VwGH Ra 2020/02/0156

VwGHRa 2020/02/01566.8.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer‑Kober als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des M T in N, vertreten durch die Goldsteiner Rechtsanwalt GmbH in 2700 Wiener Neustadt, Wiener Straße 14‑16, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 3. Juni 2020, LVwG‑S‑1447/001‑2019, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §45 Abs2
StVO 1960 §5 Abs1
StVO 1960 §99 Abs1 lita
VStG §24
VwGVG 2014 §38

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020020156.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom 14. Mai 2019 wurde der Revisionswerber ‑ unter anderem und soweit in diesem Verfahren relevant ‑ schuldig erkannt, er habe am 17. Februar 2019 gegen 13:45 Uhr an einem näher bezeichneten Ort ein dem Kennzeichen nach näher bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt, obwohl er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe (0,88 mg/l Alkoholgehalt der Atemluft). Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von € 2.000,‑ ‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 398 Stunden) verhängt wurde.

2 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab, verpflichtete den Revisionswerber zum Kostenersatz und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.

3 Nach Darstellung des Verfahrensganges sowie der wesentlichen Aussagen der im Zuge der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen und des Revisionswerbers stellte das Verwaltungsgericht folgenden Sachverhalt fest:

4 Der Revisionswerber sei am 17. Februar 2019 mittags mit seiner Ehefrau in Streit geraten und zu diesem Zeitpunkt bereits stark alkoholisiert gewesen, da er am Vormittag eine Flasche Wodka gemischt mit sechs Dosen Red Bull zu sich genommen habe. Im Zuge des Streits habe die Ehegattin des Revisionswerbers über den Notruf die Polizei verständigt, woraufhin der Revisionswerber den Fahrzeugschlüssel an sich genommen und mit einem dem Kennzeichen nach näher bestimmten PKW gegen 13:45 Uhr vom Parkplatz der näher bezeichneten Wohnhausanlage weggefahren sei. Dies sei von seiner Tochter, die ihrem Vater nachgelaufen sei, gesehen worden. Der um 15:12 Uhr und 15:30 Uhr auf der Polizeiinspektion N. mittels eines näher bestimmten Messgeräts beim Revisionswerber eineinhalb Stunden nach dem Lenken durchgeführte Alkotest habe einen Atemluftalkoholgehalt von 0,88 mg/l ergeben. Der Blutalkoholgehalt (gemeint: Atemluftalkoholgehalt) sei zum Lenkzeitpunkt gegen 13:45 Uhr jedenfalls höher als 0,88 mg/l gewesen.

5 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerber nicht bestreite, zum Vorfallszeitpunkt alkoholisiert gewesen zu sein, er verantworte sich damit, dass er seinen PKW nicht gelenkt habe, sondern das Haus zu Fuß verlassen habe. Das Verwaltungsgericht sei der Ansicht, dass die von der Ehegattin und der Tochter des Revisionswerbers gemachten Erstangaben gegenüber den Polizisten unmittelbar nach deren Eintreffen am Wohnort des Revisionswerbers mit dem Inhalt, dass der Revisionswerber den Fahrzeugschlüssel genommen und weggefahren wäre, am ehesten der Wahrheit entsprächen, zumal es der Lebenserfahrung entspreche, dass Angaben ohne Kenntnis eines Verfahrens bzw. die Erstangaben in einem laufenden Verfahren in der Regel der Wahrheit am nächsten kämen. Die Ehegattin habe zu Beginn der Amtshandlung gegenüber den Polizisten angegeben, dass ihr Mann sein Auto nach seinem Eintreffen am Wohnort nach dem Nachtdienst neben dem Haus abgestellt hätte, sie gesehen hätte, dass er nach dem Streit damit weggefahren und das Auto nunmehr weg wäre. Die Tochter habe diese Angaben gegenüber den Beamten bestätigt. Alle drei unter Wahrheitspflicht einvernommenen Polizisten hätten glaubwürdig ausgesagt, dass die Ehegattin und die Tochter ihnen gegenüber angegeben hätten, dass der Revisionswerber nach dem Streit mit seinem Auto weggefahren wäre. Es seien keinerlei Umstände zu Tage getreten, weswegen die Polizisten den Revisionswerber wahrheitswidrig hätten belasten sollen. Sämtliche spätere Aussagen der Zeuginnen, so auch jene vor dem erkennenden Gericht, würden daher als Schutzbehauptungen gewertet, um den Ehemann und Vater vor einer Strafverfolgung zu schützen bzw. den offensichtlich zu Aggressionen neigenden Ehemann und Vater nicht gegen sich aufzubringen.

6 Rechtlich kam das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass der Revisionswerber den Tatbestand des § 5 Abs. 1 StVO in objektiver und subjektiver Hinsicht verwirklicht habe. Schließlich begründete das Verwaltungsgericht die Höhe der verhängten Strafe.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, im gegenständlichen Fall stellten sich drei erhebliche Rechtsfragen. Einerseits habe das Verwaltungsgericht seine Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen. Andererseits habe das Verwaltungsgericht ‑ trotz offensichtlich bestehender Zweifel (arg. „am ehesten“) ‑ nicht den Grundsatz „in dubio pro reo“ angewandt und folge darüber hinaus ‑ in Umgehung des Unmittelbarkeitsprinzips und unter Verwertung von dem Entschlagungsrecht unterliegenden Zeugenaussagen ‑ den Zeugenangaben eines Zeugen vom Hörensagen.

12 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht aufgezeigt:

13 Soweit sich der Revisionswerber gegen die Beweiswürdigung wendet, ist auszuführen, dass der Verwaltungsgerichtshof als reine Rechtsinstanz tätig ist; zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge daher insgesamt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 27.5.2020, Ra 2020/02/0082, mwN); die Richtigkeit der Beweiswürdigung ist vom Verwaltungsgerichtshof nicht zu überprüfen (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2020/02/0013 und 0014, mwN).

14 Eine unvertretbare Beweiswürdigung zeigt der Revisionswerber mit seinem nicht näher konkretisierten Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung nicht auf. Im gegenständlichen Fall stützte das Verwaltungsgericht seine Feststellungen maßgebend darauf, dass die Ehegattin und die Tochter des Revisionswerbers im Zuge der Anzeigeerstattung gegenüber den Polizeibeamten angegeben hätten, dass der Revisionswerber den Fahrzeugschlüssel genommen und mit dem Auto weggefahren wäre. Dies sei von den vernommenen Polizisten glaubwürdig ausgeführt worden und es habe keine Anhaltspunkte dafür gegeben, weshalb die Polizisten den Revisionswerber wahrheitswidrig hätten belasten sollen. Es kann fallbezogen nicht als unvertretbar angesehen werden, wenn das Verwaltungsgericht den späteren gegenteiligen Aussagen der Zeuginnen die Glaubhaftigkeit versagte und diese als Schutzbehauptung wertete (vgl. auch VwGH 27.9.2019, Ra 2019/02/0059, mwN, wonach Erstaussagen ein höheres Ausmaß an Glaubhaftigkeit innewohnt), zumal die beiden Zeuginnen auch keine plausible Erklärung für die Abänderung ihrer Aussagen vorbrachten.

15 Es ist daher auch nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts nicht den Grundsatz „in dubio pro reo“ angewandt hat. Nur wenn nach Durchführung aller Beweise und eingehender Beweiswürdigung Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten verbleiben, könnte nach dem genannten Grundsatz kein Schuldspruch erfolgen (vgl. VwGH 27.4.2020, Ra 2019/08/0080, mwN). Dass im vorliegenden Fall bei der erkennenden Richterin Zweifel am festgestellten Sachverhalt verblieben wären, die die Anwendung dieses Grundsatzes erfordert hätten, ist aber nicht ersichtlich. Auch die Ausführung des Verwaltungsgerichts, wonach die von den Zeuginnen gemachten Erstangaben „am ehesten“ der Wahrheit entsprächen, lassen solche Zweifel nicht erkennen, hat das Verwaltungsgericht dadurch lediglich ‑ im Einklang mit der hg. Rechtsprechung ‑ festgehalten, dass bei der ersten Befragung in der Regel am ehesten richtige Angaben gemacht werden (vgl. erneut VwGH 27.9.2019, Ra 2019/02/0059, mwN).

16 Soweit der Revisionswerber schließlich einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz rügt, verabsäumt er bereits in der Zulässigkeitsbegründung näher darzulegen, inwiefern das Verwaltungsgericht konkret dagegen verstoßen hätte. Im Übrigen ist ein solcher Verstoß auch nicht ersichtlich, zumal das Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Angehörigen des Revisionswerbers als Zeugen einvernommen und im Rahmen einer ‑ wie bereits ausgeführt ‑ nicht als unschlüssig zu erkennenden Beweiswürdigung die Erstaussagen der Zeuginnen mit den widersprechenden Aussagen im Rahmen der mündlichen Verhandlung gegeneinander abgewogen hat. Die Zeuginnen haben dabei von ihrem Recht, ihre Aussage zu verweigern, keinen Gebrauch gemacht, weshalb der Verweis auf das Entschlagungsrecht ins Leere geht. Aufgrund des auch im Verwaltungsstrafverfahren maßgebenden Grundsatzes der Unbeschränktheit und Gleichwertigkeit der Beweismittel war das Verwaltungsgericht im Übrigen auch berechtigt, den Inhalt der Anzeige in seine Würdigung miteinzubeziehen (vgl. VwGH 26.5.2000, 98/02/0191; 9.3.2020, Ra 2020/02/0027, jeweils mwN). Im gegenständlichen Fall ist nicht erkennbar, dass das Verwaltungsgericht bei Fällung des Erkenntnisses Beweismittel miteinbezogen hätte, welche nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen wären. Ein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz liegt demnach nicht vor.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 6. August 2020

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