VwGH Ra 2019/19/0356

VwGHRa 2019/19/03569.1.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des A D in W, vertreten durch Mag. Petra Trauntschnig, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. August 2019, Zl. I415 1201441- 3/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190356.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nigerias, stellte am 17. Jänner 1997 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen verfolgt worden zu sein. 2 Dieser Antrag wurde vom damals zuständigen Bundesasylamt vom 19. September 1997 - insbesondere aufgrund aufgetretener Widersprüche und der daraus resultierenden Unglaubwürdigkeit des Vorbringens - abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. April 2000 abgewiesen.

3 Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde der Revisionswerber am 2. Mai 2000 nach den Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 8. März 2001 wurde gegen den Revisionswerber ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen und der dagegen erhobenen Berufung mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. Juli 2001 keine Folge gegeben.

4 Nach vorzeitiger Haftentlassung stellte der Revisionswerber am 4. August 2008 aus dem Stande der Schubhaft einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesasylamt mit Bescheid vom 29. September 2008 wegen entschiedener Sache zurück wies. Der Revisionswerber wurde daraufhin aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 31. Oktober 2008 abgewiesen. 5 Vom 3. November 2009 bis zum 30. August 2017 war der Revisionswerber im Bundesgebiet nicht behördlich gemeldet, hatte sich eine falsche Identität angeeignet und sich dem Verfahren entzogen. Seit 2017 leidet der Revisionswerber an einer bekannten Frühform von Multipler Sklerose, zudem wurde eine mittelgradige depressive Episode festgestellt.

6 Am 14. September 2017 stellte der Revisionswerber den verfahrensgegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz. Begründend verwies er zum einen auf das bereits bekannte Vorbringen betreffend die Verfolgung aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen, brachte aber auch vor, angesichts seiner zwischenzeitlich in Österreich nach dem Suchtmittelgesetz erfolgten Verurteilung bei einer Rückkehr eine Inhaftierung nach dem "Dekret 33" und seinen Tod zu fürchten. Außerdem gebe es in seiner Heimat keine gute medizinische Behandlung von Multipler Sklerose.

7 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 3. August 2018 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten wegen entschiedener Sache nach § 68 AVG zurück und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Es erteilte dem Revisionswerber keine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz", erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria zulässig sei und gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise. Außerdem erließ es ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot.

8 Mit Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 8. Februar 2018 wurde der Revisionswerber wegen Urkundenunterdrückung und Gebrauch fremder Ausweise zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit verurteilt.

9 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die gegen den Bescheid vom 3. August 2018 erhobene Beschwerde ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

10 Begründend hielt das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das vorliegende Verfahren relevant - fest, dass das Fluchtvorbringen betreffend die Verfolgung aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen bereits in den Vorverfahren rechtskräftig verneint worden sei und sich aus den Länderberichten ergäbe, dass dem Revisionswerber keine Inhaftierung aufgrund des "Dekret 33" drohen würde. Der Revisionswerber habe keine entscheidungsrelevanten neuen Fluchtgründe vorgebracht und in Nigeria sei keine maßgebliche Lageänderung eingetreten. Lediglich betreffend den Gesundheitszustand des Revisionswerbers habe sich die maßgebliche Lage geändert, die Erkrankung führe aber zu keiner Überschreitung der Eingriffsschwelle des Art. 3 EMRK. Der Revisionswerber leide an einer bekannten Frühform von Multipler Sklerose, wobei zwischenzeitlich keine Schübe aufgetreten seien und aktuell keine Krankheitsaktivität bestehe. Zudem liege derzeit keine Indikation für eine Basisbehandlung vor. Der Revisionswerber bedürfe aufgrund seiner Erkrankung medikamentöser und ärztlicher Behandlung, welche in Nigeria - ebenso wie psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen - verfügbar sei. Der Revisionswerber sei im arbeitsfähigen Alter, habe in Nigeria mindestens zwölf Jahre die Schule besucht, verfüge über Berufserfahrung als Schlosser und Sprachkenntnisse in Yoruba und Englisch. Er habe selbst angegeben, arbeitsfähig zu sein und könne sich mit Hilfe seiner Arbeitsleistung seinen Lebensunterhalt im Herkunftsstaat sichern. Gegebenenfalls könne er auf die Unterstützung seiner Familienangehörigen zurückgreifen und Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Eine besondere Integrationsverfestigung des Revisionswerbers liege nicht vor. 11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 14 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, der Revisionswerber habe neue Fluchtgründe angegeben, weshalb eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache unzulässig gewesen wäre. Er habe insbesondere angegeben, dass ihm in Nigeria wegen des "Dekret 33" Inhaftierung und dadurch - insbesondere angesichts seines gesundheitlichen Zustands und der fehlenden medizinischen Versorgung in nigerianischen Haftanstalten - unmenschliche und erniedrigende Behandlung drohe. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie das Bundesverwaltungsgericht hätten ein umfangreiches Ermittlungsverfahren zur Frage führen müssen, ob es den nigerianischen Behörden möglich sei, von der Verurteilung des Revisionswerbers Kenntnis zu erlangen und ob eine Behandlung von Multipler Sklerose auch in Haft möglich sei.

15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann bei wiederholten Anträgen auf internationalen Schutz nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0333; 22.11.2017, Ra 2017/19/0198, je mwN). 16 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht im Einzelfall die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0330, mwN).

17 Die Revision tritt den Feststellungen des BVwG, dass trotz anderslautender Vorschriften im sogenannten Dekret 33 verurteilte Nigerianer kein zweites Strafverfahren zu befürchten haben, und den darauf gestützten beweiswürdigenden Überlegungen des BVwG, dem Revisionswerber würde keine Inhaftierung drohen, nicht entgegen. Der Revision gelingt es damit nicht, in Bezug auf die Zurückweisung des Antrags auf Asyl wegen entschiedener Sache darzulegen, dass die behaupteten Sachverhaltsänderungen einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt. 18 Soweit die Revision eine drohende Verletzung der nach Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte aufgrund der fehlenden medizinischen Behandlung in Haft vorbringt, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, wonach dem Revisionswerber keine Inhaftierung droht, ohne die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes zu bekämpfen. Das diesbezügliche Vorbringen ist schon aus diesem Grund nicht geeignet, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2019/19/0264, mwN). Die Frage der Behandlungsmöglichkeiten einer Multiplen Sklerose in nigerianischen Haftanstalten erweist sich vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen und der Beweiswürdigung als abstrakte Frage.

19 Soweit die Revision - ohne nähere Begründung, inwiefern die vom Bundesverwaltungsgericht getätigten Ermittlungsschritte unzureichend gewesen wären oder es zu einem unrichtigen Ergebnis gelangt wäre - behauptet, es wären umfangreichere Nachforschungen erforderlich gewesen, zeigt es nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Ermittlungspflicht verletzt hätte. 20 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 9. Jänner 2020

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