VwGH Ra 2019/18/0337

VwGHRa 2019/18/033721.2.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das am 21. März 2019 mündlich verkündete und am 5. Juli 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, G304 2175314-1/16E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: M Y, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstr. 13), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
MRK Art8
VwGG §42 Abs2 Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180337.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Anfechtungsumfang (betreffend die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die Erteilung eines Aufenthaltstitels) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 13. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 6. Oktober 2017 zur Gänze abwies. Das BFA erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 52 Abs. 9 FPG zulässig sei. Die Frist zur freiwilligen Ausreise legte das BFA mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

2 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), die mit dem angefochtenen Erkenntnis in Bezug auf die Nichtgewährung von internationalem Schutz und den Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 abgewiesen wurde. Der Beschwerde wurde insofern stattgegeben, als eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Irak auf Dauer für unzulässig erklärt und dem Mitbeteiligten gleichzeitig ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt wurde. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

3 Zur Begründung führte das BVwG zusammengefasst aus, der unbescholtene Mitbeteiligte habe den knapp vierjährigen Aufenthalt in Österreich zu nachhaltigen Integrationsschritten genützt, verfüge über eine Deutschprüfung auf B1 - Niveau, zahlreiche Empfehlungsschreiben und weise eine Zusicherung für eine Beschäftigung im Ausmaß von 38,5 Stunden vor. Er beteilige sich zudem an gemeinnützigen Tätigkeiten und weise eine überdurchschnittlich gute soziale Integration auf. Zudem habe er eine christliche Freundin, plane eine Familie zu gründen und entwickle ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK. Auch befürworte er die westliche Lebensweise. Der Mitbeteiligte habe alles unternommen, um sich, soweit ihm dies rechtlich möglich gewesen wäre, so gut wie möglich zu integrieren.

4 Die vorliegende Amtsrevision wendet sich gegen das Erkenntnis, "soweit damit der Beschwerde stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung für unzulässig erklärt und eine Aufenthaltsberechtigung plus erteilt" wurde, und begründet dies damit, dass das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den maßgeblichen Interessen bei der Abwägung nach Art. 8 EMRK abgewichen sei.

5 Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der beantragt wird, die Amtsrevision als unbegründet abzuweisen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Die Revision ist zulässig und begründet.

7 Der Revisionsfall gleicht in seinen entscheidungsrelevanten

Fragen jenem, der mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. September 2019, Ra 2019/18/0212, entschieden worden ist. Zur Begründung wird daher gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf dieses Erkenntnis verwiesen.

8 Zusammengefasst sprach der Verwaltungsgerichtshof in dieser Entscheidung mit Verweis auf seine ständige Rechtsprechung aus, dass bei einer einzelfallbezogenen Interessensabwägung, eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen wird. Liegt - wie im vorliegenden Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes allerdings regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen. Im Übrigen werden integrationsbegründende Schritte eines Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste, maßgeblich relativiert. Dieser Umstand darf bei der Interessenabwägung nicht außer Acht gelassen werden (vgl. VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0212, mwN).

9 Die Amtsrevision moniert zu Recht, dass die im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Feststellungen die Annahme einer außergewöhnlichen Integration im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht decken. Dass die vom Mitbeteiligten gesetzten Integrationsschritte eine außergewöhnliche Konstellation bilden, lässt die Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht erkennen.

10 Da das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, war es - im Anfechtungsumfang - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 21. Februar 2020

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