Normen
BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52 Abs4
FrPolG 2005 §53 Abs3
NAG 2005 §11 Abs2 Z1
NAG 2005 §11 Abs4 Z1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210267.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein im August 1997 geborener ukrainischer Staatsangehöriger, kam Mitte August 2014 nach Österreich zu seiner hier lebenden, mit einem österreichischen Staatsbürger verheirateten Mutter. Er hält sich seitdem durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die ihm zuletzt erteilte "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" ist bis 1. Dezember 2019 gültig.
2 Mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 6. August 2018 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten (davon acht Monate bedingt nachgesehen) rechtskräftig verurteilt. Den unbedingten Strafteil verbüßte der Revisionswerber unter Anrechnung der Untersuchungshaft beginnend ab 2. Juni 2018 bis zur bedingten Entlassung am 24. August 2018.
3 Im Hinblick auf diese Straftat erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber mit Bescheid vom 25. Oktober 2018 gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und es stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung in die Ukraine zulässig sei. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG verhängte das BFA gegen den Revisionswerber unter einem noch ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot.
4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 2. April 2019 als unbegründet ab. Des Weiteren sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung der Behandlung und Abtretung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde (Beschluss vom 12. Juni 2019 zu E 1521/2019) fristgerecht eingebrachte - außerordentliche Revision. Über diese Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
6 In der Revision wird in der Zulässigkeitsbegründung geltend gemacht, das BVwG habe zu Unrecht von der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Dieser Vorwurf trifft zu, weshalb sich die Revision nicht nur - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig, sondern auch als berechtigt erweist.
7 Die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung begründete das BVwG damit, dass der Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt sei. Dabei nahm das BVwG jedoch nicht auf die zu dieser Bestimmung ergangene ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Bedacht, wonach bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Nur in "eindeutigen Fällen", in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (siehe aus der ständigen Rechtsprechung zur Verhandlungspflicht bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen des Näheren VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0316, Rn. 7, unter Bezugnahme v.a. auf VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, Rn. 15 iVm Rn. 12, mwN; vgl. aus der letzten Zeit auch VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0101, Rn. 9, und VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0180, Rn. 12, jeweils mwN).
8 Dass ein solcher eindeutiger Fall in der gegenständlichen Konstellation vorgelegen wäre, hat das BVwG aber gar nicht angenommen. Davon kann hier auch nicht ausgegangen werden. 9 In Bezug auf die Gefährdungsprognose - einerseits für die Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 FPG iVm § 11 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 Z 1 NAG und andererseits für das Einreiseverbot nach § 53 Abs. 3 FPG - legte das BVwG zwar zugrunde, das "nicht bloß geringfügige Delikt" des schweren Raubes lasse auf die "grundsätzliche Gewaltbereitschaft und auf eine hohes Aggressionspotential" des Revisionswerbers schließen. Diese Annahme hätte aber nähere Feststellungen des BVwG zu der dem Revisionswerber persönlich zur Last liegenden, von einer Gruppe verübten Tat und deren Begleitumstände vorausgesetzt, die dem angefochtenen Erkenntnis (siehe Seite 4) nur unzulänglich im Rahmen der Wiedergabe der Begründung des BFA zu entnehmen sind (zur für das BVwG bestehenden Pflicht, nähere und die erstellte Gefährdungsprognose ausreichend tragende Feststellungen in Bezug auf begangene Straftaten zu treffen, siehe aus der ständigen Rechtsprechung etwa zuletzt VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0062, Rn. 10 iVm Rn. 7 und 9). Vor allem maßgeblich ist in diesem Zusammenhang aber, dass sich das BVwG mit dem Vorbringen in der Beschwerde nicht auseinandersetzte, der Revisionswerber sei an dem Verbrechen nur untergeordnet als Mittäter, der keine Waffe verwendet habe, beteiligt gewesen, wobei der (teilweise) Vollzug der Haftstrafe genügt habe, um ihn in Zukunft von der Begehung von Straftaten abzuhalten. Schon zur Beurteilung dieses Einwandes hätte es - auch vor dem Hintergrund der über den Revisionswerber verhängten relativ geringen Strafe, der bedingten Entlassung und seiner bisherigen Unbescholtenheit - der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bedurft.
10 Es wäre aber in Bezug auf die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG auch eine nähere Beleuchtung der familiären Bindungen des Revisionswerbers zu seiner Mutter und dem österreichischen Stiefvater im Rahmen einer mündlichen Verhandlung geboten gewesen, und zwar auch unter dem naheliegenden und in der Beschwerde auch angesprochenen Gesichtspunkt, ob die Angehörigen auf ein künftiges Wohlverhalten des Revisionswerbers Einfluss nehmen könnten. Außerdem wäre im Hinblick auf ein entsprechendes Vorbringen in der Beschwerde in einer Verhandlung zu klären gewesen, inwieweit der (in der Ukraine offenbar auf sich allein gestellte) Revisionswerber im Hinblick auf seine wiederkehrenden epileptischen Anfälle auf die Unterstützung seiner Angehörigen angewiesen ist. Diesbezüglich greift es - wie die Revision näher darlegt - zu kurz, nur auf das "grundsätzliche" Bestehen von Behandlungsmöglichkeiten "in der Ukraine" abzustellen. 11 Im Übrigen sprachen - wie noch anzumerken ist - gegen das Vorliegen eines eindeutigen Falles auch noch der mittlerweile fünf Jahre dauernde, zur Gänze rechtmäßige Aufenthalt des als Minderjähriger nach Österreich eingereisten Revisionswerbers, das vom BVwG festgestellte Beherrschen der deutschen Sprache "in Wort und Schrift" und seine Erwerbstätigkeit seit Anfang November 2018. 12 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Verletzung der Verhandlungspflicht, somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
13 Der Kostenzuspruch gründet sich die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. 14 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3, 5 und 6 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 24. Oktober 2019
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