VwGH Ra 2021/19/0047

VwGHRa 2021/19/004719.5.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des H A in S, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Februar 2021, W195 1430388‑2/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190047.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 5. Oktober 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 24. Oktober 2012 wies das Bundesasylamt den Antrag des Revisionswerbers ab und den Revisionswerber aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Bangladesch aus. In Erledigung der dagegen erhobenen Beschwerde behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Beschluss vom 12. März 2015 diesen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück.

3 Das BFA wies den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 22. Februar 2017 vollinhaltlich ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das BVwG ‑ soweit hier wesentlich ‑ aus, dem Revisionswerber drohe in seinem Herkunftsstaat keine Verfolgung. Bei einer Rückkehr bestehe auch keine reale Gefahr der Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK. In Österreich sei der Revisionswerber in psychotherapeutischer Behandlung gewesen, wodurch auch eine Besserung erzielt worden sei. Für sein Leiden (insbesondere eine „post traumatic stress disorder“) sei eine Behandlung auch in Bangladesch verfügbar. Der Revisionswerber sei arbeitsfähig und in der Lage, einer Erwerbstätigkeit in seinem Herkunftsstaat nachzugehen, zumal er dort auch bereits über Berufserfahrung verfüge. Es bestehe keine reale Gefahr, dass der Revisionswerber bei einer Rückkehr in eine Notlage geraten könnte. In Bangladesch seien weiterhin Familienangehörige des Revisionswerbers aufhältig; nämlich insbesondere seine drei Kinder, seine Eltern, ein Bruder und zwei Schwestern, sowie seine ‑ allerdings vom Revisionswerber getrennte ‑ Ehefrau. In Österreich habe der Revisionswerber keine Familienangehörigen und auch sonst ‑ trotz seines bereits über achtjährigen Aufenthaltes ‑ keine nennenswerten sozialen Kontakte geknüpft. Außer ehrenamtlichen Hilfstätigkeiten bei einem Verein habe er keine maßgeblichen Schritte zur Integration gesetzt. Der Revisionswerber habe wohl ein Sprachzertifikat erworben, spreche jedoch nur sehr schlecht Deutsch und sei nicht in der Lage, ein Gespräch in deutscher Sprache zu führen. Bei einer Gesamtabwägung überwiege ‑ auch unter Berücksichtigung, dass der Revisionswerber sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen ‑ das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung das private Interesse des Revisionswerbers am Verbleib im Inland. Es sei daher eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit gegen die Rückkehrentscheidung. Das BVwG habe bei seiner Interessenabwägung nicht beachtet, dass dem Revisionswerber die lange Verfahrensdauer hinsichtlich seines Antrages auf internationalen Schutz nicht vorgeworfen werden könne. Auch der Erkrankung des Revisionswerbers sei zu wenig Bedeutung zugemessen worden.

10 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 19.6.2020, Ra 2019/19/0475, mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt ist und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 13.2.2020, Ra 2020/19/0001, mwN).

11 Soweit die Revision vorbringt, dass dem Revisionswerber die lange Aufenthaltsdauer nicht vorgeworfen werden könne, ist darauf zu verweisen, dass einer überlangen Verfahrensdauer lediglich dann Relevanz für den Verfahrensausgang zukäme, wenn sich während der Verfahrensdauer schützenswerte familiäre oder private Interessen herausgebildet hätten (vgl. VwGH 18.12.2020, Ra 2020/20/0149, mwN). Derartiges vermag die Revision, die den Ausführungen des BVwG nicht entgegentritt, wonach der Revisionswerber trotz seines Aufenthaltes in Österreich von über acht Jahren keine nennenswerten Schritte zur sozialen oder beruflichen Integration gesetzt habe, nicht aufzuzeigen.

12 Eine in Österreich vorgenommene medizinische Behandlung kann im Einzelfall zu einer maßgeblichen Verstärkung der persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet führen. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob diese medizinische Behandlung auch außerhalb Österreichs erfolgen bzw. fortgesetzt werden kann (vgl. dazu etwa VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0026, mwN). Auch nach der auf Art. 8 EMRK abstellenden (aus der Rechtsprechung des EGMR übernommenen) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen aber kein Fremder ein Recht, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon festgehalten, dass es einem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könnte. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse im Sinn des Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich ‑ auch in seinem Gewicht ‑ beurteilbar (vgl. VwGH 17.11.2020, Ra 2019/19/0308, mwN).

13 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber im Verfahren des BFA und des BVwG lediglich darauf verwiesen, dass er in Österreich ‑ insbesondere aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung ‑ psychotherapeutisch behandelt werde. Dass die Erkrankung ‑ etwa in Hinblick auf eine Suizidgefährdung ‑ lebensbedrohlich wäre, hat der Revisionswerber nicht behauptet und auch nicht vorgebracht, dass er in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt wäre. Das BVwG hat sich mit dem Gesundheitszustand des Revisionswerbers auseinandergesetzt und festgestellt, dass der arbeitsfähige Revisionswerber auch in Bangladesch Zugang zu einer psychotherapeutischen Behandlung erhalten könne. Dieser Feststellung tritt die Revision nicht substantiiert entgegen.

14 Davon ausgehend vermag die Revision nicht darzulegen, dass das BVwG seine Interessenabwägung in unvertretbarer Weise vorgenommen hätte.

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 19. Mai 2021

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