VwGH Ro 2018/13/0013

VwGHRo 2018/13/001326.2.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und die Hofräte MMag. Maislinger sowie Mag. Novak und die Hofrätinnen Dr. Reinbacher sowie Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Finanzamts Amstetten Melk Scheibbs in 3300 Amstetten, Graben 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 25. Juni 2018, Zl. RV/7103979/2017, betreffend Einkommensteuer 2012 (mitbeteiligte Partei: Z in W, vertreten durch die Dr. Martin Brandstetter Rechtsanwalt GmbH in 3300 Amstetten, Bahnhofstraße 2, Hofmann Center), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §115 Abs1
EStG 1988 §34
EStG 1988 §34 Abs6

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RO2018130013.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 26. Juli 2017, Ro 2016/13/0026, verwiesen.

2 In jenem Verfahren war vor dem Verwaltungsgerichtshof nur die Frage strittig, ob es sich bei Rechtsanwaltskosten um außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 34 Abs. 7 Z 4 EStG 1988 handle, und sohin insbesondere, ob es sich beim Unterhaltsberechtigten selbst um (allgemeine) außergewöhnliche Belastungen handelte.

3 Im - nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes - fortgesetzten Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht machte der Revisionswerber geltend, die Rechtsanwaltskosten seien als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 34 Abs. 6 Teilstrich 4 EStG 1988 zu beurteilen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge. Es vertrat die Auffassung, dass der Wortlaut der Bestimmung des § 34 Abs. 6 Teilstrich 4 EStG 1988 jegliche Mehraufwendungen infolge der Behinderung eines Kindes, ohne Einschränkung auf medizinische oder pflegerische Maßnahmen umfasse. Die Rechtsanwaltskosten stünden mit der Behinderung der Tochter der mitbeteiligten Partei in einem ursächlichen Zusammenhang: Ohne Behinderung der Tochter wären mangels Prozessführung die streitgegenständlichen Kosten nicht entstanden. Sie seien daher als Aufwendungen im Sinne des § 34 Abs. 6 Teilstrich 4 EStG 1988 zu qualifizieren und ohne Ansatz eines Selbstbehaltes zu berücksichtigen. Ein unmittelbarer Zusammenhang der Prozesskosten mit der Behinderung der Tochter sei gegeben, sie dienten letztlich, weil durch die Prozessführung die lebenslangen Pflege- und Rehabilitationsmaßnahmen für die Tochter abgedeckt werden sollen, der Erzielung eines positiven therapeutischen Erfolges. Es seien "in gesetzeskonformer Interpretation" auch die Voraussetzungen des § 4 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen erfüllt, so dass die Kosten ohne Selbstbehalt und ohne Anrechnung des Pflegegeldes abzugsfähig seien.

5 Die Revision wurde mit der Begründung für zulässig erklärt, dass zu den Fragen, ob Prozesskosten Mehraufwendungen im Sinne des § 34 Abs. 6 Teilstrich 4 EStG 1988 darstellen und welche Bedeutung den Begriffen "Notwendigkeit" und "Zweckmäßigkeit" beizumessen ist, keine höchstgerichtliche Judikatur existiere. Auch die Frage, ob Prozesskosten von § 4 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen umfasst sind, sei noch nicht Gegenstand der höchstgerichtlichen Judikatur gewesen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Prozessführung für das Jahr 2012 außer Streit gestellt, im Übrigen aber die Ansicht des Bundesfinanzgerichts, die Rechtsanwaltskosten würden unter § 34 Abs. 6 Teilstrich 4 EStG 1988 sowie § 4 der VO über außergewöhnliche Belastungen fallen, bekämpft wird. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragte.

 

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision ist zulässig und begründet.

9 § 34 Abs. 6 Teilstrich 4 EStG 1988 sowie der Schlussteil

dieses Absatzes lauten:

"(6) Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:

(...)

- Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, soweit sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.

(...)

Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind."

10 Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201/1996, 72 BlgNR 20. GP 267 f zu § 34 Abs. 6 sowie § 35 EStG 1988 lauten auszugsweise:

"Der Neufassung jener Bestimmungen, die die außergewöhnliche Belastung von Behinderten betreffen, liegen folgende Überlegungen zugrunde:

1. Für alle Personen, die eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz, Pflegezulage oder Blindenzulage) erhalten, soll zur Vermeidung einer Überförderung nicht zusätzlich ein allgemeiner Freibetrag auf Grund ihrer Behinderung berücksichtigt werden, weil ihre pflegebedingten Aufwendungen ohnehin durch den - steuerfreien - Bezug von Pflegegeld und ähnlichen Geldleistungen abgedeckt werden. Werden die tatsächlichen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht, so soll durch die entsprechende Aufnahme in § 34 Abs. 6 sichergestellt werden, dass nur der die pflegebedingte Geldleistung übersteigende Mehrbetrag ohne Abzug eines Selbstbehaltes zu berücksichtigen ist.

(...)

3. Bei Kindern, für die eine erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, soll weiterhin sichergestellt sein, dass Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastung ohne Abzug eines Selbstbehaltes zu berücksichtigen sind. Steht einem solchen Kind eine pflegebedingte Geldleistung zu, so ist nur ein diese Geldleistung übersteigender nachgewiesener Mehrbetrag als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen. Dieser Mehraufwand kann - wie bisher - auch in pauschalierter Form nach der zu erlassenden Verordnung zu § 34 Abs. 6 in der Fassung dieses Bundesgesetzes (siehe lit. d), allerdings vermindert um eine allfällige pflegebedingte Geldleistung geltend gemacht werden.

4. Auf Grund der Verordnungsermächtigung in § 34 Abs. 6 (letzter Satz) wird eine neue Verordnung hinsichtlich der Berücksichtigung bestimmter Mehraufwendungen ergehen, die hinsichtlich Art der Aufwendung (Kosten einer Krankendiätverpflegung, PKW- bzw. Taxikosten für Körper- und Gehbehinderte, nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel und Pauschbetrag für unterhaltsberechtigte Personen, für die erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird), dem (teilweise pauschalierten) Ausmaß und der Nachweispflicht mit der bestehenden Verordnung des Bundesministers für Finanzen vom 5. Dezember 1988, BGBl. Nr. 675/1988, inhaltlich übereinstimmen wird.

(...)

In der neu zu erlassenden Verordnung über außergewöhnliche Belastungen soll festgehalten werden, daß für Bezieher von Pflegegeld weiterhin ohne Gegenverrechnung

Für Kinder, für die eine erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, sollen Mehraufwendungen - wenn sie nicht in tatsächlicher Höhe nachgewiesen werden - mit einem Pauschbetrag (gegebenenfalls vermindert um eine pflegebedingte Geldleistung) abgegolten werden; daneben sollen zusätzlich noch die Aufwendungen für nicht regelmäßig anfallende Hilfsmittel (§ 4 der derzeitigen Verordnung) berücksichtigt werden. Die Mehraufwendungen nach der Verordnung werden - wie bisher - dann nicht in Anspruch genommen werden können, wenn die gesamten tatsächlichen Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden. Diesfalls sind erhaltene pflegebedingte Geldleistungen gegenzurechnen."

11 § 4 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen BGBl. Nr. 303/1996 idF BGBl. II Nr. 91/1998 und § 5 dieser Verordnung in der Fassung BGBl. II Nr. 416/2001 lauten:

"§ 4. Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

§ 5. (1) Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, sind ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten mit monatlich 262 Euro vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) zu berücksichtigen.

(2) Bei Unterbringung in einem Vollinternat vermindert sich der nach Abs. 1 zustehende Pauschbetrag pro Tag des Internatsaufenthaltes um je ein Dreißigstel.

(3) Zusätzlich zum (gegebenenfalls verminderten) Pauschbetrag nach Abs. 1 sind auch Aufwendungen gemäß § 4 sowie das Entgelt für die Unterrichtserteilung in einer Sonder- oder Pflegeschule oder für die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen."

12 Die Revision bringt zunächst vor, der Begriff "Mehraufwendungen" in § 34 Abs. 6 EStG 1988 stelle klar, dass nur die aus der Behinderung des Kindes erwachsenden Aufwendungen der begünstigten Behandlung als außergewöhnliche Belastung unterliegen können. Eine Berücksichtigung behinderungsbedingter Mehraufwendungen erfordere dabei einen unmittelbaren spezifischen Zusammenhang der Mehraufwendungen mit einem notwendigen Pflege- und Betreuungsbedarf. Die gesetzlich vorgesehene und in den Gesetzesmaterialien entsprechend erläuterte Gegenrechnung des Pflegegeldes wäre andernfalls sachlich nicht erklärbar, wenn darunter beispielsweise auch Prozesskosten fallen würden.

13 Zu dieser eine Einschränkung des § 34 Abs. 6 Teilstrich 4 EStG 1988 auf Anwendungsfälle der Gegenrechnung nahelegenden Argumentation genügt ein Hinweis auf den letzten Satz des § 34 Abs. 6 EStG 1988 und auf § 4 der dazu ergangenen Verordnung. Den im Gesetz mit der Anknüpfung an § 8 Abs. 4 FLAG ("jedes Kind, das erheblich behindert ist") vorausgesetzten Zusammenhang mit der Behinderung - wenn auch nicht mit "Pflege- und Betreuungsbedarf" - stellt auch die Revision nicht in Abrede. Wenn in der Revision auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. März 2016, 2013/13/0063, verwiesen wird, so wurde dort lediglich zu Kosten einer Heimunterbringung dargelegt, dass die Berücksichtigung derartiger Mehraufwendungen einen unmittelbaren (spezifischen) Zusammenhang dieser Mehraufwendungen mit einem notwendigen Pflege- oder Betreuungsbedarf (weswegen die Unterbringung in einem Alters- oder Pflegeheim geboten ist) erfordert. Mehraufwendungen aus einer Unterbringung in einem Alters- oder Pflegeheim erwachsen nämlich nur dann zwangsläufig, wenn ein derartiger Pflege- oder Betreuungsbedarf gegeben ist. Im Hinblick auf Prozesskosten ist ein derartiger spezifischer Zusammenhang der Mehraufwendungen mit einem Pflege- oder Betreuungsbedarf nicht erforderlich. 14 Die Amtsrevision macht weiters geltend, dass Prozesskosten nicht als Hilfsmittel (oder Kosten der Heilbehandlung) im Sinne des § 4 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen zu beurteilen seien.

15 Hiezu ist zu bemerken, dass die Mehraufwendungen entweder in tatsächlicher - und nachgewiesener - Höhe oder aber in pauschalierter Höhe nach der Verordnung (§ 5 Abs. 1 der Verordnung; die in § 4 der Verordnung genannten Aufwendungen sind hingegen nur im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen) begehrt werden können (vgl. nur die zitierten Erläuterungen zur Regierungsvorlage).

16 Nach der Schilderung des Verfahrensgangs im angefochtenen Erkenntnis (die Abgabenerklärung findet sich nicht in den vorgelegten Verfahrensakten) wurde vom Mitbeteiligten der pauschale Freibetrag nach § 5 Abs. 1 der Verordnung (neben nachgewiesenen und unstrittigen Mehraufwendungen) geltend gemacht. Wie aus der Begründung der Beschwerdevorentscheidung hervorgeht, kam aber der Freibetrag nach § 5 Abs. 1 der Verordnung nicht zum Ansatz, da das Pflegegeld den Freibetrag überstieg. Im Zuge des Verfahrens wurde vom Mitbeteiligten aber auch wiederholt auf die tatsächliche Höhe der Kosten der Pflege (die die Höhe des Pflegegeldes weit überschreite) verwiesen; ein Nachweis erfolgte jedoch (nach dem Inhalt der vorgelegten Verfahrensakten) nicht. Aus dem Inhalt der vorgelegten Verfahrensakten ist auch nicht erkennbar, ob der Mitbeteiligte zu einem Nachweis der von ihm behaupteten tatsächlichen Kosten der Pflege aufgefordert wurde. Es ist auch nicht notorisch, dass tatsächliche Pflegekosten geringer wären als das Pflegegeld. Feststellungen zur tatsächlichen Höhe der Kosten der Pflege wurden vom Bundesfinanzgericht nicht getroffen. Die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht haben aber - auch im Rahmen der Geltendmachung von außergewöhnlichen Belastungen - die Angaben des Steuerpflichtigen zu prüfen und zu würdigen und gegebenenfalls Nachweise einzufordern (vgl. Fuchs in Doralt et al, EStG20, § 34 Tz 7).

17 Mangels Feststellungen zur tatsächlichen Höhe derjenigen Kosten der Pflege, auf die pflegebedingte Geldleistungen jedenfalls anzurechnen wären, ist die Frage, ob eine Anrechnung der pflegebedingten Geldleistungen auch im Hinblick auf Prozesskosten zu erfolgen hätte, beim derzeitigen Verfahrensstand bloß hypothetisch.

18 Das Bundesfinanzgericht wird im fortgesetzten Verfahren mit den Parteien zu erörtern haben, ob ein Nachweis betreffend die tatsächliche Höhe der Kosten der Pflege angeboten wird, und gegebenenfalls dazu Feststellungen zu treffen haben. 19 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 26. Februar 2020

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