European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190028.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 3. März 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz und führte dazu im Wesentlichen aus, dass die Taliban wegen der Tätigkeit seines Vaters für die UNO gedroht hätten, den Revisionswerber zu entführen.
2 Mit Bescheid vom 28. Dezember 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
Begründend führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe vorgebracht, dass ihm auf Grund der beruflichen Tätigkeit seines Vaters bei der UNO Verfolgung von den Taliban drohe. Er habe jedoch keine individuelle Bedrohung durch staatliche Organe oder Privatpersonen glaubhaft machen können. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und angesichts des persönlichen Eindrucks des Revisionswerbers sei davon auszugehen, dass ihm hinsichtlich seines Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukomme. Er habe lediglich eine „Rahmengeschichte“ präsentiert, die er selbst auf mehrfaches Nachfragen hin kaum mit näheren Details habe ergänzen können. Der Revisionswerber habe ausweichende Antworten gegeben, seine Angaben seien gänzlich detaillos und vage geblieben. Auch hätten sich viele Unplausibilitäten ergeben, die seine Angaben unglaubhaft scheinen ließen. Auf Grund der allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Verhältnisse sei dem Revisionswerber eine Rückkehr in seine Heimatprovinz Kabul, aber auch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar‑e Sharif oder Herat zumutbar. In Bezug auf die Rückkehrentscheidung sei davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Revisionswerbers seine persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würde.
4 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 24. November 2020, E 3432/2020‑7, die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat diese mit weiterem Beschluss vom 14. Dezember 2020, E 3432/2020‑9, gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
5 In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision erhoben.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das BVwG habe sich nicht mit der Anfragebeantwortung des BFA vom 15. Oktober 2018 auseinandergesetzt. Diese bestätige, dass der Vater des Revisionswerbers zumindest bis 31. Dezember 2016 als Bote für die UNDP tätig gewesen sei und aktuell als Gebäudeverwalter für Three Dabster (UN‑Vertragsfirma für Unterstützungsleistungen) arbeite. Es hätte daher eine Auseinandersetzung mit der Frage bedurft, inwieweit eine Gefährdung für den Revisionswerber als Familienangehöriger angesichts dieser, wenn auch lediglich untergeordneten, Tätigkeit vorliege. In der eingebrachten Stellungnahme vom 21. November 2018 sei diesbezüglich ausdrücklich vorgebracht worden, dass die Staatendokumentation des BFA ebenfalls eine besondere Gefährdung für ehemalige UN‑Mitarbeiter sowie deren Familienangehörige bestätigt habe. Auch den aktuellen UNHCR‑Richtlinien zu Folge gäbe es eine erhöhte Gefahr für NGO‑Mitarbeiter sowie deren Angehörige.
8 Dem ist zu entgegnen, dass vom BVwG ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ festgestellt wurde, dass der Vater des Revisionswerbers als Bote bei der UNDP bzw. als Kraftfahrer und anschließend bis Dezember 2018 bei Three Dabster als Gebäudeverwalter gearbeitet habe, im Übrigen aber das BVwG die vom Revisionswerber vorgebrachte Bedrohung durch die Taliban als unglaubwürdig erachtet hat.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser ‑ als Rechtsinstanz ‑ zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 22.5.2020, Ra 2020/19/0073, mwN).
Dass das BVwG im vorliegenden Fall seine Beweiswürdigung in einer solchen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
10 Darüber hinaus macht die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit geltend, es hätte vom BVwG bei der Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK berücksichtigt werden müssen, dass der Revisionswerber bereits viereinhalb Jahre und somit seine gesamte für ihn prägende Jugend in Österreich verbracht habe, er sich mit den österreichischen Werten identifizieren könne und seit eineinhalb Jahren eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin führe. Er lebe zumindest seit Beginn des „Lockdowns“ im März 2020 bei der Familie seiner Freundin, sei ein richtiges Familienmitglied geworden und habe insbesondere zum jüngeren Bruder der Freundin ein sehr inniges Verhältnis. Zudem habe der Revisionswerber bei „namhaften“ Fußballvereinen gespielt und sei ehrenamtlich tätig.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (vgl. etwa VwGH 2.7.2020, Ra 2020/19/0192, mwN). Die durch das BVwG durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist dann vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifen, wenn das BVwG die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 17.11.2020, Ra 2020/19/0139).
12 Im vorliegenden Fall hat das BVwG die für die Interessenabwägung maßgeblichen (auch für den Revisionswerber sprechenden) Umstände festgestellt und ist zu dem Schluss gelangt, dass die privaten Interessen des Revisionswerbers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen in den Hintergrund zu treten hätten. Der Revision gelingt es nicht darzulegen, dass diese Interessenabwägung unvertretbar erfolgt wäre.
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 23. Februar 2021
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