Normen
AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §45 Abs2
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190330.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 15. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Befragt zu jenen Gründen, aus denen er sein Heimatland verlassen habe, gab er im Rahmen seiner Vernehmung zusammengefasst an, dass sein Vater beim Militär gewesen und von den Taliban umgebracht worden sei. Nach dem Tod seines Vaters sei er telefonisch von den Taliban bedroht worden. Sie hätten ihm gesagt, dass er zurückkommen und sie unterstützen solle, ansonsten würden sie ihn umbringen.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Mitbeteiligten mit Bescheid vom 10. April 2018 zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
3 Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14. Februar 2019 - mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 15. Juli 2019 statt, erkannte dem Mitbeteiligten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Zudem sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen fest, dass der Vater des Mitbeteiligten in Khoja Murad (Provinz Faryab) von 2011 bis 2014 Ortskommandant einer privaten Gruppierung (Arbaki-Milizen) gewesen sei, welche die afghanischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen die Taliban in der Provinz unterstützt hätte, und im Zuge von Verhandlungen mit den Taliban Anfang 2015 von diesen getötet worden sei. Dem Mitbeteiligten werde sowohl von den Taliban als auch mit diesen sympathisierenden Ortsbewohnern unterstellt, ebenfalls die politische Gesinnung seines Vaters zu vertreten und Rache für die Ermordung seines Vaters nehmen zu wollen. Daher sei er bedroht worden und habe seinen Heimatstaat verlassen müssen. Im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan laufe der Mitbeteiligte Gefahr, Bedrohungs- und Gewalthandlungen von Seiten der Aufständischen ausgesetzt zu sein. Der afghanische Staat sei derzeit nicht in der Lage, den Mitbeteiligten in Afghanistan hinreichend vor dieser Bedrohung durch die Taliban zu schützen. Beweiswürdigend erwog das Bundesverwaltungsgericht, dass sich diese Feststellungen auf die im gesamten Verfahren widerspruchsfreien und gleichlautenden Angaben des Mitbeteiligten stützten. Insbesondere in der mündlichen Verhandlung habe der Mitbeteiligte einen sehr glaubwürdigen Eindruck auf das erkennende Gericht gemacht, sei heiklen Fragen nicht ausgewichen und habe sämtliche Widersprüche aufklären können. Das Vorbringen des Mitbeteiligten sei substantiiert, schlüssig und im Lichte der Länderfeststellungen plausibel. Rechtlich folgerte das Bundesverwaltungsgericht daraus, dass die behauptete Furcht des Mitbeteiligten, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet sei. Durch seine plausiblen Angaben zu seinen Fluchtgründen, vor allem betreffend die Tätigkeit seines Vaters als ranghoher Ortskommandant der Arbaki-Milizen und den damit verbundenen Kämpfen auf Seiten der afghanischen Sicherheitskräfte gegen die Taliban sowie der daraus resultierenden Bedrohung und Verfolgung durch die Taliban, habe der Mitbeteiligte eine asylrelevante Verfolgungsgefahr aufgrund der unterstellten politischen Gesinnung in seinem Herkunftsstaat Afghanistan glaubhaft machen können. Der Mitbeteiligte könne mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht damit rechnen, dass er angesichts des ihn betreffenden Risikos, Opfer von Übergriffen der Taliban zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden könne. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Mitbeteiligte auch in anderen Teilen Afghanistans einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre, zumal sein Vater, der mehrere Jahre lang in einer verantwortungsvollen Position gegen die Taliban gekämpft habe, und auch der Mitbeteiligte selbst den Taliban bekannt gewesen seien. Diese Beurteilung decke sich mit den UNHCR-Richtlinien und den Länderberichten, aus denen hervorgehe, dass die Taliban in Afghanistan über ein gut ausgebautes Netzwerk verfügen würden.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 In der vorliegenden Amtsrevision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit - zusammengefasst - geltend gemacht, dass sich diese gegen die Schlussfolgerung des Bundesverwaltungsgerichtes, dass der Mitbeteiligte im gesamten Staatsgebiet Afghanistans mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgt werde, weil er überall erkannt und an die Taliban verraten werden würde, wende. Zunächst stelle sich die Frage, ob die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung bzw. die Prognoseentscheidung eine Frage der Beweiswürdigung oder der rechtlichen Beurteilung sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich nämlich in der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung mit dieser zukunftsbezogenen Frage beschäftigt. Ausdrückliche Rechtsprechung dazu fehle. Prüfungsmaßstab in Hinblick auf die Beweiswürdigung sei die Schlüssigkeit dieser, wobei auch zu berücksichtigen sei, ob der Sachverhalt genügend erhoben worden sei. Prüfungsmaßstab in Hinblick auf eine einzelfallbezogene rechtliche Beurteilung sei, ob sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen worden sei. Die Prognose des Bundesverwaltungsgerichtes
weiche von beiden Maßstäben ab. Die Schlussfolgerung, dass der Mitbeteiligte an jedem einzelnen Ort Afghanistans erkannt und an die Taliban verraten werden würde, sei unschlüssig und unvertretbar. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich ausgehend von einer landesweiten Verfolgung des Mitbeteiligten nicht mit der Frage, ob dem Mitbeteiligten eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar sei, auseinandergesetzt. 8 Soweit in der vorliegenden Revision geltend gemacht wird, dass sich die Frage stelle, ob die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung bzw. die Prognoseentscheidung eine Frage der Beweiswürdigung oder der rechtlichen Beurteilung sei, erweist sie sich in diesem Punkt schon deshalb als unzulässig, weil die Revision nicht konkret darlegt, weshalb sie von der Lösung dieser Frage abhängt (vgl. VwGH 23.9.2014, Ra 2014/01/0058). 9 Wenn sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes richtet, ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht im Einzelfall die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 4.4.2019, Ra 2019/01/0048, mwN).
10 Eine solche krasse Fehlbeurteilung kann die Amtsrevision mit ihrem Vorbringen nicht dartun, zumal das Bundesverwaltungsgericht seine Beweiswürdigung im vorliegenden Einzelfall auf den persönlichen Eindruck vom Mitbeteiligten in der durchgeführten mündlichen Verhandlung gestützt hat (vgl. wiederum VwGH 4.4.2019, Ra 2019/01/0048, mwN).
11 Wenn in der vorliegenden Amtsrevision darüber hinaus moniert wird, das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, ob dem Mitbeteiligten eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar sei, ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht gestützt auf Länderberichte davon ausgeht, dass dem Mitbeteiligten keine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar sei, weil er aufgrund des gut ausgebauten Netzwerkes der Taliban auch in den afghanischen Großstädten gefährdet wäre. Dabei stützt sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf das Vorbringen des Mitbeteiligten, dass viele Ortsbewohner in andere Provinzen geflüchtet seien und die Taliban den Mitbeteiligten dadurch leicht finden könnten. Vor dem Hintergrund, dass das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen des Mitbeteiligten als glaubwürdig erachtete und dieses erkennbar zur Gänze seiner Entscheidung zugrunde legte, ist eine Abweichung von der hg. Rechtsprechung nicht zu erblicken (vgl. VwGH 22.11.2016, Ra 2016/20/0259).
12 Soweit die belangte Behörde vorbringt, die Beweiswürdigung des BVwG wäre unschlüssig, weil es davon ausgegangen sei, dass der Mitbeteiligte an jedem Ort Afghanistans erkannt werden würde, in der Revision allerdings den Annahmen des BVwG, die mitbeteiligte Partei könne aufgrund der Bedrohung durch die Taliban und deren gut ausgebauten Netzwerkes in den Großstädten Afghanistans auf keine IFA verwiesen werden, nicht entgegentritt, wird ebenfalls keine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung aufgezeigt. Die Revision legt zudem die einzelnen Orte - abseits der Großstädte - in Afghanistan nicht dar, in denen der Mitbeteiligte eine innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch nehmen könnte. 13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 23. Oktober 2019
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