European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019220100.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 7. März 2018 wies der Landeshauptmann von Wien (belangte Behörde) den Verlängerungsantrag des Revisionswerbers, eines russischen Staatsangehörigen, vom 28. Dezember 2017 gemäß § 64 Abs. 1 und 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mangels Vorliegen eines ausreichenden Studienerfolges ab. In der dagegen erhobenen Beschwerde beantragte der Revisionswerber unter anderem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
2 Mit dem am 28. September 2018 - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des Revisionswerbers - mündlich verkündeten und am 13. Februar 2019 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde des Revisionswerbers ab.
3 Mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2018 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Darin brachte er - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - vor, dass er erkrankt sei und unmittelbar nach dem Auftreten der Erkrankung am 26. September 2018 eine ärztliche Bestätigung mittels eingeschriebenen Briefs an das Verwaltungsgericht übermittelt habe. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen habe der Postlauf bis zum 4. Oktober 2018 gedauert. Er habe jedoch bei einem Postlauf in Wien begründet davon ausgehen können, dass die ärztliche Bestätigung bei Aufgabe am früheren Nachmittag, was nachweislich "zu einem Transport ins Verteilzentrum am selben Tag" geführt habe, das Verwaltungsgericht fristgerecht vor der Verhandlung erreiche.
4 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.
5 Das Verwaltungsgericht führte begründend im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei ohne Angabe von Gründen zu der am 28. September 2018 um 10.00 Uhr im Beschwerdeverfahren durchgeführten Verhandlung nicht erschienen, obwohl die Ladung dazu bereits am 2. August 2018 durch Hinterlegung zugestellt worden sei. Nachträglich sei eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung für den Verhandlungstag vorgelegt worden, welche am 26. September 2018 um 14.30 Uhr eingeschrieben zur Post gegeben worden und (nach einem ungewöhnlich langen Postlauf) am 4. Oktober 2018 beim Verwaltungsgericht eingelangt sei.
6 In Anbetracht der zeitlichen Abfolge hätte der Revisionswerber jedenfalls nicht, wie vorgebracht, begründet von einer rechtzeitigen Zustellung bzw. Verständigung ausgehen können. Es könne nicht davon gesprochen werden, dass der Revisionswerber sich bemüht hätte, sich rechtzeitig vor der Verhandlung zu entschuldigen. Der Revisionswerber habe auch in keiner technisch möglichen Weise versucht, das Verwaltungsgericht am Verhandlungstag zu verständigen, obwohl er über die entsprechenden Kontaktdaten verfügt habe und es ihm möglich gewesen sei, am 26. September 2018 zum Arzt zu gehen, ein handschriftliches Schreiben zu verfassen und dieses zur Post zu bringen. 7 Als Grund für die - nur bis zum 30. September 2018 dauernde -
Arbeitsunfähigkeit sei lediglich "Krankheit" vermerkt worden, weshalb die Schwere der Erkrankung vom Verwaltungsgericht nicht beurteilt werden könne. Da sich weder aus der Arbeitsunfähigkeitsmeldung noch aus dem Antrag eine Verhandlungsunfähigkeit ergebe, erachtete das Verwaltungsgericht die nachträglich behauptete Krankheit für unglaubwürdig. 8 Der Wiedereinsetzungsantrag habe somit nicht erkennen lassen, dass der Revisionswerber ohne sein Verschulden bzw. aus einem bloß minderen Grad des Versehens verhindert gewesen wäre, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
9 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG). Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 11 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision unter dem Gesichtspunkt eines Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 39 Abs. 2 AVG vor, das Verwaltungsgericht habe die amtswegigen Ermittlungspflichten missachtet, indem es angenommen habe, der Revisionswerber sei verhandlungsfähig gewesen, ohne weitere Ermittlungen hinsichtlich der Umstände seiner Erkrankung zu tätigen. Ihm sei auch keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Einwänden gegen den Wiedereinsetzungsantrag eingeräumt worden. Zudem wird geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die amtswegigen Ermittlungspflichten bzw. die Wahrung des Parteiengehörs bei Wiedereinsetzungsanträgen zum Tragen kämen. 12 Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt hat, dass von den Verwaltungsgerichten auf dem Boden des § 17 VwGVG sowohl das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG als auch der Grundsatz der Einräumung von Parteiengehör im Sinn des § 45 Abs. 3 AVG zu beachten ist (vgl. VwGH 17.12.2014, Ro 2014/03/0066, Pkt. 4.2.2., mwN). Weder in den maßgeblichen Bestimmungen noch in der Rechtsprechung gibt es Anhaltspunkte dafür, dass diese Grundsätze bei Wiedereinsetzungsanträgen nicht anzuwenden wären (vgl. vielmehr zu Ermittlungspflichten in Wiedereinsetzungsverfahre n VwGH 29.11.2007, 2007/21/0308, sowie 3.11.2004, 2001/18/0181, Pkt. 4.2.1. ff).
13 Hinsichtlich der in der Rechtsprechung zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass diese infolge der gleichartigen Rechtslage auf § 33 VwGVG übertragbar sind (vgl. VwGH 26.6.2019, Ra 2019/20/0137, Rn. 23, sowie 30.5.2017, Ra 2017/19/0113, Rn. 18, jeweils mwN). 14 Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist gegen die Versäumung einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber (bzw. sein Vertreter) darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben (vgl. zu allem VwGH 23.6.2008, 2008/05/0122, Pkt. 2., mwN).
15 Die Beurteilung, ob ein im Sinn des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG bzw. des § 33 Abs. 1 VwGVG unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden zur Versäumnis geführt hat, unterliegt - als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigenden Abwägung - grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 25.7.2019, Ra 2017/22/0161, Pkt. 4.1., sowie 31.5.2017, Ra 2017/22/0064, Rn. 12, jeweils mwN).
Eine derartige Fehlbeurteilung zeigt die vorliegende Revision nicht auf.
16 Vorauszuschicken ist, dass sich das (oben dargestellte) Zulässigkeitsvorbringen des Revisionswerbers allein auf die Frage der (vom Verwaltungsgericht als nicht erwiesen angenommenen) Verhandlungsunfähigkeit sowie die damit in Zusammenhang stehenden Ermittlungspflichten bzw. deren behauptete Verletzung bezieht. Ob die diesbezügliche Beurteilung des Verwaltungsgerichtes (vgl. oben Rn. 7) sowie die zugrunde liegenden beweiswürdigenden Überlegungen den aus § 33 Abs. 1 VwGVG resultierenden Anforderungen entsprechen, muss vorliegend aber nicht geprüft werden. 17 Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung dem Revisionswerber nämlich auch erkennbar angelastet, er habe sich nicht in einer die zeitgerechte Verständigung des Verwaltungsgerichtes sicherstellenden Weise darum bemüht, sich rechtzeitig vor der Verhandlung zu entschuldigen.
18 Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Erfordernis eines entsprechenden aktiven Tuns des Geladenen, um eine rechtzeitige Information des Verwaltungsgerichtes sicherzustellen (vgl. VwGH 18.9.2008, 2008/09/0270), kann es nicht als unvertretbar angesehen werden, wenn das Verwaltungsgericht die Postaufgabe einer Arbeitsunfähigkeitsmeldung um 14.30 Uhr am vorletzten Tag vor der mündlichen Verhandlung fallbezogen nicht als ausreichend im Sinn der zitierten Rechtsprechung erachtet hat, um eine rechtzeitige Verständigung des Verwaltungsgerichtes, die eine Vertagung der Verhandlung ermöglicht hätte, sicherzustellen. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem weiteren Verfahren betreffend einen Wiedereinsetzungsantrag - darauf abgestellt, ob die vom Geladenen veranlassten Maßnahmen zur Verständigung des Verwaltungsgerichtes das Urteil auffallender Sorglosigkeit zulassen (siehe VwGH 28.6.2011, 2008/01/0129). Eine Einschränkung der Dispositionsfähigkeit des Revisionswerbers, wie sie im soeben zitierten Fall gegeben war, wurde vorliegend nicht behauptet und ist angesichts der tatsächlich bewerkstelligten Postaufgabe eines Schreibens an das Verwaltungsgericht auch nicht ersichtlich. 19 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
20 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 27. Februar 2020
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