Normen
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
MRK Art2
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190007.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Indiens, stellte am 31. Oktober 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz und führte dazu im Wesentlichen aus, aufgrund seiner Unterstützung für die Unabhängigkeitsbewegung des Punjab Folter durch die Polizei zu befürchten.
2 Mit Bescheid vom 6. November 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG aus, die Verfolgungsbehauptungen des Revisionswerbers seien vage und unkonkret gewesen. Der Revisionswerber habe beim BFA keinen konkreten Sachverhalt vorgebracht, keinen konkreten Verfolger bezeichnet und keinerlei zeitliche Einordnung vorgenommen, weswegen das Vorbringen unglaubwürdig sei. Ihm stehe überdies eine inländische Schutz- und Fluchtalternative in Neu-Delhi offen, wo auch sein um fünf Jahre älterer Bruder lebe. Es bestünden zudem keine Gründe für die Annahme, dass der Revisionswerber im Heimatland im Sinne des § 8 AsylG 2005 bedroht werden würde. Letztlich sei die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten gewesen und stelle keine Verletzung des Revisionswerbers in seinem Recht auf Privat‑ und Familienleben gemäß Art. 8 EMRK dar.
5 Dagegen richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Revision wendet sich erkennbar gegen das Absehen von der mündlichen Verhandlung und rügt, dass die exakte Rolle des Revisionswerbers bei den Unabhängigkeitsbestrebungen des Punjab (Region Khalistan) in einer „Berufungsverhandlung“ zu erfragen gewesen wäre.
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß dem ‑ hier maßgeblichen ‑ ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) („wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“) dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 20.11.2020, Ra 2020/20/0309, mwN).
11 Das BFA versagte im vorliegenden Fall dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nach dessen Einvernahme die Glaubwürdigkeit. Das BVwG übernahm in diesem Punkt die entscheidungswesentlichen Feststellungen des BFA. Auch hat der Revisionswerber in seiner Beschwerde kein Vorbringen erstattet, welches das BVwG zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verpflichtet hätte. Insbesondere wurde den beweiswürdigenden Ausführungen des BFA, wonach nicht festgestellt werden könne, dass der Revisionswerber aufgrund der Folter seiner Freunde einer persönlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre bzw. in Zukunft ausgesetzt sein würde, nicht substantiiert entgegengetreten. Auch die Ausführungen des BFA, wonach der Revisionswerber selbst in Indien nicht politisch tätig gewesen sei, wurden in der Beschwerde mit keinem Wort bestritten. Ein Abweichen von den Leitlinien der Rechtsprechung konnte von der Revision damit nicht aufgezeigt werden.
12 Des Weiteren macht die Revision geltend, das angefochtene Erkenntnis enthalte keine Berichte zu Konsequenzen für Protagonisten der Unabhängigkeitsbewegung im Punjab. Dabei übersieht sie, dass das BVwG dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, wonach er Indien aufgrund des Konflikts zwischen der Regierung und Anhängern der Unabhängigkeitsbewegung im Punjab habe verlassen müssen, keinen Glauben schenkte. Begründend führte es aus, dass der Revisionswerber ohne Bezug auf seine Person angegeben habe, dass es zwischen der Regierung und Anhängern der Khalistan‑Bewegung öfters zu Konflikten komme. Selbst nach Aufforderung, seine konkreten Befürchtungen auszuführen, habe der Revisionswerber ohne jegliche Konkretisierung lediglich ausgesagt, seine Freunde seien von der Regierung gefoltert worden. Ihm selbst sei nie etwas passiert. Diesen Erwägungen setzt die Revision nichts entgegen.
13 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein „ausreichend ermittelter Sachverhalt“ vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt (vgl. VwGH 1.10.2020, Ra 2020/19/0196, mwN). Angesichts der Würdigung des Vorbringens des Revisionswerbers durch das BVwG (vgl. zum diesbezüglichen Prüfungsmaßstab VwGH 23.2.2021, Ra 2021/19/0028) ist nicht zu erkennen, dass die vorgenommene Beurteilung, von weiteren Erhebungen abzusehen, fallbezogen unvertretbar wäre.
14 Soweit die Revision zu ihrer Zulässigkeit weiter vorbringt, das BVwG habe über zwei Jahre alte Länderberichte herangezogen, die die aktuelle Situation im Zusammenhang mit der Covid‑19‑Pandemie nicht ausreichend berücksichtigen würden, macht sie Verfahrensmängel geltend.
15 Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier Ermittlungs‑ und Feststellungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 20.1.2021, Ra 2020/19/0396, mwN).
16 Mit dem pauschalen Vorbringen, die Länderberichte seien zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits zwei Jahre alt gewesen und würden die Auswirkungen der Covid‑19 Pandemie nur am Rande erwähnen bzw. sich nicht mit den aktuell geltenden Reisebestimmungen auseinandersetzen, wird dem Erfordernis der Relevanzdarstellung nicht Genüge getan. Auch werden keine exzeptionellen und konkret auf den ‑ nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts gesunden ‑ und im Jahr 1995 geborenen Revisionswerber Bezug nehmenden Umstände, welche die Annahme einer realen Gefahr einer drohenden Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK garantierten Rechte bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat rechtfertigen würden, dargetan (vgl. VwGH 1.10.2020, Ra 2020/19/0203, mwN).
17 Schließlich wendet sich die Revision gegen die vom Gericht vorgenommene Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK und bringt ohne nähere Begründung vor, diese sei nicht nachvollziehbar.
18 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. wiederum VwGH Ra 2020/19/0203).
19 Das BVwG stellte u.a. fest, dass der Revisionswerber keine Verwandten in Österreich habe, keinen Deutschkurs absolviert habe, nicht Deutsch spreche und kein Mitglied in einem Verein sei. Diesen Feststellungen tritt die Revision nicht entgegen. Im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigte das BVwG, dass der Revisionswerber den überwiegenden Teil seines Lebens in Indien verbrachte habe, seine Mutter, sein Bruder, seine Schwägerin und seine Tanten dort leben würden und er die Landessprache spreche. Die Revision legt nicht dar, dass diese Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar im Sinne der dargelegten Rechtsprechung wäre.
20 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 30. März 2021
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)