Normen
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
FrPolG 2005 §55
FrPolG 2005 §55 Abs2
FrPolG 2005 §55 Abs3
MRK Art8
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190252.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Kosovo, stellte am 26. Februar 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates gab er an, er wolle mit seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter, die in Österreich aufhältig seien, zusammenleben.
2 Mit Bescheid vom 7. März 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Kosovo zulässig sei, legte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest und trug ihm auf, in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ‑ ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG ‑ soweit hier wesentlich ‑ aus, der Revisionswerber habe seine Lebensgefährtin, eine in Österreich aufhältige slowakische Staatsangehörige, im Jahr 2016 kennengelernt. Im Dezember 2018 sei eine gemeinsame Tochter geboren worden. Der Revisionswerber habe in Österreich, wo er sich seit dem 20. Februar 2020 nach schlepperunterstützter Einreise aufhalte, einen gemeinsamen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter begründet. Eine Eheschließung des Revisionswerbers und seiner Lebensgefährtin sei für den 18. Juli 2020 geplant. Der gesunde und arbeitsfähige Revisionswerber sei im Kosovo, wo sich weiterhin mehrere seiner Familienangehörigen aufhielten, zuletzt einer Erwerbstätigkeit nachgegangen und habe dort im Haus seiner Familie gewohnt. Er sei im Kosovo keiner Verfolgung oder sonstigen Bedrohungen bzw. Schwierigkeiten ausgesetzt gewesen. Die Lebensgefährtin des Revisionswerbers sei zunächst in Österreich beschäftigt gewesen, habe diese Erwerbstätigkeit aufgrund ihrer Schwangerschaft beendet und beziehe nunmehr Kinderbetreuungsgeld.
5 Der Antrag auf internationalen Schutz, den der Revisionswerber ausschließlich auf den Wunsch, mit seiner Kernfamilie zusammenzuleben, gestützt habe, sei nicht begründet gewesen. Hinsichtlich der Interessenabwägung, die bei der Rückkehrentscheidung vorzunehmen sei, sei das Bestehen eines Familienlebens in Österreich zu berücksichtigen. Der Revisionswerber halte sich jedoch erst seit vier Monaten im Inland auf, sei hier bisher nicht erwerbstätig gewesen und könne daher auch keinen Unterhalt für seine Tochter leisten. Umstände, die für eine fortgeschrittene soziale Integration sprächen, bzw. Deutschkenntnisse habe der Revisionswerber nicht nachgewiesen. Selbst durch fortgeschrittene Deutschkenntnisse könnte aber eine maßgebliche Integration im Inland im vorliegenden Fall nicht dargetan werden. Zu berücksichtigen sei hinsichtlich des Familienlebens des Revisionswerbers mit seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter, dass der Revisionswerber sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein habe müssen. In der vorliegenden Konstellation wiege nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsberechtigung besonders schwer, weil der Revisionswerber zu keinem Zeitpunkt von einem (rechtmäßigen) Verbleib im Inland hätte ausgehen dürfen. Es sei daher eine Rückkehrentscheidung zu treffen gewesen.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Revision wendet sich unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit gegen die zur Rückkehrentscheidung durchgeführte Interessenabwägung. Das BVwG habe seine Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhaltes verletzt, weil es nicht erhoben und festgestellt habe, dass der Revisionswerber für seine Tochter obsorgeberechtigt sei und über „fortgeschrittene Deutschkenntnisse“ verfüge. Auch sei nicht „eindeutig festgestellt“ worden, dass der Aufenthalt der Lebensgefährtin und der Tochter des Revisionswerbers in Österreich rechtmäßig sei. Weiters hätten bei der Rückkehrentscheidung die bevorstehende Eheschließung bzw. die Auswirkungen der Verehelichung auf den Erwerb der Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht durch den Revisionswerber berücksichtigt werden müssen. Hinsichtlich der nach § 55 FPG gesetzten Frist für die freiwillige Ausreise hätte beachtet werden müssen, dass der Termin der Hochzeit des Revisionswerbers und seiner Lebensgefährtin nur 11 Tage nach Ablauf der mit 14Tagen festgelegten Frist angesetzt sei und daher besondere Umstände vorlägen, die zu einer Verlängerung der Frist hätten führen müssen. Das BVwG habe somit auch zu Unrecht von einer mündlichen Verhandlung abgesehen, weil kein so eindeutiger Fall vorliege, dass auf die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung hätte verzichtet werden können, und weitere wesentliche Sachverhaltselemente zu klären gewesen wären.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 5.5.2020, Ra 2020/19/0140).
11 Bei Beurteilung des Privat‑ und Familienlebens des Fremden ist es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA‑VG maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. etwa VwGH 15.5.2020, Ra 2020/20/0145, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat insbesondere in Fällen, in denen ein Fremder seinen in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen (Ehegatten, Lebenspartnern bzw. Kindern) nachgereist war und einen Antrag auf internationalen Schutz bzw. auf Erteilung eines Aufenthaltstitels missbräuchlich zur von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug gestellt hatte, festgehalten, dass in solchen Konstellationen das öffentliche Interesse besonders schwer wiegt, zumal von den Beteiligten nicht von einem (rechtmäßigen) Verbleib in Österreich ausgegangen werden konnte (vgl. VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0047; 19.12.2019, Ra 2019/21/0186; jeweils mwN).
12 Das BVwG hat in Hinblick darauf, dass der Revisionswerber seinen Antrag auf internationalen Schutz lediglich auf den Wunsch, mit seiner Lebensgefährtin, mit der nach den Feststellungen eine Eheschließung geplant ist, und seiner Tochter in Österreich zusammenzuleben gestützt hat, eine solche Konstellation angenommen. Die Revision tritt diesen Erwägungen sowie den Ausführungen des BVwG, wonach abgesehen von der Beziehung des Revisionswerbers zu seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter, deren rechtmäßiger Aufenthalt in Österreich nicht in Zweifel gezogen worden ist, und allenfalls vorhandenen Deutschkenntnissen keine Umstände vorliegen, aus denen eine maßgebliche soziale oder berufliche Integration des im Entscheidungszeitpunkt erst vier Monate im Inland aufhältigen Revisionswerbers abzuleiten wäre, nicht substantiiert entgegen. Eine Unvertretbarkeit der Beurteilung des BVwG, wonach das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen die privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Inland ‑ trotz allenfalls vorhandener Deutschkenntnisse ‑ überwiege, vermag die Revision daher nicht aufzuzeigen.
13 Soweit der Revisionswerber vorbringt, es wäre zu berücksichtigen gewesen, dass er für seine Tochter obsorgeberechtigt sei, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Revisionswerber mit der Mutter seiner Tochter unstrittig ‑ jedenfalls bis zum Entscheidungszeitpunkt des BVwG ‑ nicht verheiratet war, sodass nach § 177 Abs. 1 erster Satz ABGB grundsätzlich allein die Mutter mit der Obsorge betraut ist. Dass dem Revisionswerber dennoch ‑ etwa aufgrund einer Erklärung der Eltern gegenüber dem Standesbeamten nach § 177 Abs. 2 zweiter Satz ABGB ‑ die Obsorge für seine Tochter zugekommen wäre, wurde im Verfahren des BVwG nicht vorgebracht. Das erstmals in der Revision erstattete Vorbringen, wonach dem Revisionswerber die Obsorge zukomme, unterliegt daher dem aus § 41 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbot und ist daher schon deshalb nicht geeignet, das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage aufzuwerfen (vgl. etwa VwGH 8.6.2020, Ra 2020/19/0155).
14 Soweit der Revisionswerber geltend macht, es wäre in Hinblick auf die am 18. Juli 2020 geplante Eheschließung mit seiner Lebensgefährtin eine längere Frist für die freiwillige Ausreise zu setzen gewesen, ist ihm zunächst zu entgegnen, dass er im bisherigen Verfahren eine Verlängerung der vom Gesetz grundsätzlich vorgesehenen Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise nicht angesprochen und nicht ‑ wie in § 55 Abs. 3 zweiter Satz FPG vorgesehen ‑ einen Termin für seine Ausreise bekannt gegeben hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen bereits festgehalten, dass es sich bei den in § 55 Abs. 2 und 3 FPG genannten „besonderen Umständen“, die gegebenenfalls im Rahmen der gebotenen Abwägung zu einer Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise über 14 Tage hinaus führen können, ohnehin nur um solche handeln kann, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 20.2.2014, 2013/21/0114; vgl näher zu der nach § 55 FPG zu setzenden Frist VwGH 16.5.2013, 2012/21/0072, mwN). Ein Abgehen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vermag die Revision daher auch insoweit nicht aufzuzeigen.
15 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung besondere Bedeutung zu. Daraus ist aber keine „absolute“ (generelle) Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 15.4.2020, Ra 2020/20/0114, mwN). Im vorliegenden Fall ist die Beurteilung des BVwG, wonach mangels klärungsbedürftigen Sachverhalts im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA‑VG von der beantragten Beschwerdeverhandlung abgesehen habe werden können, nicht als unvertretbar anzusehen (vgl. zu ähnlichen Konstellationen VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0683; sowie nochmals VwGH Ra 2019/21/0186).
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGVG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 31. Juli 2020
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