Normen
AsylG 2005 §12a Abs6
BFA-VG 2014 §21 Abs7
FrPolG 2005 §67 Abs1
FrPolG 2005 §69 Abs1
StGB §31
StGB §40
VwGG §42 Abs2 Z1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210412.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erließ gegen den Revisionswerber, einen rumänischen Staatsangehörigen, mit Bescheid vom 8. Juli 2020 gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Unter einem sprach es aus, dass gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt und einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.
2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 13. August 2020 als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:
4 Die Revision erweist sich ‑ wie sich aus den weiteren Ausführungen ergibt ‑ entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.
5 Das BVwG gründete die Gefährdungsprognose gemäß § 67 Abs. 1 FPG (tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt) im Rahmen der rechtlichen Beurteilung auf zwei strafgerichtliche Verurteilungen des Revisionswerbers aus dem Jahr 2017 und auf „weitere Straffälligkeiten, zuletzt am 09.01.2020“, sowie auf die „permanente Missachtung behördlicher Maßnahmen“ und der Bestimmungen betreffend die Personenfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union.
6 Damit bezog sich das BVwG auf seine Feststellungen, wonach der Revisionswerber mit Urteil vom 20. Juli 2017 zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Monat rechtskräftig verurteilt worden sei, weil er am 31. Mai 2015 eine Packung Cabanossi entwendet habe und am 15. April 2016 beim Diebstahl einer Handyhülle und am 29. Juni 2016 beim Diebstahl von Kleidungsstücken betreten worden sei. Mit weiterem Urteil vom 4. August 2017 sei der Revisionswerber wegen der Vergehen des Diebstahls und der gefährlichen Drohung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden. Dabei ließ das BVwG jedoch außer Acht, dass die diesem Urteil zugrunde liegenden Straftaten ebenfalls schon längere Zeit zurückliegen ‑ laut Strafregisterauszug war das Datum der letzten Tat der 27. Juni 2017 ‑ sowie dass die beiden genannten Verurteilungen zueinander im Verhältnis der §§ 31, 40 StGB stehen, somit nur eine Zusatzstrafe verhängt wurde, und sie daher eine Einheit bilden (vgl. etwa VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0100, Rn. 16, mwN).
7 Das BVwG traf zwar auf Basis einer Mitteilung über eine gerichtliche Aufenthaltsermittlung und des Inhalts des kriminalpolizeilichen Aktenindexes noch die Feststellung, der Revisionswerber sei am 21. Februar 2019 bei einem Ladendiebstahl betreten worden und gegenüber dem Revisionswerber sei es am 7. September 2019 zu einem polizeilichen Einschreiten wegen des Diebstahls eines Handys aus einer Tasche und am 9. Jänner 2020 wegen Körperverletzung gekommen, wobei jeweils Strafverfahren anhängig seien. Diesbezüglich ist dem BVwG jedoch vorzuwerfen, dass es dazu ‑ ebenso wie zu der Verurteilung vom 4. August 2017 ‑ keine konkreten Feststellungen traf (siehe zu dieser Pflicht generell etwa VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0234, Rn. 11, mwN, und insbesondere in Bezug auf Taten, die noch zu keiner strafgerichtlichen Verurteilung geführt haben, VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0237, Rn. 8). Das Vorliegen einer für ein Aufenthaltsverbot gegen einen Unionsbürger maßgeblichen Gefährdung im Sinne des § 67 Abs. 1 FPG ist daher auf dieser Grundlage nicht nachvollziehbar.
8 Überdies hatte der Revisionswerber in der Beschwerde vorgebracht, er habe die Diebstähle aus finanzieller Not begangen. Auch das BVwG ging davon aus, der Revisionswerber habe bei seinen Aufgriffen in Österreich „keine Geldmittel zur Bestreitung seines Aufenthalts“ vorweisen können. Dabei bezog es sich beweiswürdigend auf entsprechende Angaben des Revisionswerbers in den mit ihm in den Jahren 2018 und 2019 aufgenommenen Niederschriften. In der Beschwerde wurde in diesem Zusammenhang dargelegt, der Revisionswerber habe weiterhin nach Arbeit in Österreich gesucht, um sich hier eine sichere Existenz aufzubauen. Nachdem ihm A. F. in seinem Betrieb (A‑GmbH) eine Arbeitsstelle als Friseurlehrling zugesagt habe, sei er am 18. Juli 2020 neuerlich nach Österreich gekommen, um diese Beschäftigung auszuüben. Tatsächlich habe er dann am 1. August 2020 dieses Arbeitsverhältnis „angetreten“ und er arbeite nunmehr als Friseurlehrling mit einer kollektivvertraglichen monatlichen Entlohnung von 700 € zuzüglich Trinkgeld von 200 bis 300 €. Er wohne derzeit kostenfrei bei A. F., wo er auch behördlich gemeldet sei. Sein Lebensunterhalt sei somit gesichert, weshalb er sich „aufgrund der Freizügigkeitsbestimmungen“ rechtmäßig in Österreich aufhalte und „keine Gefahr in irgendeiner Art und Weise“ darstelle.
9 Dazu stellte das BVwG (verkürzt) fest, der Revisionswerber halte sich seit 18. Juli 2020 wieder in Österreich auf, verfüge erstmals seit 5. August 2020 „über eine von ihm veranlasste gemeldete Wohnanschrift“ und sei auch von der A‑GmbH als Arbeiter angemeldet. Damit gab das BVwG zu erkennen, das diesbezügliche Beschwerdevorbringen seiner Entscheidung zugrunde zu legen, zumal es in der Beweiswürdigung betreffend die Feststellungen zur „derzeitigen Wohnanschrift“ und zum „bestehenden Beschäftigungsverhältnis“ ausdrücklich auf den Inhalt der Beschwerde verwies und auch bei der Begründung zum Absehen von der beantragten mündlichen Verhandlung erwähnte, das BVwG sei ohnedies den Beschwerdebehauptungen gefolgt.
10 Vor diesem Hintergrund hätte es ‑ neben der Vermeidung der in Rn. 6 und 7 aufgezeigten Fehler ‑ einer nachvollziehbaren Darlegung bedurft, weshalb im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG vom Vorliegen einer durch den weiteren Aufenthalt des Revisionswerbers bewirkten Gefährdung im Sinne des § 67 Abs. 1 FPG auszugehen sei, obwohl er nunmehr über eine Wohnmöglichkeit und eine Beschäftigung mit entsprechendem Einkommen verfügt. Das wird in der Revision zutreffend bemängelt.
11 Mit dem Argument, dem Revisionswerber liege eine „permanente Missachtung behördlicher Maßnahmen“ und der Bestimmungen betreffend die Personenfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union zur Last, bezog sich das BVwG erkennbar auf die Wiedereinreise des Revisionswerbers, nachdem gegen ihn zweimal mit Bescheiden des BFA vom 7. März 2018 und vom 31. Jänner 2019 Ausweisungen ergangen waren. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass die Ausweisungen infolge des unbestrittenen nachfolgenden Verlassens des Bundesgebietes gemäß § 69 Abs. 1 FPG gegenstandslos wurden ‑ die Anordnung des § 12a Abs. 6 zweiter Satz AsylG 2005, wonach (u.a.) Ausweisungen achtzehn Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht bleiben, hat schon aus unionsrechtlichen Erwägungen zurückzutreten ‑ und dass auf Basis des (vom BVwG zugrunde gelegten) Beschwerdevorbringens nicht ohne Weiteres zu sehen ist, der Revisionswerber habe in Bezug auf seine letzte Einreise am 18. Juli 2020 und den anschließenden aktuellen Aufenthalt in Österreich zu Unrecht von der Personenfreizügigkeit Gebrauch gemacht.
12 Aus all diesen Gründen lag in der vorliegenden Konstellation aber auch kein „eindeutiger Fall“ vor. Die Annahme des BVwG, der Sachverhalt sei im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA‑VG geklärt und auch bei einem positiven persönlichen Eindruck vom Revisionswerber wäre keine Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes oder dessen Entfall möglich gewesen, war daher nicht gerechtfertigt, sodass die Unterlassung der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Durchführung einer Beschwerdeverhandlung rechtswidrig war (vgl. zur Verhandlungspflicht bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen etwa VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0100, Rn. 11, mwN). Auch das wird in der Revision zutreffend geltend gemacht.
13 Das gilt aber auch insoweit, als das BVwG die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs und die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung für die Beschwerde bloß mit der Bezugnahme auf die für das Aufenthaltsverbot maßgeblichen Gründe bestätigte. Dazu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis VwGH 16.1.2020, Ra 2019/21/0360, Rn. 16 bis 19, verwiesen werden.
14 Demzufolge war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (vorrangiger) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes zur Gänze aufzuheben.
15 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 und 6 VwGG abgesehen werden.
16 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 5. Februar 2021
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