Normen
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180059.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 9. Mai 2016 als Minderjähriger den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, die Taliban hätten ihn für ihren Kampf rekrutieren wollen. Nachdem der Revisionswerber davor geflohen sei, hätten die Taliban seine Familie angegriffen und in einem an seine Familie gerichteten Drohbrief (den der Revisionswerber den Asylbehörden vorlegte) die umgehende Bestrafung des Revisionswerbers im Falle seiner Rückkehr gefordert.
2 Mit Bescheid vom 2. Jänner 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. 3 Über die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers führte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 18. September 2019 eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Revisionswerber (mittlerweile volljährig) umfassend zu seinen Fluchtgründen einvernommen wurde. Ergänzend brachte seine Rechtsvertretung vor, der Revisionswerber würde aufgrund seiner westlichen Einstellung, insbesondere, weil er nicht denke wie ein Afghane, bei Rückkehr Probleme bekommen. Er könne seine Einstellung (z.B. zur Gleichstellung von Mann und Frau) und sein Äußeres (er trage eine westliche, moderne Frisur) nicht verstecken.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
5 Begründend führte das BVwG - zusammengefasst und soweit entscheidungserheblich - aus, es werde zwar nicht verkannt, dass nach den vorliegenden Länderberichten in einigen Distrikten der Heimatprovinz des Revisionswerbers (Logar) die Taliban bemüht seien, junge Leute zu rekrutieren. Die vom Revisionswerber geschilderten angeblichen Vorfälle seine Person betreffend und seine daraus abgeleitete individuelle konkrete Verfolgung durch die Taliban habe er jedoch aus näher dargestellten Gründen nicht glaubhaft machen können. Einer zukünftigen Verfolgung durch Zwangsrekrutierung (oder einer Gefährdung seiner durch § 8 Abs. 1 AsylG 2005 geschützten Rechte) könne er jedenfalls durch Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat begegnen.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit die Verletzung der Begründungspflicht von Erkenntnissen und einem Verstoß gegen die amtswegigen Ermittlungspflichten im Asylverfahren geltend macht. Im Einzelnen führt die Revision zusammengefasst aus, das BVwG habe in der Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen die Minderjährigkeit des Revisionswerbers nicht hinreichend beachtet (Hinweis auf VwGH 14.12.2006, 2006/01/0362; 24.9.2014, Ra 2014/19/0020). In Bezug auf die "Verwestlichung" des Revisionswerbers treffe das BVwG widerstreitende Feststellungen, indem es einerseits davon ausgehe, dass eine teilweise westliche Werthaltung vorliege, während dies in der rechtlichen Beurteilung wiederum in Frage gestellt werde. Das BVwG habe sich beweiswürdigend nicht damit auseinandergesetzt, ob nun von einer "Verwestlichung" ausgegangen werde und wenn ja, in welchem konkreten Umfang solche Einstellungen vom Revisionswerber in Österreich gelebt würden, er diese Einstellungen verinnerlicht habe, und ob er sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan noch leben würde, aber nicht könne. In der rechtlichen Beurteilung werde schließlich davon ausgegangen, dass der Revisionswerber aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes und seiner grundsätzlich liberalen Einstellung betreffend die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Afghanistan keiner Verfolgungsgefahr unterliege. Dies stelle keine nachvollziehbare Beweiswürdigung dar, zumal dem Bericht von EASO (Country Guidance, Juni 2019, S. 65) zu entnehmen sei, dass Personen, die als "verwestlicht" gelten würden, in Afghanistan nicht als Afghanen angesehen würden und einer Bedrohung ausgesetzt sein können. Dabei komme es insbesondere auf deren Verhalten, ihre Erscheinung und ihre zum Ausdruck gebrachten Einstellungen an. Hätte das BVwG den entscheidungsrelevanten Sachverhalt entsprechend festgestellt und gewürdigt, so hätte es feststellen müssen, dass der Revisionswerber aufgrund seines Aufenthalts in Österreich zwischen seinem 15. und 19. Lebensjahr derart von den in Österreich vorherrschenden Werten und Einstellungen geprägt worden sei, dass er sie verinnerlicht habe. Es hätte weiter festgestellt werden müssen, dass er diese Einstellungen und Werte nicht nur durch Worte, sondern auch durch sein äußeres Erscheinungsbild zum Ausdruck bringe, diese Werte im Falle einer Rückkehr nicht ablegen könne und ihm dadurch asylrelevante Verfolgung drohe.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht aufgezeigt:
Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
8 Soweit die Revision eine Verletzung der Begründungspflicht von Erkenntnissen geltend macht (vgl. dazu etwa VwGH 19.6.2019, Ra 2018/18/0548 bis 0550, mwN), ist ihr zuzustimmen, dass die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses zahlreiche Mängel (im Aufbau und Inhalt) aufweist.
9 In der Beweiswürdigung zum vorrangigen Fluchtvorbringen (betreffend die behauptete Bedrohung des Revisionswerbers durch die Taliban) werden vom BVwG beispielsweise minimale Widersprüche in nebensächlichen Details der Aussage des Revisionswerbers angeführt, denen bei vernünftiger Würdigung des Aussageverhaltens insbesondere eines - im Zeitpunkt der Erlebnisse - minderjährigen Asylwerbers keinerlei Aussagekraft über die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens zukommt. Insoweit verweist die Revision auch zu Recht auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach auf die Minderjährigkeit des Asylwerbers im Rahmen der beweiswürdigenden Überlegungen entsprechend Bedacht genommen werden muss (vgl. dazu etwa VwGH 24.9.2014, Ra 2014/19/0020; 14.5.2018, Ra 2017/20/0414; 6.9.2018, Ra 2018/18/0150, jeweils mwN). Wenn die Revision ungeachtet dessen nicht als zulässig anzusehen ist, so nur deshalb, weil das BVwG neben den kritikwürdigen beweiswürdigenden Überlegungen auch solche anführt, die für sich geeignet sind, das erzielte Ergebnis auch unter dem Blickwinkel der Minderjährigkeit des Revisionswerbers (zur Zeit der Flucht und des verwaltungsbehördlichen Asylverfahrens) zu tragen und damit als vertretbar erscheinen zu lassen, wie etwa Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem vorgelegten angeblichen Drohbrief der Taliban. Der Revision gelingt es somit nicht hinreichend darzulegen, dass die vorhandenen Begründungsmängel im Ergebnis relevant sein können.
10 Nichts anderes gilt in Bezug auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses und die von der Revision geltend gemachten Ermittlungsmängel zur Frage einer asylrelevanten "Verwestlichung" des Revisionswerbers. Auch hier ist der Revision zuzustimmen, dass die Ausführungen des BVwG zum Teil widersprüchlich sind (etwa, wenn einerseits - unpräzise - festgestellt wird, der Revisionswerber habe "teilweise eine 'westliche Werthaltung' angenommen", andererseits aber in der rechtlichen Beurteilung in Frage gestellt wird, dass eine solche tatsächlich gegeben sei). Richtig ist auch, dass das BVwG eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit der Frage, ob und warum der Revisionswerber eine "westliche Lebenseinstellung" nicht verinnerlicht haben soll, vollkommen vermissen lässt. All das erweist sich letztlich aber als nicht relevant, weil weder das Vorbringen des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG noch in der vorliegenden Revision hinreichend konkret darlegt, welche Lebenseinstellungen der Revisionswerber verinnerlicht haben will, die er bei Rückkehr nach Afghanistan weiterleben würde und die ihn - anders als das BVwG vermeint - einer (asylrelevanten) Verfolgung aussetzen könnten. Insofern vermag auch der Hinweis der Revision auf das in den EASO-Country Guidance: Afghanistan (Juni 2019) enthaltene Risikoprofil für Rückkehrer/innen, die als "verwestlicht" angesehen werden, zu keinem anderen Ergebnis zu führen.
11 Ungeachtet dessen ist der Vollständigkeit halber anzumerken, dass selbst nach dem genannten Risikoprofil das Verfolgungsrisiko für Männer (anders als für Frauen), die in Afghanistan als "verwestlicht" angesehen werden, als "minimal" bezeichnet und von den Umständen des Einzelfalles abhängig gemacht wird. Dass diese Umstände fallbezogen ein besonderes Verfolgungsrisiko für den Revisionswerber begründen könnten, zeigt die Revision mit keinem Wort auf und ist auch nicht zu erkennen. 12 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 26. Februar 2020
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