgabe als unbegründet ab. Unter einem sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe den Antrag auf internationalen Schutz zu Unrecht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, obwohl sich die gesundheitliche Situation der Revisionswerberin so geändert habe, dass ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wäre. Die Revisionswerberin sei nunmehr 67 Jahre alt, an Parkinson erkrankt, müsse medikamentös behandelt werden und könne sich die Behandlungskosten nicht leisten, weswegen sie bei einer Rückkehr nach Tschetschenien als behindert gelten und von Armut gefährdet sein werde.
11 Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung ‑ nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen ‑ berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 4.5.2021, Ra 2021/14/0136, mwN).
12 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden hg. Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. etwa VwGH 16.3.2021, Ra 2020/19/0324, mwN).
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein Fremder im Allgemeinen kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und der Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedoch jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006, mwN, und unter Hinweis auf EGMR 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41738/10).
14 Das BVwG legte seiner Entscheidung hinsichtlich des Gesundheitszustands der Revisionswerberin zu Grunde, dass sich deren somatische Erkrankungen und ihre Behandlung seit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz nicht wesentlich geändert hätten, ebenso der psychologische Gesundheitszustand, wobei die Revisionswerberin seit Oktober 2020 keine aktuelle psychische Beschwerdesymptomatik aufweise. Die Revisionswerberin leide seit dem Jahr 2017 unter Morbus Parkinson und werde medikamentös behandelt, wobei bei einem Behandlungsabbruch mit einer Verschlechterung ihres Tremors zu rechnen sei. Die medizinische und medikamentöse Behandlung der Revisionswerberin sei in ihrem Herkunftsstaat, auch hinsichtlich der Parkinson-Erkrankung, gewährleistet, wofür sich das BVwG beweiswürdigend auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 15. Dezember 2020 bezüglich der Verfügbarkeit und Kosten von Behandlungen und Medikamenten gegen die Erkrankungen der Revisionswerberin stützte. Weiters führte das BVwG aus, die Revisionswerberin könne im Fall einer Rückkehr eine staatliche Pension beziehen. Überdies könnten die in Österreich lebenden Verwandten, welche die Revisionswerberin schon im Bundesgebiet unterstützt hätten, sie im Fall einer Rückkehr weiterhin unterstützen, sodass sie ihren Lebensunterhalt sichern und auch die Medikamenten- und Behandlungskosten tragen könne.
15 Die Revision zeigt nicht auf, dass im Hinblick auf den Gesundheitszustand und die Lebensumstände der Revisionswerberin so außergewöhnliche Umstände bestünden, die eine Verletzung ihrer Rechte nach Art. 3 EMRK befürchten ließen, und daher in Bezug auf die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten eine relevante Sachverhaltsänderung im Vergleich zur Entscheidung über ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz eingetreten wäre.
16 Die Revision wendet sich zu ihrer Zulässigkeit auch gegen die Interessenabwägung im Rahmen der Rückkehrentscheidung und bringt vor, das BVwG habe das Alter der Revisionswerberin, ihre Krankheiten und den Umstand nicht hinreichend berücksichtigt, dass sie sich die Gesundheitsversorgung nicht werde leisten können. Im Hinblick auf die fast sechsjährige Verfahrensdauer habe die Revisionswerberin außerdem damit rechnen können, in Österreich bleiben zu können.
17 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 19.5.2021, Ra 2021/19/0047, mwN).
18 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 24.2.2021, Ra 2021/19/0017, mwN).
19 Das BVwG berücksichtigte bei seiner Interessenabwägung - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - alle maßgeblichen, auch die zugunsten der Revisionswerberin sprechenden Aspekte. Auch das in der Revision angesprochene Alter der Revisionswerberin sowie die Dauer ihres Aufenthalts in Österreich bezog das BVwG in seine Erwägungen mit ein.
20 Soweit die Revision auf den Gesundheitszustand der Revisionswerberin verweist, kommt bei dieser Abwägung auch dem Umstand Bedeutung zu, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird, die im Einzelfall zu einer maßgeblichen Verstärkung des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich führen kann (vgl. VwGH 17.11.2020, Ra 2019/19/0308, mwN). Auch nach der auf Art. 8 EMRK abstellenden (aus der Rechtsprechung des EGMR übernommenen) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen jedoch kein Fremder ein Recht, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon festgehalten, dass es einem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könnte. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse im Sinn des Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (vgl. erneut VwGH 17.11.2020, Ra 2019/19/0308, mwN). Wie bereits in Zusammenhang mit der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ausgeführt, gelangte das BVwG zu der - in der Revision nicht erfolgreich bekämpften - Beurteilung, dass die Krankheiten der Revisionswerberin in ihrem Herkunftsstaat behandelbar seien und sie die Behandlungskosten auch tragen könne.
21 Einer überlangen Verfahrensdauer käme lediglich dann Relevanz für den Verfahrensausgang zu, wenn sich während der Verfahrensdauer schützenswerte familiäre oder private Interessen herausgebildet hätten (vgl. VwGH 12.3.2021, Ra 2020/19/0440, mwN). Dass dies hier der Fall wäre, zeigt die Revision nicht auf.
22 Insgesamt legt die Revision nicht dar, dass die Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar wäre.
23 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 15. Juni 2021
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