VwGH Ra 2020/14/0341

VwGHRa 2020/14/03418.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. Schindler sowie den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2020, W183 2210979‑1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: X Y, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Promenade 3), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §45 Abs2
BFA-VG 2014 §21 Abs7
B-VG Art133 Abs6 Z2
MRK Art6
VwGG §28 Abs1 Z5
VwGG §28 Abs2
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §24 Abs3
VwGVG 2014 §24 Abs4
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140341.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger des Iran, stellte am 23. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Er begründete diesen im Wesentlichen damit, dass er und sein Zwillingsbruder im Iran über Freunde mit dem Christentum in Kontakt gekommen seien, sich dafür näher interessiert und auch Informationen verbreitet hätten. Sie seien daher von den Behörden vorgeladen worden und hätten daraufhin die Flucht ergriffen. Mittlerweile sei der Mitbeteiligte zum Christentum konvertiert.

2 Mit Bescheid vom 7. November 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Mitbeteiligten sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Das BFA kam in diesem Bescheid zum Ergebnis, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Mitbeteiligte in seinem Heimatstaat Probleme mit den Behörden gehabt habe und seine Hinwendung zum christlichen Glauben auf einer festen Überzeugung sowie einem ernst gemeinten religiösen Einstellungsmangel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruhe. In seiner Beweiswürdigung stützte sich das BFA unter anderem darauf, dass auch der ‑ aber im Bescheid nicht näher beschriebene ‑ persönliche Eindruck (vom Mitbeteiligten) nicht annähernd dergestalt gewesen sei, dass die Behörde auf die Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels habe schließen können. Auch wenn der Mitbeteiligte in seiner Vernehmung Wissensfragen zum Glauben großteils richtig beantwortet habe, seien seine Angaben in Form und Präsentation in einer Art vorgetragen worden, die keine glaubwürdige Impression einer Konversion aus „religiös/ethischer“ Motivation erweckt hätten. Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass jener Mitarbeiter des BFA, der den Bescheid genehmigt hat, auch zuvor den Mitbeteiligten vernommen hatte.

4 Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Er beantragte die Durchführung einer Verhandlung.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das BVwG dieser Beschwerde Folge, ohne eine Verhandlung durchzuführen. Es erkannte dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die übrigen Spruchpunkte des Bescheides behob es ersatzlos. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.

6 Das BVwG stellte unter anderem fest, dass der Mitbeteiligte ursprünglich muslimischen Glaubens gewesen sei, sich aber bereits im Iran für das Christentum interessiert habe. Er sei in Österreich zum Christentum (evangelisch A.B.) konvertiert. Der Mitbeteiligte habe sich ernsthaft dem christlichen Glauben zugewandt, bekenne sich dazu öffentlich und nehme aktiv am Leben der Kirchengemeinde teil. Der christliche Glaube sei wesentlicher Bestandteil der Identität des Mitbeteiligten geworden. Es sei davon auszugehen, dass er sich aus innerer Überzeugung zum Christentum bekenne und im Fall der Rückkehr in den Iran nicht wieder zum Islam hinwenden, sondern Christ bleiben und diesen Glauben aktiv leben werde. Es könne daher „nicht ausgeschlossen“ werden, dass dem Mitbeteiligten im Fall der Rückkehr in den Iran Verfolgung durch staatliche Akteure drohe (erkennbar gemeint: es werde ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohen).

7 In der Beweiswürdigung stützte sich das BVwG auf die Angaben des Mitbeteiligten in der Einvernahme vor dem BFA, einen Taufschein, eine Bestätigung über den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich sowie diverse Bestätigungen über die Teilnahme an einer religiösen Tagung, einer Gebetswoche, Glaubenskursen und Gottesdiensten. Es führte aus, dass die Behörde bei ihrer Beurteilung der inneren Überzeugung und Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels auf die vorgelegten Dokumente zu den religiösen Aktivitäten des Mitbeteiligten nicht eingegangen sei und den größtenteils richtig beantworteten inhaltlichen Fragen zum Glauben jeglichen Beweiswert abgesprochen habe. Das BVwG habe daher jene Beweiswürdigung vorzunehmen, die die belangte Behörde verabsäumt habe.

8 Dazu erwog das BVwG insbesondere, dass der Mitbeteiligte in der Einvernahme vor der Behörde glaubwürdig habe darlegen können, sowohl von der inneren Überzeugung her als auch „nach der Praxis“ ein Leben nach christlichen Grundsätzen zu führen und ein aktives Mitglied einer Mennonitischen Freikirche geworden zu sein. In der Folge ging das BVwG noch im Detail auf einzelne Aspekte der Aussage des Mitbeteiligten ein und kam abschließend „bei einer Gesamtbetrachtung aller Ergebnisse des behördlichen und gerichtlichen Ermittlungsverfahrens“ zur Schlussfolgerung, dass daraus eine ernsthafte und innere Glaubensüberzeugung in Bezug auf die Hinwendung zum Christentum ableitbar sei. Es könne ihm nicht zugemutet werden, seinen christlichen Glauben im Fall der Rückkehr in den Iran nur im Geheimen zu praktizieren.

9 Das Unterbleiben einer Verhandlung begründete das BVwG unter Hinweis auf § 21 Abs. 7 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) und § 24 Abs. 4 VwGVG damit, dass aus dem Akteninhalt des Verwaltungsaktes in Verbindung mit der Beschwerde der maßgebliche Sachverhalt als geklärt anzusehen sei und eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung erwarten lasse.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA. Zu ihrer Zulässigkeit wird darin ausgeführt, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob das Verwaltungsgericht sich bei der Prüfung der inneren religiösen Überzeugung (jedenfalls) einen persönlichen Eindruck vom Asylwerber und seiner Glaubwürdigkeit verschaffen müsse. Das Erkenntnis weiche außerdem von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für das Absehen von der Durchführung einer Verhandlung ab.

11 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof hat der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der er beantragte, die Revision kostenpflichtig als unzulässig zurückzuweisen oder als unbegründet abzuweisen.

12 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist nach § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

15 Der Amtsrevision gelingt es mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

16 § 24 VwGVG lautet:

„Verhandlung

§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist;

3. wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird.

(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.“

17 § 21 Abs. 7 BFA‑VG lautet:

„(7) Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.“

18 Obwohl fallbezogen sämtliche Verfahrensgegenstände dem BFA‑VG unterliegen (siehe § 1 iVm § 3 Abs. 2 Z 1, 2 und 4 BFA‑VG), bezieht sich das BVwG in seinen Ausführungen zum Absehen von der Durchführung der Verhandlung (auch) auf § 24 Abs. 4 VwGVG und die dazu ergangene Judikatur. Vorab ist daher darauf hinzuweisen, dass die darin enthaltene Anordnung nur dann zur Anwendung gelangen kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist. Für den Anwendungsbereich der vom BFA‑VG erfassten Verfahren enthält § 21 Abs. 7 BFA‑VG eigene Regelungen, wann ‑ auch: trotz Vorliegens eines Antrages ‑ von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann. Lediglich „im Übrigen“ sollen die Regelungen des § 24 VwGVG anwendbar bleiben. Somit ist bei der Beurteilung, ob in vom BFA‑VG erfassten Verfahren von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann, neben § 24 Abs. 1 bis 3 und 5 VwGVG in seinem Anwendungsbereich allein die Bestimmung des § 21 Abs. 7 BFA‑VG maßgeblich, nicht aber die bloß als subsidiär anwendbar ausgestaltete Norm des § 24 Abs. 4 VwGVG (VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, Pkt 3.1. f).

19 Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA‑VG enthaltenen und fallbezogen maßgeblichen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ folgende Kriterien beachtlich sind: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA‑VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, Pkt 5.12.; aus der folgenden Rechtsprechung etwa VwGH 6.5.2020, Ra 2020/14/0051).

20 Ein geklärt erscheinender Sachverhalt in diesem Sinn kann somit nur jener sein, der bereits von der Behörde vollständig festgestellt (und vom Beschwerdeführer nicht substantiiert bestritten) wurde. Es erübrigt sich nämlich nur in einer solchen Konstellation die Neuaufrollung und Klärung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes durch eine im konkreten Verfahren erstmalig einschreitende und mit voller Tatsachenkognition ausgestattete Gerichtsinstanz.

21 Es gehört gerade im Fall zu klärender, etwa einander widersprechender, prozessrelevanter Tatsachenbehauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen, um sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen und Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. VwGH 18.9.2019, Ra 2018/04/0197; 25.2.2019, Ra 2018/08/0251; 30.1.2019, Ra 2018/03/0131; jeweils mwN).

22 Das BVwG hat wesentliche Teile des Sachverhaltes ‑ insbesondere zur Frage, ob der Mitbeteiligte sich dem Christentum aus innerer Überzeugung zugewandt hat ‑ gegenteilig zu den im Bescheid enthaltenen Feststellungen des BFA angenommen. Es hat die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung gerade nicht geteilt, sondern seine Beweiswürdigung ausdrücklich an die Stelle jener der Behörde gesetzt. Damit lagen die Voraussetzungen für das Absehen von der Durchführung einer Verhandlung nach der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht vor, der Sachverhalt war aus Sicht des BVwG gerade nicht ‑ nämlich bereits im Verwaltungsverfahren ‑ geklärt.

23 Im Absehen von der Durchführung von der Verhandlung liegt im vorliegenden Fall somit jedenfalls eine Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 21 Abs. 7 BFA‑VG. Eine solche kann aus nachstehenden Erwägungen auch vom BFA als vor dem Verwaltungsgericht belangter Behörde im Rahmen einer Amtsrevision geltend gemacht werden.

24 Bei der Ausübung der der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde im Rahmen ihrer Amtsrevision nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B‑VG zukommenden Parteistellung im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geht es nicht um die Geltendmachung subjektiver Rechte dieser Behörde, zumal im Fall einer Amtsrevision an die Stelle der Angabe des Revisionspunktes die Erklärung über den Umfang der Anfechtung tritt. Die belangte Behörde kann vor dem Verwaltungsgerichtshof uneingeschränkt Revision wegen behaupteter Rechtswidrigkeit erheben. Sie kann somit die verwaltungsgerichtliche Entscheidung dahingehend bekämpfen, ob diese rechtsrichtig ergangen ist, wobei der Rahmen der Überprüfung seitens des Verwaltungsgerichtshofes durch die schon genannte Anfechtungserklärung in der Amtsrevision begrenzt wird. In diesem Rahmen steht es ihr offen, Revisionsgründe (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) sowohl hinsichtlich der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes als auch bezüglich des Inhalts und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, das der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu Grunde liegt, geltend zu machen (VwGH 6.4.2016, Fr 2015/03/0011, mwN; zur Geltendmachung der Verletzung der Verhandlungspflicht nach § 24 Abs. 4 VwGVG im Rahmen einer Amtsrevision: VwGH 23.4.2020, Ra 2019/01/0174).

25 Die Unterlassung einer gemäß § 24 VwGVG ‑ hier: aufgrund des Antrags des Mitbeteiligten und des Fehlens der Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA‑VG ‑ gebotenen Verhandlung kann nicht nur von jener Partei, die den Verhandlungsantrag gestellt hat, sondern von jeder Verfahrenspartei geltend gemacht werden. Wurde nämlich bereits (hier: vom Mitbeteiligten als Beschwerdeführer) ein Verhandlungsantrag gestellt, so sind die anderen Parteien nicht gehalten, einen eigenen Verhandlungsantrag zu stellen. Dies ergibt sich daraus, dass der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden kann. Demnach kann auch die Behörde die Unterlassung der mündlichen Verhandlung geltend machen, obwohl ausschließlich der Mitbeteiligte in der Beschwerde deren Durchführung beantragt hat (vgl. wiederum VwGH 23.4.2020, Ra 2019/01/0174, mwN).

26 Die Aufhebung eines Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG setzt allerdings voraus, dass das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Erkenntnis oder Beschluss hätte kommen können. Daher reicht es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensmängel konkret darzulegen (vgl. VwGH 4.2.2020, Ra 2020/14/0002, 0003, mwN). Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 5.11.2020, Ra 2020/14/0363, mwN).

27 Zwar ist bei behaupteter Verletzung des Rechtes auf Durchführung einer Verhandlung im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK sowie des Art. 47 GRC eine solche Relevanzdarstellung nicht erforderlich. Der Grund dafür liegt darin, dass die Rechtsprechung des EGMR zum Erfordernis der mündlichen Verhandlung nach Art. 6 EMRK eine solche Relevanzprüfung nicht vorsieht, was entsprechend auch auf das auf Art. 47 GRC gestützte Recht auf mündliche Verhandlung zu übertragen ist (VwGH 23.1.2013, 2010/15/0196; zur Übertragung dieser Judikatur auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht VwGH 27.5.2015, Ra 2014/12/0021). Außerhalb des Anwendungsbereiches des Art. 6 EMRK und des Art. 47 GRC ist es aber weiterhin Sache des Revisionswerbers, die Relevanz der unterbliebenen mündlichen Verhandlung aufzuzeigen (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/01/0241, mwN).

28 Dies gilt auch für eine Amtsrevision, in der das Unterbleiben einer an sich gebotenen Verhandlung releviert wird, weil die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde in einer von ihr erhobenen Revision nicht die Verletzung subjektiver Rechte (etwa nach Art. 6 EMRK oder des Art. 47 GRC), sondern einen objektiven Verstoß gegen Verfahrensbestimmungen geltend macht (vgl. zur Notwendigkeit der Relevanzdarstellung bei Geltendmachung der Verletzung der Verhandlungspflicht nach § 24 Abs. 4 VwGVG durch die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde VwGH 30.4.2019, Ra 2018/12/0059, Rn 24).

29 Dem Zulässigkeitsvorbringen ist zu entnehmen, dass die revisionswerbende Behörde eine unmittelbare Beweisaufnahme durch das BVwG in Form einer (neuerlichen) Vernehmung des Mitbeteiligten für erforderlich erachtet. Sie legt jedoch nicht dar, welche konkreten Ermittlungsergebnisse ‑ auch auf Basis welchen Verhaltens des Mitbeteiligten, über das sich das BVwG einen persönlichen Eindruck hätte verschaffen können ‑ sich durch die Durchführung einer Verhandlung hätten gewinnen lassen und warum das BVwG ‑ auch angesichts der übrigen Beweismittel und seiner im angefochtenen Erkenntnis dargelegten beweiswürdigenden Erwägungen ‑ zu anderen Feststellungen und darauf gegründet zu einem anderen rechtlichen Ergebnis hätte kommen können. Dies wäre jedoch erforderlich, um die Relevanz des aufgezeigten Verfahrensmangels annehmen zu können.

30 Auch mit dem pauschal gehaltenen Vorbringen, eine Verhandlung wäre auf Grund des seit Erlassung des Bescheides verstrichenen Zeitraums erforderlich gewesen, weil der Sachverhalt nicht mehr die gebotene Aktualität aufgewiesen habe, und nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe sich das BVwG bei der Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit oder Glaubwürdigkeit einen persönlichen Eindruck vom Fremden zu verschaffen, legt die revisionswerbende Behörde die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel nicht dar.

31 Im Hinblick darauf, dass die Amtsrevision die Relevanz des aufgezeigten Verfahrensmangels auf den Ausgang des Verfahrens nicht aufzeigt, werden in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG ‑ in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat ‑ zurückzuweisen.

32 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 8. März 2021

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