Normen
SPG 1991 §65 Abs1
SPG 1991 §67 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010267.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ‑ soweit vorliegend mit Amtsrevision angefochten ‑ der Beschwerde des Mitbeteiligten, er sei durch die Durchführung eines Nackenabstriches zur Gewinnung einer DNA‑Probe durch Organe der Landespolizeidirektion Niederösterreich (Amtsrevisionswerberin, im Folgenden: LPD) am 30. März 2021 in seinen Rechten verletzt worden, gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG Folge gegeben und dieser Akt für rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt 1.). Der Bund wurde gemäß § 35 VwGVG iVm der VwG‑Aufwandersatzverordnung zum Aufwandersatz verpflichtet (Spruchpunkt 3.). Eine Revision wurde für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt 5.).
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht zu Spruchpunkt 1. im Wesentlichen aus, die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 67 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und der Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz ‑ SPG) erweise sich gegenüber jener des § 65 Abs. 1 SPG als lex specialis und unterscheide sich von letzterer im Hinblick auf die besondere Sensibilität der derart gewonnenen Informationen durch zusätzliche Tatbestandselemente. Sie knüpfe an zwei Voraussetzungen an: Einerseits müsse der Betroffene in Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, andererseits müsse im Hinblick auf diese Tat oder die Persönlichkeit des Betroffenen erwartet werden können, dieser werde bei Begehung weiterer gefährlicher Angriffe Spuren hinterlassen, die seine Wiedererkennung auf Grund der ermittelten genetischen Information ermöglichen würden (Verweis auf näher zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
3 Im gegenständlichen Fall habe sich die Prognose der handelnden Organe auf eine „gewöhnliche“ Prognose im Sinne des § 65 Abs. 1 SPG beschränkt, während die zusätzlichen Tatbestandselemente des § 67 Abs. 1 SPG nicht geprüft worden seien. Es sei keine Prognose vorgenommen worden, inwiefern der Mitbeteiligte bei Begehung weiterer gefährlicher Angriffe Spuren hinterlassen würde, die seine Wiedererkennung auf Grund der ermittelten genetischen Informationen ermöglichen würden. Auch seien am Tatort weder DNA‑Spuren sichergestellt worden, noch habe es Kenntnisse darüber gegeben, ob in der Vergangenheit bei ähnlichen Straftaten DNA‑Proben am Tatort sichergestellt worden seien. Der Nackenabrieb sei vielmehr lediglich deshalb durchgeführt worden, weil dies im verwendeten Computerprogramm zur Befüllung des Kontrolldatenblattes der erkennungsdienstlichen Behandlung im Hinblick auf den Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB vorgesehen gewesen sei.
4 Da sich die handelnden Organe nicht mit den besonderen Voraussetzungen für eine DNA‑Untersuchung nach § 67 Abs. 1 SPG auseinandergesetzt hätten ‑ und das Vorliegen dieser Voraussetzungen auch nicht ersichtlich sei ‑, sei die angefochtene Amtshandlung für rechtswidrig zu erklären gewesen.
5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Amtsrevision bringt im Wesentlichen vor, das bekämpfte Erkenntnis erweitere die Voraussetzungen für die Abnahme von DNA im Zuge einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach den §§ 65, 67 SPG um eine zusätzliche förmliche Prognose über die vom Täter zu erwartenden Spuren „bei den von ihm künftig begangenen gefährlichen Angriffen“, auch wenn sich dies schon aufgrund der vorliegenden unstrittigen Tatsachen des Sachverhaltes ergebe. So sei unstrittig, dass der Mitbeteiligte mit seinen Händen ein Seil gesichert habe und es damit körperlich berührt habe. Es entspreche den Tatsachen und auch der allgemeinen Lebenserfahrung, dass mit dem „(künftigen) Berühren eines Gegenstandes durch Hautkontakt bei der Ausführung eines gefährlichen Angriffes auch die Übertragung von DNA vom Körper auf den Gegenstand“ erfolge.
10 Diese Annahme des Verwaltungsgerichtes widerspreche der bestehenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine „Prognoseentscheidung zu befürchtender gefährlicher Angriffe und dabei hinterlassener Spuren des Täters, die seine Wiedererkennung aufgrund der ermittelten genetischen Spuren ermöglichen würden“, lediglich im Hinblick auf die vorliegende Tat oder die Persönlichkeit des Betroffenen verlangt werde (Verweis auf VwGH 19.9.2006, 2005/06/0018). Das bekämpfte Erkenntnis greife damit in den durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bestehenden Rahmen zu den Voraussetzungen einer erkennungsdienstlichen Behandlung mit Abnahme von DNA ein. Die Revision sei daher zulässig, zumal die Sicherheitsbehörden in diesem Bereich besonders sensible Daten verarbeiteten und ein hohes Maß an Rechtssicherheit durch eine einheitliche höchstgerichtliche Judikatur von grundsätzlicher Bedeutung sei.
11 Gemäß § 67 Abs. 1 erster Satz SPG, BGBl. 566/1991 idF BGBl. I Nr. 29/2018, ist eine erkennungsdienstliche Behandlung, bei der die DNA eines Menschen ermittelt werden soll, zulässig, wenn der Betroffene im Verdacht steht, eine strafbare Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung oder eine mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte vorsätzliche gerichtlich strafbare Handlung begangen zu haben und wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zu befürchten ist, er werde gefährliche Angriffe begehen und dabei Spuren hinterlassen, die seine Wiedererkennung auf Grund der ermittelten genetischen Daten im Sinne des § 36 Abs. 2 Z 12 DSG ermöglichen würden.
12 Zu den Voraussetzungen für die amtswegige Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß § 67 Abs. 1 SPG, bei der die DNA eines Menschen ermittelt werden soll (DNA‑Untersuchungen), ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen. Aus dieser Rechtsprechung ist hervorzuheben, dass die erkennungsdienstliche Behandlung nach § 67 Abs. 1 SPG, die sich gegenüber der in § 65 Abs. 1 SPG geregelten als lex specialis erweist, an zwei Voraussetzungen anknüpft: Einerseits muss der Betroffene in Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff (nämlich eine strafbare Handlung im Sinne des § 67 Abs. 1 erster Satz SPG) begangen zu haben, andererseits muss im Hinblick auf diese Tat oder die Persönlichkeit des Betroffenen erwartet werden können, dieser werde bei Begehung weiterer gefährlicher Angriffe Spuren hinterlassen, die seine Wiedererkennung auf Grund der ermittelten genetischen Information ermöglichen würden (vgl. zu allem VwGH 4.9.2008, 2006/01/0369, mwN der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
13 Das Verwaltungsgericht stützte den angefochtenen Spruchpunkt 1. darauf, dass seitens der LPD keine Prognose dahin vorgenommen worden sei, inwiefern der Mitbeteiligte bei Begehung weiterer gefährlicher Angriffe Spuren hinterlassen würde, die seine Wiedererkennung aufgrund der ermittelten genetischen Informationen ermöglichen würden. Damit hat das Verwaltungsgericht die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellte zweite Voraussetzung einer DNA‑Untersuchung nach § 67 Abs. 1 SPG angesprochen. Nach den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses wurde die vorliegende DNA‑Untersuchung lediglich deshalb durchgeführt, weil dies im verwendeten Computerprogramm vorgesehen gewesen sei.
14 Diesen Feststellungen tritt die Amtsrevision nicht entgegen, sie behauptet alleine ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 67 Abs. 1 SPG.
15 Ein Abweichen von der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist aber in der vorliegenden Rechtssache nicht zu erkennen, zumal sich das Verwaltungsgericht auf diese Rechtsprechung gestützt hat.
16 Wenn die LPD in der Amtsrevision im Ergebnis weiter vorbringt, das Verwaltungsgericht hätte im vorliegenden Einzelfall auf Grundlage der „unstrittigen Tatsachen des Sachverhaltes“ davon ausgehen müssen, dass (auch) die zweite Voraussetzung für eine DNA‑Untersuchung nach § 67 Abs. 1 SPG vorgelegen sei, so liegt darin noch kein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 67 Abs. 1 SPG.
17 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. zu einer Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach § 35 Abs. 1 SPG VwGH 11.1.2021, Ro 2019/01/0015, mwN). Solches wird von der Amtsrevision vorliegend nicht dargetan.
18 Insbesondere kann das von der Amtsrevision vorgebrachte allgemeine Argument, es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, „dass mit dem (künftigen) Berühren eines Gegenstandes durch Hautkontakt bei der Ausführung eines gefährlichen Angriffes auch die Übertragung von DNA vom Körper auf den Gegenstand erfolgt“,eine konkrete fallbezogene Prognose nicht ersetzen (vgl. zur konkreten fallbezogenen Prognose iZm § 65 Abs. 1 SPG das von der Amtsrevision für ihre Auffassung zitierte Erkenntnis VwGH 19.9.2006, 2005/06/0018, mwN; vgl. zu einer ausreichenden Prognose nach § 67 Abs. 1 SPG, VwGH 4.9.2008, 2006/01/0369).
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 15. September 2021
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