VwGH Ra 2019/13/0067

VwGHRa 2019/13/006717.11.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski sowie die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der H in W, vertreten durch Mag. Denise Weiß und Mag. Bernhard Weiß, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Walfischgasse 8/13, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 5. Dezember 2018, Zl. RV/7103930/2009, betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1999 bis 2005,

Normen

BAO §113
BAO §132
BAO §207
BAO §207 Abs2
BAO §269 Abs1
BAO §280 Abs1 lite
BAO §323 Abs27
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019130067.L00

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie die Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2002 bis 2005 betrifft, zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Im Übrigen, somit hinsichtlich der Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1999 bis 2001, wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Bei der Revisionswerberin, die im Streitzeitraum 1999 bis 2005 ein Gasthaus (Heurigenlokal) und eine Pension betrieb, wurde 2008 eine abgabenbehördliche Prüfung gemäß § 147 Abs. 1 BAO iVm § 99 Abs. 2 FinStrG durchgeführt. Der Prüfer stellte zahlreiche Aufzeichnungsmängel (Nichterfassung von Kredit- und Bankomatkartenerlösen, Bareinnahmen und Wareneinkäufen bei einem Großhandelsunternehmen) fest und nahm Zuschätzungen gemäß § 184 BAO vor. Er stellte weiters fest, die Revisionswerberin habe in den Jahren 2000 und 2001 vier Verträge über die Ablöse von Mietrechten abgeschlossen, und vertrat den Standpunkt, die für die Ablösebeträge geltend gemachten Vorsteuerbeträge von umgerechnet 3.564,72 € (2000) bzw. 7.267,28 € (2001) seien nicht abziehbar, weil es sich bei den Vertragspartnern nicht um Unternehmer im Sinne des § 2 UStG 1994 gehandelt habe und damit die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 UStG 1994 nicht vorlägen.

2 Das Finanzamt folgte dem Prüfer und erließ ‑ nach Wiederaufnahme der Verfahren ‑ entsprechende Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1999 bis 2005 (Bescheide vom 11. September 2008).

3 Die Revisionswerberin berief gegen die im Anschluss an die Außenprüfung ergangenen Umsatz- und Einkommensteuerbescheide. In der Berufung wendete sie sich insbesondere gegen die Zurechnung von Wareneinkäufen bei einem Großhandelsunternehmen und die verhängten Sicherheitszuschläge. In Bezug auf die Jahre 1999 bis 2001 hat die Revisionswerberin zudem die Einrede der Bemessungsverjährung erhoben.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis ‑ in dem eine Revision für unzulässig erklärt wurde ‑ wies das Bundesfinanzgericht die Berufung (nunmehr Beschwerde) als unbegründet ab.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision, die sich im Rahmen des Zulässigkeitsvorbringens u.a. dagegen richtet, dass sich das Bundesfinanzgericht im angefochtenen Erkenntnis (trotz Parteienvorbringens) „in keiner Weise mit der Frage der Verjährung an sich, oder gar der inneren Tatseite der Revisionswerberin“ auseinandergesetzt habe. Im Übrigen wird gerügt, das Bundesfinanzgericht habe sich „nicht mit den persönlichen Verhältnissen der Revisionswerberin“ auseinandergesetzt und liefere ‑ wie zuvor das Finanzamt ‑ „teils nur Scheinbegründungen, indem zur Begründung auf Teile der Erkenntnis verwiesen werden, welche gar keine Begründung enthalten“. Durch die fehlende Manuduktion sei der Revisionswerberin auch noch die Möglichkeit genommen worden, „nach dem Tod ihres Steuerberaters während des Verfahrens, substantiiertes Vorbringen zu erstatten“.

6 Das Finanzamt hat ‑ nach Einleitung des Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung erstattet.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht erkannt:

8 Die Revision ist zum Teil zulässig und begründet.

9 Die Überprüfung der Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision hat im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe zu erfolgen. Auch Fragen des Verfahrensrechts können Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung sein. Es reicht aber im Allgemeinen nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel darzulegen (vgl. VwGH 22.11.2018, Ra 2018/15/0022, mwN). Dazu muss dargetan werden, dass im Falle der Durchführung eines mängelfreien Verfahrens abstrakt die Möglichkeit besteht, zu einer anderen ‑ für die revisionswerbende Partei günstigeren ‑ Sachverhaltsgrundlage zu gelangen (vgl. VwGH 17.10.2018, Ra 2015/13/0058, mwN). Derartige Darlegungen bleibt die Revision mit ihren nur allgemein gehaltenen Rügen, das Bundesfinanzgericht habe sich nicht mit den persönlichen Verhältnissen der Revisionswerberin auseinandergesetzt und liefere ‑ wie zuvor das Finanzamt ‑ nur Scheinbegründungen, indem es „zur Begründung auf Teile der Erkenntnis“ verweise, die gar keine Begründung enthielten, zur Gänze schuldig.

10 Zum Zulässigkeitsvorbringen, das Bundesfinanzgericht habe der Revisionswerberin durch fehlende Manuduktion die Möglichkeit genommen, substantiiertes Vorbringen zu erstatten, wird angemerkt, dass gemäß § 113 BAO die Abgabenbehörden den Parteien, die nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertreten sind, auf Verlangen die zur Vornahme ihrer Verfahrenshandlungen nötigen Anleitungen zu geben und sie über die mit ihren Handlungen oder Unterlassungen unmittelbar verbundenen Rechtsfolgen zu belehren haben. Ob auch die Verwaltungsgerichte (im Revisionsfall das Bundesfinanzgericht) Verfahrensanleitungen nach § 113 BAO iVm § 269 Abs. 1 BAO zu erteilen haben (vgl. Ritz, BAO6, § 113 Tz 7a), kann im Revisionsfall dahinstehen, weil § 113 BAO jedenfalls ein Verlangen der Partei ‑ dessen Vorliegen im Revisionsfall nicht dargelegt wird ‑ voraussetzt (vgl. VwGH 28.1.2003, 2001/14/0229, und 28.6.2016, Ra 2016/13/0021).

11 Die Revision war daher, soweit sie die ‑ vom Verjährungseinwand nicht betroffene ‑ Umsatz- und Einkommensteuer 2002 bis 2005 betrifft, in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

12 Hinsichtlich der Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1999 bis 2001 kommt der Revision indessen Berechtigung zu:

13 Verjährungsbestimmungen sind keine Normen des materiellen Rechtes, sondern des Verfahrensrechtes. Bei Änderungen verfahrensrechtlicher Rechtsvorschriften ist im Allgemeinen das neue Recht ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens anzuwenden, und zwar auch auf solche Rechtsvorgänge, die sich vor Inkrafttreten des neuen Verfahrensrechtes ereignet haben (vgl. z.B. VwGH 30.9.2015, 2012/15/0111, mwN).

14 Gemäß § 207 Abs. 2 erster Satz BAO beträgt die Verjährungsfrist bei den Verbrauchsteuern, bei den festen Stempelgebühren nach dem II. Abschnitt des Gebührengesetzes 1957, weiters bei den Gebühren gemäß § 17a des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 und § 24a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 drei Jahre, bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre.

15 Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist nach § 207 Abs. 2 BAO zweiter Satz BAO sieben Jahre (idF BGBl. I Nr. 57/2004) bzw. zehn Jahre (idF BGBl. I Nr. 105/2010).

Die Verlängerung von sieben auf zehn Jahre ist nach § 323 Abs. 27 erstmals auf Abgaben anzuwenden, für die der Abgabenanspruch nach dem 31. Dezember 2002 entstanden ist.

16 Diese Inkrafttretensbestimmung stellt eine Ausnahme von der allgemeinen Regel dar, wonach das neue Recht ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens auch auf solche Rechtsvorgänge anzuwenden ist, die sich vor Inkrafttreten des neuen Verfahrensrechtes ereignet haben, und vermeidet, dass bereits abgelaufene Verjährungsfristen rückwirkend verlängert werden und dass Jahre von der Verlängerung der Verjährungsfrist betroffen sind, für die die siebenjährige Aufbewahrungsfrist des § 132 BAO bereits abgelaufen ist (vgl. ErlRV 875 BlgNR 24. GP  7).

17 Ein relevanter Begründungsmangel der Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes bewirkt die Zulässigkeit der Revision iSd § 25a VwGG (vgl. VwGH 18.2.2015, Ra 2014/03/0045, mwN).

18 Ausfertigungen von Erkenntnissen und Beschlüssen der Verwaltungsgerichte haben u.a. die Begründung zu enthalten (§ 280 Abs. 1 lit. e BAO). Die Begründung hat in einer Weise zu erfolgen, dass der Denkprozess, der in der behördlichen oder gerichtlichen Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 23.1.2013, 2009/15/0163, mwN).

19 In der dem angefochtenen Erkenntnis zugrundeliegenden Beschwerde wurde hinsichtlich der Jahre 1999 bis 2001 die Einrede der Bemessungsverjährung erhoben. Einer die Einleitung des Finanzstrafverfahrens betreffenden Stellungnahme des steuerlichen Vertreters der Revisionswerberin vom 16. April 2009, auf die im angefochtenen Erkenntnis einleitend hingewiesen wird, ist ‑ in Bezug auf die als nicht abziehbar beurteilten Vorsteuerbeträge aus Ablösen ‑ zu entnehmen, dass in den schriftlichen Ablöseverträgen auch die Umsatzsteuer angeführt sei. Warum diese Vereinbarungen so getroffen worden seien, könne nicht mehr aufgeklärt werden. „Vielleicht waren die Vertragsparteien der Meinung, eine Ablöse von Mietrechten sei umsatzsteuerpflichtig und haben daher diesen Passus so abgefasst, wie er ist und nicht bedacht, dass es sich bei einem Teil der Vertragsparteien um Privatpersonen handelt. Offensichtlich ist aber dieser Umstand auch beim Verbuchen in unserer Kanzlei nicht aufgefallen, bzw. beim Erstellen des Jahresabschlusses und der Steuererklärung.“

20 Die längere Verjährungsfrist von sieben bzw. (ab 2003) zehn Jahren gilt wegen des vom Gesetzgeber in § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO verwendeten Wortes „soweit“ nur für den vorsätzlich verkürzten Teil jener Abgaben (Mehrsteuern), die im Rahmen der bei der Revisionswerberin durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung festgestellt worden sind (vgl. Ritz, BAO6, § 207 Tz 16). Trotzdem hat sich das Bundesfinanzgericht mit der ‑ in der Beschwerde relevierten ‑ Frage der Bemessungsverjährung nicht auseinandergesetzt. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob es sich bei den hier in Rede stehenden Abgaben der Jahre 1999 und 2000 um hinterzogene Abgaben handelt, erfolgte ebenfalls nicht. Dem angefochtenen Erkenntnis ist auch nicht zu entnehmen, ob für das Jahr 2001 (aufgrund von nach außen erkennbaren Amtshandlungen iSd § 209 Abs. 1 BAO) das allgemeine Verjährungsregime oder (für den Fall, das solche Amtshandlungen fehlen) das Verjährungsregime für hinterzogene Abgaben zum Tragen kommt.

21 Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit es die Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1999 bis 2001 betrifft, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

22 Von der von der Revisionswerberin beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und 3 VwGG abgesehen werden.

23 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 17. November 2020

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