European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140044.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 28. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er führte aus, dass er im Kindesalter mit seiner Familie Afghanistan verlassen habe, weil die Taliban alle Hazara umgebracht hätten. Er sei in Pakistan aufgewachsen. Im Laufe des Verfahrens gab er zusätzlich an, dass er zum Christentum konvertiert sei.
2 Mit Bescheid vom 28. März 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die belangte Behörde legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis ‑ nach Durchführung einer Verhandlung ‑ als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 11. Dezember 2020, E 3844/2020‑6, die Behandlung derselben ablehnte und sie aufgrund des nachträglichen Antrages mit Beschluss vom 29. Dezember 2020, E 3844/2020‑8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht sei von seiner Begründungspflicht im Zusammenhang mit der behaupteten Konversion abgewichen. Zudem sei die Aussage der dazu vernommenen Zeugin kaum berücksichtigt worden und es fehle eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser. Auch sei der „Gemeindeleiter“ und Pastor nicht einvernommen worden. Überdies wendet sich die Revision gegen die Annahme, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative, und rügt in diesem Zusammenhang unter anderem eine fehlende Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Covid‑19‑Pandemie.
9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung der vorliegenden Beweismittel, etwa von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten, zu ermitteln ist. In Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum ist nicht entscheidend, ob der Religionswechsel durch die Taufe erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist vielmehr, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. VwGH 28.12.2020, Ra 2020/14/0520, mwN).
10 Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- und Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation und des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. erneut VwGH 28.12.2020, Ra 2020/14/0520, mwN).
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 3.6.2020, Ra 2020/20/0161, mwN).
12 Das Bundesverwaltungsgericht führte eine Verhandlung durch, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffte sowie ein Mitglied einer Baptistengemeinde als Zeugin zu dessen religiösen Aktivitäten befragte. Es gelangte mit einer nicht als unschlüssig zu erkennenden Begründung, in der es auch die Aussagen der vernommenen Zeugin würdigte, zu dem Schluss, dass eine aus innerer Überzeugung vollzogene Hinwendung zum christlichen Glauben nicht glaubhaft gemacht werden konnte. Dabei stützte sich das Bundesverwaltungsgericht unter anderem darauf, dass der Revisionswerber seine Motivation für den Glaubenswechsel nicht schlüssig habe darlegen können. Weiters verwies es auf näher genannte Widersprüche zwischen den Angaben des Revisionswerbers und der Zeugin. Der Revision gelingt es nicht darzulegen, dass die Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre.
13 Wenn in der Revision die unterbliebene Vernehmung eines weiteren Zeugen angesprochen wird, so ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ‑ um die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzulegen ‑ in der Revision konkret darzulegen ist, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung hätte aussagen können und welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 27.6.2019, Ra 2019/14/0085, mwN). Diesen Anforderungen kommt die Revision mit ihrem pauschalen und nicht näher konkretisierten Vorbringen, der Zeuge hätte über die innere Überzeugung des Revisionswerbers Auskunft erteilen können, nicht nach.
14 Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Einvernahme weiterer Zeugen nicht beantragt war. Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0550, mwN). Dass dies vorliegend der Fall wäre, zeigt die Revision nicht auf.
15 Die Revision wendet sich im Zulässigkeitsvorbringen weiters gegen die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz und die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dem Revisionswerber stehe in Kabul, Mazar‑e Sharif, Herat und Bamyan eine innerstaatliche Fluchtalternative, deren Inanspruchnahme auch zumutbar sei, offen. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht ausreichend mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers auseinandergesetzt, insbesondere dass der Revisionswerber in Pakistan aufgewachsen sei, in Afghanistan über kein soziales Netzwerk, keine Ortskenntnisse und über keine Berufserfahrung verfüge und nicht mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut sei. Zudem habe sich das Bundesverwaltungsgericht nicht hinreichend mit den Auswirkungen der Covid‑19‑Pandemie beschäftigt.
16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative letztlich eine Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. VwGH 13.1.2021, Ra 2020/14/0287 und 0288, mwN).
17 Es entspricht weiters der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 14.9.2020, Ra 2020/14/0314, mwN). In der Rechtsprechung wurde auch bereits wiederholt festgehalten, dass für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus und von Erkrankungen an Covid‑19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. auch VwGH 9.11.2020, Ra 2020/20/0373, mwN).
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass weder EASO (Leitfaden vom Juni 2018 und Juni 2019) noch UNHCR (Richtlinien vom 30. August 2018) von der Notwendigkeit der Existenz eines sozialen Netzwerkes in Mazar‑e Sharif für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgehen. Es entspricht zudem der ‑ auch zu dieser Berichtslage ergangenen ‑ Rechtsprechung, wonach es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. zu einem in Pakistan geborenen und dort aufgewachsenen Afghanen unter Berücksichtigung der auch hier maßgeblichen Berichtslage VwGH 26.6.2020, Ra 2020/14/0249, mwN).
18 Das Bundesverwaltungsgericht traf im angefochtenen Erkenntnis unter Beachtung der von UNHCR und EASO herausgegebenen Richtlinien konkrete, sowohl die persönliche Situation des Revisionswerbers als auch die allgemeine Lage (Sicherheits- und Versorgungslage; Auswirkungen der Covid‑19‑Pandemie) im Herkunftsstaat betreffende Feststellungen. Dass die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts zu den individuellen Umständen des Revisionswerbers in einer unvertretbaren Weise vorgenommen worden wären, wird von der Revision nicht aufgezeigt.
19 Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung vermag die Revision nicht darzulegen, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach dem Revisionswerber als jungem, gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter, welcher über Berufserfahrung verfüge, die Landessprache spreche und mit dem kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei, in Mazar‑e Sharif, Herat oder Bamyan eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe, fallbezogen mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit belastet wäre und sich hierbei von den Leitlinien der Judikatur entfernt hätte. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte bei seiner Beurteilung auch ausdrücklich den Umstand, dass der Revisionswerber seit seiner Kindheit mit seiner Familie in Pakistan gelebt habe und in den genannten afghanischen Städten über kein soziales Netzwerk verfüge. Überdies fehlt ein konkretes Revisionsvorbringen betreffend die Annahme der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative in Bamyan.
20 Wenn sich die Revision gegen die Existenz einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul wendet, ist schließlich darauf zu verweisen, dass es sich hierbei lediglich um eine von mehreren Fluchtalternativen handelt. Bestehen aber gegen die Beurteilung von Mazar‑e Sharif, Herat und Bamyan als taugliche innerstaatliche Fluchtalternative keine Bedenken, so ist auf die auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul Bezug nehmenden Ausführungen nicht weiter einzugehen (vgl. VwGH 13.11.2019, Ra 2019/01/0326, mwN).
21 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war sohin gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 26. Februar 2021
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